Название | Der Wünscheerfüller |
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Автор произведения | Achim Albrecht |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783942672221 |
Wie Sie richtig bemerken, hatte jeder etwas von meinem Eingreifen – außer mir. Ich hatte mir die Kleidung und ein Stück weit meine Nerven ruiniert. Ich war das Risiko eingegangen, dort stümperhaft zu agieren, wo ich keine Routine hatte. Andererseits – sollte ich etwa zuerst das Ausbeinen und Nähen erlernen, bevor ich zur Tat schritt? Hier schließt sich der Kreis der Argumente. Besser ist ein unvollkommenes Ergebnis in mehreren Anläufen als ein vollkommenes Zögern. So sehe ich das.
Meine Erfahrung mit der Sache war, dass es sich einfacher mit dem Prädikat lebte, ein großes Arschloch zu sein als ein menschenfreundlicher Altruist. Altruisten nimmt man im Alltag als gegeben hin. Es sind die Freiwilligen, die sich ehrenamtlich um andere kümmerten, die Helden des Alltags, denen man vor der Silvestergala mit warmen Worten öffentlich dankt, um sie möglichst schnell zu vergessen. Altruisten sind farblose oder fanatisch auf Gut gepolte Wesen, das schlechte Gewissen der Gesellschaft, der schmerzhafte Pickel auf der Seele, der eigenes Engagement einfordert. Man trifft sie in Kirchen und Gemeindezentren, bei elitären Wirtschaftsvereinigungen und in Vereinen, die sich um Erdbebenopfer in Südamerika, Mukoviszidose-Kranke und den vom Aussterben bedrohten gelbfleckigen Feuersalamander in den Alpenregionen sorgen. Überall tummeln sie sich und treten mittlerweile massiert in jeder Form und Gestalt auf.
Ich hatte nicht vor, mich an derartigen Aktivitäten zu beteiligen. Ich hatte ein für mich passendes Konzept gefunden, das mir die gesamte Verantwortung aufbürdete, aber auch die maximale Handlungsfreiheit beließ. Was ich von den anderen lernen konnte, war, dass Altruisten zugleich Arschlöcher sein konnten. In den Sprüchen des weisen Salomo heißt es, dass man dem Stier, der da drischt, nicht das Maul verbinden soll. Falls Ihnen diese Aussage zu kryptisch erscheint, wiederhole ich sie gerne: Für gute Arbeit soll man auch einen angemessenen Lohn erhalten, und wenn kein solcher geboten wird, muss man improvisieren. Wie Sie wissen, bin ich ein Meister der Improvisation und von meiner Grundeinstellung einem kleinen Kompensationsgeschäft für meine Mühen nicht abgeneigt. In Altruisten-Kreisen nennt man diesen Vorgang Aufwandsentschädigung. Wenn man es richtig anstellte, konnte man auch bei gemeinnützigen Aktionen eine angemessene Entlohnung erwarten. Ich wusste noch nicht genau, wie ich es anstellen würde, aber allmählich reifte ein Plan heran, den ich recht bald umzusetzen gedachte.
In der Zwischenzeit versuchte ich mir nicht allzu viele Sorgen zu machen und ertrug die erstickende Enge in der Wohnung meiner Mutter, wie es nur ein in sich ruhender Wünscheerfüller zu tun vermag. Nun, so ganz ruhte ich nicht in mir selbst, denn flüchtige Gedanken an das Mädchen im Bus und ein allgemeines Gefühl der Beklemmung belasteten mich. Es ist einfach nicht das Richtige, sich als selbstständiger junger Mann in einer gewerblich genutzten Dienstwohnung einzuigeln und in Schulbücher zu starren, während das Leben vorbeizieht, als hätte es mit einem nichts zu schaffen. Eine Zeit lang trotzte ich den eisigen Temperaturen und frequentierte Spielhallen und Hinterhofkasinos, wo ich bulgarische Fälschungen in beste Währung transformierte. Niemand beachtete den schlaksigen Mann, der sein Geld in homöopathischen Dosen einsetzte und wie ein Schatten verschwand, wenn er einige Scheine getauscht hatte.
An einem Tag, der sich mit dem Winter verschworen hatte, einer Tauperiode mit strengem Frost ein Ende zu setzen, kaufte ich mein erstes Auto. Das Fahrzeug war ähnlich unspektakulär wie der Betriebshof des Gebrauchtwagenhändlers. Er streute Asche auf den soliden Eispanzer, der sich wie ein milchiger Film aus Glätte über den Beton gelegt hatte. Seien Sie unbesorgt. Ich griff nicht unbeherrscht nach den Sternen. Im Gegenteil. Ich hatte mich für ein gebrauchtes koreanisches Modell entschieden, das viele Konsonanten und ebenso viele Vokale im Namen trug und sich sichtlich schwer tat, mit derartig widrigen Witterungsbedingungen fertig zu werden. Es war ein zierliches Ding mit nettem Gesichtsausdruck und einer Ausstattung, die ganz auf Frauen abgestellt war. Wenn man so sagen will, war es ein Auto zum Knuddeln.
Normalerweise hätte ich eher zu etwas Robusterem gegriffen, aber der unübertroffen günstige Preis und das Servicepaket siegten über die Leidenschaft. Ich redete mir ein, dass das Fahrzeug für den Stadtverkehr wie geschaffen und überdies mit seinen eindrucksvollen Verbrauchs- und Abgaswerten ökologisch mehr als korrekt sei. Derart seelisch gestärkt fuhr ich davon. Sie können sich vielleicht vorstellen, in welch geordneten Bahnen mein Leben verlief, wenn ich diesen Kauf zu den Highlights der letzten Wochen zählen musste. Zumindest gestattete es mir der Wagen, meinen Bewegungsradius wesentlich zu erweitern und ernsthaft auf Wohnungssuche zu gehen, denn dem Zusammenleben mit meiner lieben Mutter waren deutliche Grenzen gesetzt.
Ging mir die Frau, die mir das Leben geschenkt hatte, bislang auf den Geist mit ihrem tranigen Selbstmitleid, das sie dem Bruder Alkohol und dem tragisch verstorbenen Bert in die Arme trieb, hatte sie zwischenzeitlich einen Schalter umgelegt und erschien geradezu beängstigend alert und tatendurstig. Bisher war es mir gelungen, sie dank eines ausgeklügelten Anreizsystems auf der Schiene der Profitabilität zu halten. Jetzt schien sie mir in einem Höhenflug von Eigeninitiative zu entgleiten. Es ist richtig, dass ich ihr den Besuch eines Treffens der „Anonymen Alkoholiker“ ans Herz gelegt hatte, weil ich wie jeder gute Junge um den Zustand meines wertvollsten Investitionsgutes fürchtete. Sie sollte aus dem Stupor von Trauer und Alkohol, der sie umgab wie eine unsichtbare Mauer, entkommen, um mit frischen Kräften ihrem Gewerbe nachgehen zu können. Das war für uns alle wichtig, vor allem für die Einnahmenseite und den Kundenbindungsaspekt. Ein wenig Traurigkeit und Weltschmerz konnte man noch gut vermarkten, nicht aber eine niveaulose Inszenierung ohne Kraft und Fantasie.
Ich hatte mir vorgestellt, dass man sich bei den Treffen als Alkoholiker outete, um in der Gruppe Kraft zu schöpfen und die Last der eigenen kümmerlichen Existenz auf mehrere Schultern zu verteilen. So harmlos war es aber nicht, denn das System wirkte. Es wirkte Wunder und erwischte mich auf dem falschen Fuß.
Meine liebe Mutter wurde zu einer Gläubigen. Sie wurde zu einer Gläubigen mit Sendungsbewusstsein und Charakterstärke. Natürlich litt sie. Sie litt sogar wie ein Stück Vieh, aber sie kämpfte mit den dunklen Mächten, wie sie das Verlangen nach der dämpfenden Wirkung des Alkohols zu nennen pflegte, und kam eines schönen Morgens in der Realität an. Der ungeschminkte Tag hieß sie willkommen und brachte sie auf die Idee, sich neu einzukleiden. Bleich, aber voller Elan interessierte sie sich für modische Blazer, sportliche Blusen und einen extravagant geschnittenen Cardigan mit Schalkragen. Die Farben waren damenhaft dezent gewählt und die Accessoires strahlten jenen Frischekick aus, den man sich erlaubte, wenn man wusste, dass der Frühling vor der Tür stand. Bis hin zu den Slingpumps mit grün gepaspelten Ausschnitten und Fersenriemchen sahen die Kombinationen unschuldig und bezaubernd aus. Meine Mutter strahlte und ich machte mir Sorgen.
Wie ein Wirbelwind fegte sie durch die Wohnung und liebkoste mich mit cremezarten Fingerspitzen beiläufig neben dem Adamsapfel. Es war, als habe sie die neue Leichtigkeit des Seins entdeckt. Als sie von der Renovierung der Wohnung sprach und mit einem schelmischen Lächeln bemerkte, sie müsse ihr Leben von Grund auf ändern, machte ich mir noch mehr Sorgen. Ich bemühte mich um Gelassenheit und fragte mit betontem Desinteresse, wie sie ihre Laufbahn als Spezialitätendienstleisterin zu gestalten gedenke. Sie überlegte keinen Moment und hieß mich auf höchst alarmierende Weise ihr kleines Dummerchen. Das „Dummerchen“ flötete sie hinaus, als habe sie das Tremolo auf dem letzten Wortteil seit Tagen eingeübt. So wenig griffig die Formulierung war, so gut wusste ich, was sie zu bedeuten hatte – und Sie wissen es auch.
Der