Ich rede zu viel. Francis Rossi

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Название Ich rede zu viel
Автор произведения Francis Rossi
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854456674



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verdammter Starrköpfigkeit.

      In dieser Besetzung – meine Wenigkeit, Alan Lancaster, John Coghlan an den Drums und Jess Jaworski an der Orgel – begannen wir als die Spectres zu arbeiten. Alans Dad hatte uns ein Engagement im Samuel Jones Sports Club beschafft, was einen Aufritt pro Woche bedeutete. Mein Dad verfrachtete das Equipment hinten im Eiswagen und fuhr uns dorthin. Das war noch keine große Sache, denn bis auf die Familien und einige Freunde erschien dort kaum jemand. Allerdings drängte ich die Gruppe, so lange zu warten, bis Alans Mum aufgetaucht war, denn ihre Zustimmung bedeutete mir sehr viel. Einmal angefangen, spielten wir dann einige Coverversionen – Instrumentals sowie Songs aus den Charts – und machten nach einer halben Stunde Pause. Die Erfahrung zwang uns, professionell zu werden oder, besser gesagt, semi-professionell. Für einen Haufen Kids von der Schule war das verdammt hart, aber auch für John, der die Schule schon mit 15 verlassen hatte und mit uns klarkommen musste. Es wäre ein Leichtes gewesen, das ganze Projekt im Sande verlaufen zu lassen.

      Das lief aber alles so weiter, bis nach Ende eines Gigs ein Typ auf uns zukam und die unsterblichen Worte murmelte: „Ich will euch managen.“ Für uns klang das wie: „Ich will Stars aus euch machen!“ Der Grund: Wir wussten nicht so recht, was ein Manager überhaupt so tat. Wir dachten, er gäbe uns Geld und würde uns ins Fernsehen bringen. Oder so was Ähnliches. Zuerst wussten wir nicht, was wir machen sollten, und antworten: „Da musst du Alans Mum fragen.“ Und so nahm ihn May unter die Lupe, entschied, dass er möglicherweise der Richtig wäre, und plötzlich hatten die Spectres einen Manager. Whoopee!

      Er hieß Pat Barlow, und wie sich herausstellte, hatte er im Musikgeschäft null Erfahrung. Er arbeitete bislang als Gasinstallateur und hatte nun einen Ausstellungsraum für Zubehör. Barlow gehörte nicht zu den reichen Knackern, aber er war „flüssig“, wie man so schön sagt. Bislang hatte er schon einiges Geld gemacht und spielte nun mit dem Gedanken, „bei diesem Popmusik-Spielchen mitzumischen“. Warum auch nicht? Die Beatles freuten sich zu der Zeit über ihre ersten großen Hit-Singles. Die Rolling Stones hatten zwar noch keine Platte veröffentlicht – wie auch die Kinks oder The Who noch nicht –, doch plötzlich hatte man überall dieses Gefühl, und insbesondere in London, dass man etwas bewegen konnte, speziell, wenn man jung und „dabei“ war. Vielleicht haben alle Teenager das Gefühl, wenn sie nach ihrer Schulzeit die ersten eigenständigen Schritte machen?

      Egal, Pat Barlow wollte die Spectres in die nächsten Shadows verwandeln oder sogar in die Beatles. Oder wenigsten einen Profit rausholen. Was am wichtigsten erschien: Pat schuftete für uns, woraufhin die Gigs kamen. Er mag zwar nichts vom Business verstanden haben, besaß aber das Talent, Leute zu beschwatzen, und gab niemals auf. Er hängte sich ans Telefon und ließ nicht mehr locker, bis er etwas für seine „Jungs“ angeleiert hatte.

      Nun spielten wir in Locations wie dem El Partido in Lewisham, aus dem ein allseits bekannter Mod-Club wurde. Pat beschaffte uns auch ein regelmäßiges Montagabend-Engagement im Café des Artistes in Chelsea. Obwohl die meisten von uns noch zur Schule gingen, traten wir dort bis in die frühen Morgenstunden auf. Unsere Eltern wussten, dass Pat anwesend war, auf die Band aufpassen und uns auch wieder nach Hause fahren würde, was sie beruhigte. Einmal, als meine Haare ziemlich lang geworden waren – lang für die damalige Zeit, was bedeutete, dass sie über den Kragenrand des Hemdes reichten –, packte mich Pat am Nacken und schnitt mir mehr als zehn Zentimeter ab. Ich ließ die Tortur über mich ergehen, da ich noch ein Schuljunge war und er ein Erwachsener. Damals durften sogar die Nachbarn einem Kind „eins hinter die Ohren geben“, wenn sie dachten, es sei unartig. Die Eltern sagten gar nichts dazu.

      Wir und auch unsere Familien vertrauten Pat – besonders, als die ersten Gagen flossen. Mum und Dad mögen nicht viel von unserer Musik verstanden haben, doch als die ersten Zahlungen eintrudelten, kapierten sie, was in dem Geschäft vor sich ging.

      Über Nacht wurde unser Equipment besser. Ich war nun in der Lage, mir eine neue Guild-Halbakustik anzuschaffen. Alan verprasste seine Kohle für einen neuen Burns Bass. Und wir alle achteten nun auf anständige Kleidung – Klamotten hieß das damals! Zuerst bedeutete das, so wie die Beatles auszusehen, weshalb wir in den gleichen blauen Anzügen auftraten. In den frühen Sechzigern bis ungefähr zur Mitte des Jahrzehnts traten alle Popgruppen in einheitlicher Tracht auf. In Lambeth arbeitete ein Schneider, der uns die Outfits für zwölf Pfund das Stück anfertigte. Alan legte Wert auf einen besonderen Anzug, da er sich immer noch als Boss fühlte und sich optisch absetzen wollte – und somit musste er 25 Pfund blechen. Allerdings konnte man keinen Unterschied feststellen, wenn wir auf der Bühne standen, da alle Anzüge blau waren. Doch für Alan war sein Anzug ein bisschen besser, was ihn freute.

      Auf unsere Art wurden wir damals alle ein wenig forscher und aufmüpfiger. Der nächste logische Schritt bestand in der Veröffentlichung einer Platte, doch niemand wusste, wie man so ein Wunder bewirkt. Sogar Pat gelang es nicht, den Managern der Plattenfirmen genügend Honig um den Bart zu schmieren, damit sie sich in den tiefen Londoner Süden stürzten, um uns spielen zu sehen. Das lief so monatelang, bis Pat die kluge Idee hatte, uns einen gemeinsamen Auftritt mit einer der Band zu besorgen, die die Meute der Platten-Scouts nicht ignorieren konnte. Wieder einmal galt: leichter gesagt als getan.

      Irgendwann Ende 1964 entdeckte Pat eine Anzeige für die Hollies, die in der Orpington Civic Hall in Kent auftreten sollten. Daraufhin wollte er sein Glück versuchen und uns der populären Gruppe als Vorband aufschwatzen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie Pat es gemacht hat, doch irgendwie gelang es ihm. Als wir in Orpington auf die Bühne gingen – zu Beginn des Jahres 1965 –, waren wir fest davon überzeugt, dass das unser großer Durchbruch würde. Dass der ganze Saal nur so von Impressarios des Musikbusiness wimmle, die dafür sterben würden, diese neue, heiße Gruppe unter Vertrag zu nehmen, von der sie schon so viel gehört hatten.

      Natürlich träumten wir davon. Ich habe keine Ahnung, ob an dem Abend überhaupt jemand aus dem Musikgeschäft zu den Besuchern zählte, betete jedoch dafür, dass dem nicht so wäre. Wir spielten schrecklich! Unsere Nervenkostüme waren so zerrüttet, dass wir kaum gerade stehen konnten, mal ganz abgesehen vom Spielen und Singen. Das Ganze fühlte sich wie ein enormer Rückschlag an, und ich dachte: Jetzt haben wir es richtig vermasselt. Doch ich war erst 15, ein Alter, in dem man noch viele Chancen hat und nicht schon vor dem Aus steht. Hinsichtlich eines Rückschlags würde ich dann später noch „erfolgreicher“ sein, nachdem wir berühmt geworden waren …

      Unser großer Durchbruch – nicht, dass wir das damals jedoch so sahen – kam dann, als Pat sich selbst übertraf und uns ein Vorspiel für den Job einer ganzen Sommersaison in Butlin’s Holiday Camp in Minehead, Somerset, besorgte. Das stellte eine wirklich aufregende Aussicht dar! Ein halbes Jahrhundert später ist Butlin’s immer noch ein preisgünstiges Ferienziel für Familien mit kleinen Kindern und Senioren. Schon 1965 wurde es als Großbritanniens Antwort auf Las Vegas gesehen. Bis Butlin’s eröffnete, bestand der typische Urlaub für eine Familie aus der Arbeiterklasse aus einer Woche in einem Bed and Breakfast am Meer, für gewöhnlich einem Haus mit einigen leerstehenden Zimmern, aus dem man den ganzen Tag ausgesperrt war. Als Butlin’s seine Angebote offerierte, durfte sich Großbritannien tatsächlich über „Resorts“ freuen. Nun hatten wir Freizeiteinrichtungen, in denen die Kids den ganzen Tag auf dem Rummel spielten und die Erwachsenen sich am Abend einen Drink genehmigten und die Füße hochlegten. Für Teenager bot Butlin’s die bisher unbekannten Freuden, manchmal monatelang weit weg von zuhause zu leben. Man wurde mit allen Mahlzeiten versorgt und jagte so vielen Mädchen nach, wie man finden konnte. Und da musste man natürlich nicht lange Ausschau halten.

      Als wir dort die ersten Abende als The Spectres spielten, dachte ich, ich wäre tot und im Himmel. Die Anlage von Butlin’s in Minehead hatte erst wenige Jahre zuvor eröffnet und war somit die neuste und glamouröseste dieser Einrichtungen im Land. Der Tag der Ankunft stellte sich für uns als nahezu monumental dar. Es war mein 16. Geburtstag – und wer hielt sich in dem Moment wohl am Empfang auf? Rick Parfitt, der Bursche, der mein lebenslanger musikalischer Partner werden sollte, und meine zukünftige Frau Jean Smith! Natürlich kannte ich die beiden zu dem Zeitpunkt aber noch nicht.

      Als Teil der „Abendunterhaltung“ wurden wir natürlich mit großer Aufmerksamkeit bedacht. Es war mein erster Sommer, nachdem ich die Schule verlassen hatte, und somit war