Ich rede zu viel. Francis Rossi

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Название Ich rede zu viel
Автор произведения Francis Rossi
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854456674



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vorgestellt. Als er sah, was wir machten, stellte sich ziemlich schnell heraus, dass er lieber in einer Popband spielen wollte, da es besser zu ihm passte, als mit zwei Mädels zu trällern. Er war ein großer Cliff-Richard-Fan und sah sich in seinen Träumen als frühen Cliff, einen ungezogenen, aber liebenswürdigen Rock’n’Roll-Sänger. Ich mochte ihn auf den ersten Blick, obwohl ich annahm, er sei eine Tunte, ein Begriff, den wir damals benutzten. Als er mich über seine sexuelle Orientierung aufklärte, konnte ich es kaum fassen.

      Rick freundete sich schnell mit mir und Alan an. Da Roy so viel älter war und John ein unbeschriebenes Blatt, wie man so sagt, fand ich es toll, einen gleichaltrigen Freund an meiner Seite zu wissen, mit dem man sich herumtreiben und Spaß haben konnte. Rick wurde sieben Monate vor mir geboren, im Sternzeichen Waage – eins der Zeichen, mit dem Zwillinge wie ich gut harmonieren. Er stammte aus Woking, Surrey, das im Grunde genommen tief im Südwesten Londons liegt, nahe genug an der Gegend, aus der Alan und ich kamen, womit er beinahe einer von uns war.

      Rick war einfach nett und locker, ein Mensch, den man gerne in seiner Nähe weiß. Im Gegensatz zu mir plagten ihn weder Ängstlichkeit noch Unsicherheit. Ihm fiel scheinbar alles zu. Zumindest hatte man den Eindruck. Rick war Einzelkind, der wie die meisten alleine aufwachsenden Kids mit Liebe und Zuneigung überschüttet worden war – jedoch nicht so verzogen, dass er meinte, er sei unschlagbar. Rick sah immer die positiven Seiten. Er gab niemals auf, war einer der Menschen, die immer positiv denken („Warum sollte ich mir Sorge machen?“), einer derjenigen, die mit strahlendem Lächeln im Gesicht herumlaufen, von denen man gemocht werden will. Schon allein aus dem Grund wurden wir schnell Freunde, aber auch, weil er mir so wenig ähnelte, für mich eher ein Vorbild darstellte. Erst viel später erfuhr ich, dass Rick tatsächlich so wie ich werden wollte, aber dazu kommen wir noch.

      Rick bewies mir seine Freundschaft, als man mich aus der Unterkunft warf, in der wir wohnten. Ich hatte dort mit einem Mädchen geschlafen, und sie erwischten mich dabei. Es war das Mädchen, das ich bald heiraten sollte. Sie hieß Jean Smith und arbeitete mit ihrer Schwester Pat im Butlin’s. Ich weiß, dass es unglaublich schmalzig klingt, aber als ich sie das erste Mal ins Visier nahm, schwor ich mir: „Ich werde sie heiraten.“ Ich wusste es einfach.

      Ich werde niemals den Morgen vergessen, an dem man mich rausschmiss, denn es war der Tag, an dem Jean und ich zum ersten Mal Sex miteinander hatten. Sie war noch Jungfrau – wie damals alle „braven Mädchen“ vor der Hochzeit, ha, verdammt noch mal, ha, ha, ha –, und ich hatte meine Probleme, ihr meinen Pimmel reinzustecken. Wir versuchten es zwei oder drei Tage hintereinander, bis mir endlich die große Tat gelang. Als es endlich funktionierte, war es mehr Erleichterung als alles andere. Ich zweifle stark daran, dass einer von uns Spaß dabei hatte. Wir machten uns jedenfalls an jenem Morgen gerade wieder ans „Spiel“, als die Hauswirtin – eine fiese, fette Schottin – reinplatzte und mich wortwörtlich von Jean herunterriss.

      Zuerst warf sie Jean raus – „Du verdorbene Schlampe“ – und dann mich. Ich musste mich dann damit abfinden, allein am Strand zu nächtigen, bis mir Rick zu Hilfe eilte, indem er Jean sein Zimmer überließ und anbot, sich am Strand zu mir zu gesellen. Wir schliefen die nächsten Nächte unter einigen alten Liegestühlen, die wir zu einer Art Hütte zusammenstellten. In anderen Nächten hockten wir uns in Telefonzellen oder schliefen in öffentlichen Toiletten.

      In dieser Zeit näherten wir uns freundschaftlich an, während mein ehemals gutes Verhältnis zu Alan einer Achterbahnfahrt glich. Wir fetzten uns ständig. Wenn Rick die Streitereien erlebte, fühlte er sich höchst unwohl. Eines Tages kamen wir gerade von der Bühne und schlugen uns beinahe die Köpfe ein. Ich habe Gewalt immer gehasst, habe danach immer geweint. Ich glaube aber, dass Rick durch den Zwischenfall noch mehr aus der Bahn geworfen wurde als Alan oder ich. Als Nächstes verzog sich Alan mit einer der Zwillingsschwestern, aber ich kann mich nicht genau erinnern, mit welcher er schlief. Sie ähnelten sich so sehr! Rick stand in dem Moment neben sich selbst, denn er war total in Jean verknallt (der von seiner Band, nicht in meine Jean). Obwohl ich vermute, dass Alan sich Gloria schnappte, stieg der Zwischenfall Rick zu Kopf. Davon abgesehen, verstanden sich Rick und Alan verdammt gut. Sie waren im selben Alter, teilten ähnliche Interessen und standen beide auf Mode – Alan mit seinen aufgemotzten Anzügen und Rick mit den knallengen Hosen.

      Als sich die Saison ihrem Ende näherte und wir uns auf die Rückkehr nach Hause vorbereiteten, sah man Rick seine Traurigkeit an. Er war schon zu einem Teil unserer verschworenen Gemeinschaft, unserer Gang geworden. Dennoch erzählte er mir erst später von seiner Absicht, einzusteigen. Ich hingegen nahm an, dass Rick weitermachen und der nächste Des O’Connor werden wollte. Doch glücklicherweise blieben wir in Kontakt, hauptsächlich durch Alan. Rick tauchte gelegentlich auf und übernachtete in der Wohnung von Alans Eltern. Manchmal besuchte er uns auch bei Konzerten.

      Ungefähr zu der Zeit nahmen wir endlich eine Platte auf. Pat Barlow war es irgendwie gelungen, einen Deal mit Piccadilly Records anzuleiern, einem Ableger von Pye, dessen populärster Act Joe Brown and the Bruvvers war.

      Wir hatten einige Nummern aufgenommen – sie locker-flockig in einem winzigen und nur für einen Nachmittag gebuchten Studio in Soho eingespielt –, und Pat schickte Kopien des Tonbands zu verschiedenen Plattenfirmen und Musikverlagen. Das Resultat: absolut keine Resonanz, bis sich aus heiterem Himmel ein Typ namens Ronnie Scott meldete – der Vorstand des Musikverlags Valley Music und nicht zu verwechseln mit dem berühmten britischen Jazz-Musiker, der später den gleichnamigen Club in Soho eröffnete. Er sagte Pat, dass er das Demo gehört habe, dass es Potenzial erkennen lasse und wir ihn aufsuchten sollten, um einen Vertrag zu diskutieren. Daraus resultierte die Einladung, Aufnahmen mit John Schroeder zu machen, dem Hausproduzenten von Pye.

      John ließ sich als „alter, erfahrener Kopf auf jungen Schultern“ beschreiben. Er wurde schon mit 26 Jahren mit dem Ivor Novello Award für seine Co-Autorenschaft bei „Walkin’ Back To Happiness“ ausgezeichnet, einer Nummer für Helen Shapiro. Daneben leitete er das John Schroeder Orchestra, das einige Easy-Listening-Hits hatte und Themen für Serien wie Auf der Flucht produzierte. Er war ein liebenswerter Mann und machte den Musikern immer Mut. John erklärte Pat: „The Spectres sind so weit von Glanz und Glorie entfernt!“, wonach er mit den Fingern schnippte. Wir liebten ihn regelrecht.

      Trotzdem war die erste Single mit John eine Coverversion von „I (Who Have Nothing)“ – bitte kein Gelächter auf den billigen Plätzen –, womit Shirley Bassey 1963 einen großen Hit gehabt hatte. Abgesehen von der Tatsache, dass er auf dem italienischen Stück „Uno Dei Tanti“ basierte, hatte ich überhaupt keine Affinität zu dem Song. Die Verantwortlichen bei Piccadilly hielten es jedoch für eine gute Idee, und wer waren wir schon, um uns mit einem bewährten Hit-Produzenten wie John anzulegen? Außerdem stand Alan auf den Song. Ich glaube, er schlug ihn sogar vor. Als brave Jungs spielten wir ihn also ein. Sie können sich das Stück heute auf YouTube anhören, doch ich würde es als großen persönlichen Gefallen wertschätzen, wenn Sie es lassen! Letztendlich brachte beinahe jeder eine Coverversion des Titels heraus – von Joe Cocker über Petula Clark bis hin zu Liza Minelli, Katherine Jenkins und Donny Osmond –, doch ich kann Ihnen versichern, dass unsere die schlechteste ist. Lasst uns nie wieder darüber reden.

      Rick dachte dennoch, das sei die wohl fantastischste Aktion, die jemals realisiert worden war. Als er die Platte das erste Mal in Händen hielt, begann er sogar zu zittern. Damals hatten sich die Highlights aufgelöst, und wir alle wussten, dass er sich nach einer neuen Band umschaute. Er schuftete als Fahrer eines Brotlieferwagens und tat mir wirklich leid, da ich wusste, wie knapp ich dem Schicksal eines Eiswagenfahrers entronnen war. Doch damals mussten wir aus finanziellen Gründen alle verschiedenen Teilzeitjobs nachgehen. Alan verdingte sich als Fensterputzer, und ich arbeitete zeitweise als Gärtner für die Londoner Stadtverwaltung und half beim lokalen Optiker aus.

      Dann hatte Pat Barlow eine weitere seiner zündenden Ideen. Ein besonders schlauer Kerl von Piccadilly hatte ihm den Vorschlag unter die Nase gerieben: Warum nahmen wir nicht Rick in die Band auf? Wir brauchten doch sicherlich eine zusätzliche Stimme und einen Gitarristen. Tatsächlich wollte er mich als Frontmann ablösen, doch das wurde mir erst einige Zeit später klar. Er suchte einen Musiker mit einer besseren Stimme, einen „richtigen“ Sänger.

      Wie üblich, machten