Название | Der Wünscheerfüller |
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Автор произведения | Achim Albrecht |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783942672221 |
Als ich meine Seele fragte,
was die Ewigkeit mit den Wünschen macht,
die wir sammelten, da erwiderte sie:
‚Ich bin die Ewigkeit‘.
Khalil Gibran
I.
Mein Leben als Arschloch begann mit ungefähr achtzehn Jahren.
Ich sage „ungefähr“, weil ich korrekt sein will. Es kommt darauf an, immer korrekt zu sein. Unkorrektheiten wirken sich langfristig negativ aus und im Nu ist man in eine Falle geraten, aus der man sich nicht mehr befreien kann. Ich bin der Typ, der sich stets befreien kann.
Damals war ich noch siebzehn, wenn man meinen Ausweis zurate zog, und ein zarter Bub ungewissen Alters, wenn man meine Mutter befragen würde. Meine Vorstellungswelt war allerdings schon weit vorher in die Erwachsenenwelt hinüber geeilt und hatte sich mit einem ungesunden Erwerbssinn angereichert, sodass ich mit Recht behaupten kann, ungefähr achtzehn Jahre alt gewesen zu sein, wenn man aus den maßgeblichen Faktoren den Durchschnitt zieht.
Zugegeben, die Selbstbezichtigung als „Arschloch“ mag plakativ und profan klingen, aber glauben Sie mir, ich habe es mir nicht leicht gemacht. Natürlich bin ich nicht vollkommen zufrieden mit dem Ausdruck und seiner Aussagekraft, doch irgendwo sind dem Drang nach Korrektheit Grenzen gesetzt. Eine gewisse Zeit schwankte ich zwischen der Verwendung von „mein Leben als Stück Scheiße“, um die abwertende Verächtlichkeit der einer Fäkalie für meinen damaligen Zustand fruchtbar zu machen und dem weitaus eleganteren Zwillingsbruder des Arschlochs, dem Anus, mit dem eine beinahe aristokratische Selbstbeschimpfung möglich geworden wäre. Letztlich habe ich mich dann aber dem allgemein verständlichen, derben Brauchtum gebeugt, wohl weil es mit dem Gebrauch des Wortes auch eine gewisse Bauernschläue und Schlitzohrigkeit des so Titulierten verbindet. Ich denke, in einem solchen Fall kann man darüber hinwegsehen, dass der After an sich ein ganz und gar nützliches Werkzeug ist, dessen zwei Schließmuskeln, von denen nur der äußere dem Willen des Menschen unterworfen ist, nichts Anrüchiges oder sogar Verwerfliches an sich haben.
Sie mögen an dieser Stelle meinen, dass ich ein komplizierter oder sogar verschrobener Mensch bin, aber da liegen Sie falsch. Ich war überraschend direkt, als ich meiner Mutter das Kissen auf das Gesicht drückte. Es war eines jener riesigen Daunenkissen, in die man einsank wie in einen duftzarten Albtraum, der sich mit frisch gestärkten Leinenzipfeln über die Ohren stülpt. Ich hatte eine veritable Abneigung gegen solche Kissen, die jede Hoffnung auf einen geruhsamen Schlaf in sich begruben wie pausbackige Totenwächter. An jenem Tag aber entdeckte ich in ihnen eine erfrischend neue Funktionsweise und tatsächlich harmonierte der kalkig weiße Blähbauch des Kissens auf das Beste mit dem mütterlichen Torso im hellblauen Seidenschlafanzug, der in einer ersten Abwehrreaktion auf das Ersticken in eine unerquickliche Unordnung geraten war.
Meine Mutter war beileibe nicht alt oder schwach. Ihr unkoordiniertes Fuchteln und Schütteln verriet allerdings, dass sie in Kämpfen existenzieller Art ungeübt war. Die gedehnten Laute, die aus der Umarmung des Kissens herausdrangen, beunruhigten mich nicht weiter. Ich hatte sie erwartet und war sogar ein wenig enttäuscht, weil ich mir in Gedanken ein dramatischeres Szenario ausgemalt hatte. Einzig die Vorstellung, dass sich ihr fröhliches Make-Up auf dem Kissenbezug in rutschigen Schlieren abbilden und mich vor dem notwendigen Waschgang als karikierte Totenmaske anstarren würde, hatte etwas ganz und gar Unappetitliches und mit meinem Appetit ist es ohnehin nicht zum Besten bestellt.
Wahrscheinlich haben Sie mich an dieser Stelle bereits missverstanden. Es war keineswegs der Mord an meiner Mutter, der mich zum Arschloch machte. Um genau zu sein, war es ohnehin kein Mord, sondern eine Tötung, der jede Verwerflichkeit abging. Auch beim Erzählen ist es schwierig ganz korrekt zu sein, denn ganz korrekt handelte es sich bei der Episode mit meiner Mutter um einen Versuch der Tötung auf Verlangen. So stand es jedenfalls in dem Strafrechtslehrbuch, bei dessen Kapitel über Gewaltdelikte ich Aufschluss suchte. Und weil es so war, musste ich mich auch über den unfairen Gebrauch emotionaler Abwehrmittel durch meine liebe Mutter aufregen.
Ich hatte bei Gott andere Dinge zu tun, als Kissen auf ein gealtertes Gesicht zu drücken, ein Gesicht, das in den letzten Monaten in Tränenfalten zerfloss und aus einem makellosen Porzellangebiss flehte, man möge es doch von den elenden Schmerzen befreien, die das Alter und das Rheuma mit sich brächten. Nur wenn Zigaretten, Gin und eine erkleckliche Anzahl der verschiedensten Schmerzmittel ihre betäubenden und vergiftenden Sendboten schickten, wurde die weinerliche Litanei unterbrochen und wich einem Rausch, der für eine vorübergehende Entspannung sorgte.
Schon frühzeitig hatte ich den Verdacht, dass das Verhalten meiner Mutter eine Masche sein könnte. Sie hatte ein Faible dafür entwickelt, sterben zu wollen, wenn etwas nicht nach ihren Wünschen lief. Begonnen hatte es wohl mit dem Verschwinden meines Erzeugers, der sich absetzte, als er von meiner embryonalen Existenz erfuhr. Als Strafe servierte mir meine Mutter die endlose Klage von der Undankbarkeit meines Vaters, der doch wohl unwidersprochen zuerst ihr intimer Freund gewesen sein musste, bevor er zu meiner Zeugung schritt. So erfuhr ich in jungen Jahren, dass ich mit einer Art Erbschuld auf die Welt gekommen war, die es bis zum seligen Ende meiner Mutter abzutragen galt.
Mit etwas gutem Willen drängt sich der Schluss auf, dass ich mit der Kissenaktion lediglich einen Herzenswunsch meiner Mutter erfüllte, einen Wunsch, mit dessen Ausführung sie ihren hingebungsvollen Sohn beauftragte, weil sie selbst zu einem Selbstmord nicht in der Lage war. Ja, Sie lesen richtig. „Hingebungsvoll“ ist der Ausdruck, der das Verhältnis zu meiner Mutter am besten charakterisiert. Selbst bei den gemeinsamen Wannenbädern war sie die Fürsorge selbst. Wie eine aus Schaum geborene Fee achtete sie darauf, dass ich nicht nur oberflächlich eintauchte, sondern mich gründlich wusch und reinigte. Oft ging sie mir zur Hand und es ist für mich schlicht unvorstellbar, dass einmal die Zeit kommen muss, wo ich mit einer langstieligen Bürste meinen Rücken selbst zu schrubben habe. Fast kommen mir bei dem Gedanken an dieses Bild vollkommener Verlassenheit die Tränen und ich vergehe in einem Anflug berechtigten Selbstmitleids.
Es ist natürlich nicht so, wie Sie denken mögen. Das enge Band zwischen Mutter und mir ist keineswegs sexueller Natur. Sie ist eine robuste Frau mit einer ausgeprägten Körperlichkeit und einem lebhaften Gesicht. Was sie so anziehend macht, ist ihre grenzenlose Bereitschaft zu großen Emotionen. Wie die Zelebrierung ihres Leides vollbringt sie auch Großtaten auf dem Hochaltar der Leidenschaft. Das ist es, was sie für andere Männer so anziehend macht. Ich weiß es, denn sie hat es mir selbst aus einem ihrer Heftchenromane vorgelesen. „Hochaltar der Leidenschaft“ hatte mir schon gut gefallen, als ich noch nicht verstand, um was es ging. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass ich jetzt verstehe, um was es geht.
Wenn sie romantisch gestimmt war, vollzog sich mit ihrem Körper eine Metamorphose. Er behängte sich mit einem schreiend orangefarbenen Babydoll, das bis knapp zur Gesäßfalte reichte, schlüpfte in hochhackige Pumps und bestrich sich mit ausdrucksvollen Farben, die aus einer unscheinbaren, bäuerlichen Erscheinung eine Venusfliegenfalle machten.
Und dann kamen die Onkel mit ihrer Geilheit und ihrem Geld. Ich hatte viele Onkel. Manche waren polternd und jovial, andere warfen scheue Blicke um sich, als seien sie in eine Räuberhöhle geraten, und nicht wenige flößten mir Unbehagen ein, wenn sie abwesend meinen Kopf tätschelten und dabei meine Mutter witternd im Auge behielten wie Raubtiere vor dem Sprung. Alle ohne Ausnahme taten mit ihrem Geld Buße für das, was mein Vater uns angetan hatte und alle ohne Ausnahme fielen der Rache meiner Mutter zum Opfer, die sie ausplünderte und mit Verachtung im Herzen ihre Körpersäfte aufnahm, bis ihre Verehrer winselnd und friedlich ihre hochmütige Absolution empfingen und davonschlichen.
So jedenfalls hat es meine Mutter erzählt und ich habe keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Sie waren ihr nicht gewachsen, die fremden Männer, die für meinen Vater büßten und unser Leben finanzierten, aber immer, wenn meine Mutter über meinen Hals strich und mit einem schiefen Lächeln bemerkte, mein Adamsapfel springe genauso auffällig vor wie der meines Vaters, merkte ich, dass