Ich rede zu viel. Francis Rossi

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Название Ich rede zu viel
Автор произведения Francis Rossi
Жанр Изобразительное искусство, фотография
Серия
Издательство Изобразительное искусство, фотография
Год выпуска 0
isbn 9783854456674



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einen wichsen dürfe, sprachen wir tagelang darüber. Sich einen runterzuholen, war nicht mehr, als sich einfach einen runterzuholen. Doch dafür einen Fünfer zu bekommen – das stellte damals für uns ein Vermögen dar. Wir kamen jedoch schnell zur Besinnung, denn unsere Gehirne hielten die Körper in Schach, weswegen der Friseurbesuch keine so gute Idee mehr zu sein schien.

      Als Teenager wurde ich mehr oder weniger ein Familienmitglied der Lancasters – auf Gedeih und Verderb. Die Lancasters waren die archetypische Hart-wie-Granit-Familie aus Peckham im Süden Londons. Sie hielten eine schwarze Katze mit dem Namen Nigger, doch ließen sich als einander eng verbundene, liebevolle Gemeinschaft beschreiben. Damals fühlte ich mich glücklich, ein Teil von ihnen zu sein. Zum ersten Mal erlebte ich außerhalb meiner eigenen Familie das Gefühl von Zugehörigkeit. Es vermittelte mir den Eindruck von Sicherheit. Doch wenn ich heute zurückblicke, werte ich es als ein Versagen. Dass man mich als Kind so leicht in eine bestimmte Richtung lenken konnte und dass ich so verzweifelt versuchte, mich in eine bestimmte Schicht einzuordnen, war eine eindeutige Charakterschwäche. Es waren gute Leute, doch nicht meine Leute. Ich war schon zufrieden, dass sie mich annahmen, und das stellte sicherlich keine gute Basis für eine gesunde Beziehung dar.

      Wenn ich zurückschaue, erkenne ich vieles in meinem früheren Leben, das mir furchtbar peinlich ist. Ich bin mir sicher, dass es vielen Menschen so geht. Für mich ist das ein positiver Aspekt, denn es beweist, dass man im Laufe der Jahre durch seine Fehler dazugelernt hat. Oft muss man sich vor den Menschen hüten, die auf ihre Kindheit zurückblicken und überhaupt keine Fehler sehen. Rick Parfitt gehörte dazu, doch Rick war ein Einzelkind und meinen Erfahrungen nach entwickeln sich diese Kinder häufig so.

      Während der Kindheit war Alan zwar der Anführer und konnte verdammt einschüchternd auftreten, doch er schätzte unsere Freundschaft und die Unterschiede zwischen uns. Ich war groß, und er war klein. Jahre später, als wir immer noch versuchten, mit Quo durchzustarten, zeigte mir Alan ein Bild von Simon and Garfunkel. Er meinte: „Schau mal, das sind du und ich.“ Ein großer Blonder, ein kleiner Dunkelhaariger. Ich neigte dazu, ihm zuzustimmen, doch dachte insgeheim, dass ich uns überhaupt nicht so sehen wollte. Aber Alan zeigte sich zufrieden, und als Jugendlicher war das alles, was mir wichtig erschien – andere Leute glücklich zu machen, sodass sie sich nicht gegen mich richteten. Und ich gehörte dann dazu. Egal wozu. Hauptsache, man ließ mich nicht draußen in der Kälte stehen.

      Ich lernte Gitarre, indem ich mir Platten anhörte und dazu mitspielte. Zuerst Pop-Scheiben, die ich mochte, danach einfach alles. Ich erinnere mich noch an Guy Mitchell, den Lieblingskünstler von Mum, zu dessen Musik ich klampfte. „Everybody’s Somebody’s Fool“ von Connie Francis gehörte auch zu den Stücken, die ich mir schnell „draufschaffte“.

      Aber Achtung, als Kind war ich in Connie Francis verknallt und stellte mir vor, sie zu treffen und durch meine unglaubliche Fähigkeit zu beeindrucken, ihre Hits zu spielen. Ich liebte ihre Stimme: Dieser besondere Gesangskniff machte ihre Musik für einen vor-pubertären Jungen ungemein sexy. Hinzu kam noch, dass sie Italienerin war. Erst viel später merkte ich, mir eine Art Pop-Version amerikanischer Country-Musik angehört zu haben. Seitdem gefällt mir Country.

      Aus mir sollte nie ein Virtuose werden. Ich nahm nur eine einzige Stunde Gitarrenunterricht bei einem zweifelhaften alten Knacker von Len Stiles Music in der Lewisham High Street. Es war ein Plattenladen, der auch Musikinstrumente verkaufte, darunter E-Gitarren. Len Stiles war der Shop, in dem man abhing, Nelson-Zigaretten qualmte und über Musik fachsimpelte. Der Verkäufer gab Unterricht, und ich glaubte, es sei der beste Ort, um das Gitarrenspiel zu lernen. Doch als ich ihn bat, mir einige Everly-Songs zu zeigen, sah er mich wütend an. „Wir machen hier keinen Mist, Bübchen!“ Mich „Bübchen“ zu nennen, schreckte mich sofort ab. Das klang so altbacken. Ich ging raus und kam nie wieder. Im Grunde genommen waren es sogar zwei Unterrichtstunden – meine erste und meine letzte!

      Danach hatte ich das Gefühl, dass allein der Versuch, ein Instrument zu lernen, veraltet ist. Die Lehrer, die meist alte Tanzlieder oder Balladen zum Unterricht anboten, halfen mir auch nicht weiter. Ich wollte „(Till) I Kissed You“ von den Everlys lernen, nicht irgendeinen steinalten Walzer. Anscheinend musste man zum Autodidakten werden, wollte man die modernen Sounds nachspielen, die im Radio liefen. Zwischen der jüngeren und der älteren Generation bestand damals gar keine Verbindung, was besonders die Musik anbelangte. Die Musiklehrer weigerten sich, jüngeren Instrumentalisten wie mir so einen „Mist“ wie die Everlys oder die Beatles beizubringen. In Letztere hatte ich mich natürlich verliebt, so wie auch alle anderen 1962. Sie ähnelten den Everly Brothers, da sie auch Gitarren spielten, doch sie hatten eingängigere Songs und diesen brillanten Satzgesang, bei dem ihre Stimmen wie eine einzelne klangen.

      Natürlich werden sich bei dieser Information jetzt einige Klugscheißer da draußen „einen abkichern“ und sich darüber wundern, wie das die „beschränkte Bandbreite“ der Musik Status Quos erklären könnte, und uns wieder dieses alte Label aufdrücken – Gesenkte-Köpfe-drei-Akkorde-purer-Boogie. Und ich will einräumen, dass sie auch Grund für die Kritik haben – bis zu einem bestimmten Punkt. Ich war vielleicht niemals in der Lage, Gitarre auf einem so hohen „Jetzt klappt dir aber die Kinnlade runter“-Niveau zu spielen wie Eric Clapton oder Jeff Beck, doch ich zeigte mich fest entschlossen, ein verdammt guter Songwriter zu werden.

      Mal ganz nebenbei bemerkt: Wenn man sich die Musik genau anhört, lässt sich erkennen, dass sowohl ich bei einem eher straighten Song wie „What You’re Proposing“ – 1980 ein großer Hit für Quo – als auch Clapton in seiner leidenschaftlichen Cream-Ära oft dieselben Akkorde nutzten. Es geht nicht darum, wie viele – oder wie wenige – Noten man spielt oder wie schnell, sondern darum, ob die Musik die Seele berührt – oder die Gegend da „unten rum“! Auf einer Gitarre kann man so viele unterschiedliche Noten und Akkorde spielen, doch es kommt letztendlich auf das „Wie“ an. Das bedeutet, dass es wichtig ist, wer du wirklich bist, nicht, was du vortäuschst. Es kursiert eine Story über den großartigen amerikanischen Gitarristen Chet Atkins, die ich wirklich mag. Chet konnte alles spielen, von Country bis hin zu Pop und auch die dazwischenliegenden Stile. Man kannte ihn als Mr. Guitar. Nun, diese Story über ihn mag wohl ein wenig merkwürdig erscheinen, drückt aber alles aus. Chet Atkins saß einmal in einem Gitarrenladen auf einem Stuhl und klimperte so aus Spaß ein wenig auf der Klampfe herum. Einer der Kunden unterbrach ihn und sagte: „Meine Güte, Mr. Atkins, die Gitarre klingt aber wunderschön.“ Chet blickte zu ihm auf und antwortete mit einem einfachen „Yeah“! Er stand auf, stellte die Gitarren in den Ständer und fragte: „Und wie klingt sie jetzt?“

      Die Moral der Geschichte: Jeder kann eine Gitarre in die Hand nehmen, doch ein Musiker wird immer nur wie er selbst klingen. Und darauf sollte man auch abzielen: aus der Gitarre etwas herausholen, das einem was bedeutet. Natürlich benötigte ich lange Zeit, um mir darüber klarzuwerden. Wenn irgendwelche Leute sich über Quo als Drei-oder-vier-Akkord-Band lustig machen, sagt das viel mehr über sie selbst aus als über die Leistungen, die Quo als Band abgeliefert haben.

      In dem Moment, in dem ich die grundlegenden Akkorde beherrschte, sah es mit dem Lernen nicht mehr so rosig aus. Das trifft auch auf Übungen zu, die ich damals nicht benötigte und die ich auch aus dem Fenster warf. Ich behaupte aber nicht, dass das sinnvoll war. Heutzutage übe ich jeden Tag, doch als Jugendlicher war ich noch unbeirrbarer, was eine eigene Band anbelangte. Ich wollte raus in die Welt und überall spielen, wo man uns nur ließ.

      Als ich Alan Lancaster traf, stand ich auf die „ganz harten“ Sachen. Damit meine ich den amerikanischen Rock’n’Roller Jerry Lee Lewis, der mir eine Höllenangst einjagte, und all die anderen wilden und durchgeknallten Sänger wie Little Richard, Eddie Cochran, Gene Vincent, Chuck Berry … Damals entdeckte ich auch Buddy Holly, der den Everly Brothers ähnelte, abgesehen davon, dass er sich durch einen bestimmten außergewöhnlichen Stil absetzte – eine Stimme, mit der er einen Schluckauf simulierte, und eine fantastische Begleitband. Nicht zu vergessen diese Songs, die besten komponierte er selbst … und er trug eine Brille und zählte nicht zu den üblicherweise gutaussehenden Popstars. Damit glich er damals vielen jungen aufstrebenden britischen Musikern. Ich