k-punk. Mark Fisher

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Название k-punk
Автор произведения Mark Fisher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862872374



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»unterbrochen von sinnlosen Gewaltakten«14. Auf den ersten Blick mag der Roman wie ein längst überfälliger Verriss der Mittelklasse wirken, in dem der Leser der brutalen Vernichtung der heiligen Kühe der Bourgeoisie beiwohnen kann. Tate Modern … Pret A Manger … das National Film Theatre … sie alle verbrennen in Ballards Bürgerterror.

      »Ich bin Spendensammlerin für die Royal Academy. Es ist ein einfacher Job. Diese Vorstandsvorsitzenden glauben alle, Kunst sei gut für ihr Seelenheil.«

      »Ist das nicht so?«

      »Es lässt ihre Gehirne verfaulen. Tate Modern, die Royal Academy, die Hayward Gallery … Das ist Walt Disney für die Mittelklassen.«15

      Die Mittelklasse-Aufständischen des Romans erscheinen zunächst als Jammerlappen, denen übel mitgespielt wurde und deren Beschwerden über die steigenden Betreuungskosten und Schulgebühren sowie die »Ungerechtigkeit« der zu hohen Mieten ihrer Wohnungen, die ihnen immer noch nicht luxuriös genug sind, das Thema endloser Medienkolumnen sind. »Glaub mir, bei der nächsten Revolution dreht es sich ums Parken«16, sagt eine Figur im Roman, ein Echo der Benzinpreis-Revolten vor vier Jahren und eine Vorwegnahme der Ikea-Unruhen 2005. Sobald ihre Unzufriedenheit aber einmal erregt ist, werden die Ziele dieser Gruppe ehemaliger Professioneller weniger spezifisch, weniger instrumentell.

      Wie die Situationisten wollen auch die Aufständischen von Ballards fiktionaler Stadt Chelsea Marina das »20. Jahrhundert zerstören«:

      »Ich dachte, das sei vorüber.«

      »Es dauert noch an. Es prägt alles, was wir tun, die Art wie wir denken. (…) Genozide, Kriege, die eine Hälfte der Welt mittellos, die andere schlafwandelt durch ihren eigenen Hirntod. Wir haben ihm seine billigen Träume abgekauft und jetzt können wir nicht mehr aufwachen.«17

      Millennium People ist in vielerlei Hinsicht die englische Antwort auf Fight Club (unnötig zu sagen, dass die Chancen, in England Millennium People in einer Weise zu verfilmen, die dem Buch auch nur annähernd gerecht wird, noch mehr als verschwindend gering sind – und zwar weil die Filmindustrie in den Händen genau der Nörgler ist, die der Roman attackiert). Wie Fight Club beginnt das Buch mit einer Tirade über den in Stichpunkten sprechenden und markenorientierten Hyper-Kon­formismus im modernen Berufsleben, doch es endet im Über-Faschismus (surfascism).18

      Die wichtigste Figur in diesem Zusammenhang ist Richard Gould, der, wie viele der Charaktere bei Ballard, kaum mehr als ein Sprachrohr der Theorien des Autors ist. (Und das ist natürlich in Ordnung: Wir brauchen mehr »gut gezeichnete Charaktere« so wie wir auch mehr »gut durchdachte Sätze« brauchen. Die »Creative Writing«-Mafia der University of East Anglia hat ihr Ende genauso verdient wie all die anderen gemütlich deprimierenden Ziele von Ballards pyromaner Prosa.)

      Gould wiederholt im Grunde dieselbe Attacke auf den »vollklimatisierten Totalitarismus« der zeitgenössischen Sicherheitskultur wie sie bei Nietzsche, Mauss, Bataille, Dada, dem Surrealismus, dem Situationismus, dem Lettris­mus, Baudrillard und Lyotard bereits anvisiert wurde:

      »Wir leben im Gefängnis eines soften Regimes, das von früheren Generationen von Insassen gebaut wurde. Irgendwie müssen wir uns befreien. Der Anschlag auf das World Trade Center 2001 war ein mutiger Versuch, Amerika vom zwanzigsten Jahrhundert zu befreien. Die Tode waren tragisch, aber ansonsten war es ein bedeutungsloser Akt. Und das war der Punkt. Wie der Anschlag auf das NFT.«19

      Gould wiederholt Nietzsches These, dass die Menschen Grausamkeit, Gefahr und Herausforderungen brauchen, die Zivilisation ihnen aber Sicherheit gibt. Gould erinnert aber ebenso an Fukuyamas Wiederholung von Nietzsches Unbehagen in der Zivilisation wie an Nietzsche selbst.

      Es ist Fukuyamas Nietzsche – die Klage über das Übel des faden Egalitarismus und der leeren Inklusion –, der heute am relevantesten ist. Wenn man die entsetzte Beschimpfung des Herdenkultes der verwalteten Sicherheit bei Nietzsche liest (die so schwach und schal ist, dass sie ihren echten Kampfesruf niemals über die Lippen bringt: »Lang lebe das Mittelmaß!«), kann man nicht anders, als an Tony Blair und den Millennium Dome zu denken, dessen blasse und paradoxerweise sich selbst abwertende Großspurigkeit sich unglücklich abhebt von der grausamen Opulenz der Denkmäler, die in den von Nietzsche so geliebten, tragischen und heroischen Gesellschaften der Antike errichtet wurden.

      »Demokratische Gesellschaften«, schrieb Francis Fukuyama in Das Ende der Geschichte,

      »fordern eher die Überzeugung, daß alle Lebensstile und alle Werte gleich seien. Sie schreiben ihren Bürgern nicht vor, wie sie leben müssen oder was sie glücklich macht, gut oder berühmt. Statt dessen kultivieren sie die Tugend der Toleranz, Toleranz wird zur wichtigsten Tugend überhaupt in demokratischen Gesellschaften. Wenn die Menschen aber nicht mehr anerkennen können, daß eine bestimmte Lebensweise höher steht als eine andere, dann greifen sie darauf zurück, das schiere Leben anzuerkennen, das heißt den Körper, seine Bedürfnisse und seine Ängste. Nicht alle Seelen sind gleich gut oder begabt, aber alle Körper können leiden; daher spielt das Mitleid in demokratischen Gesellschaften eine große Rolle, und die Frage, wie der Körper vor Leiden bewahrt werden kann, erlangt höchste Priorität. Es ist kein Zufall, daß die Menschen in demokratischen Gesellschaften so sehr mit materiellem Erwerb beschäftigt sind und daß ihre Wirtschaft darauf ausgerichtet ist, die Myriaden kleiner Bedürfnisse des Körpers zu befriedigen. Nietzsche zufolge haben die letzten Menschen ›die Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man braucht Wärme‹.«20

      »Wir müssen Ziele auswählen, die keinen Sinn ergeben.«21

      Während die Charaktere in Die Schreckensgalerie versuchen, das mediale, traumatische Gründungsereignis der 1960er Jahre zu reinszenieren – die Ermordung John F. Kennedys – versuchen die Figuren bei Ballard dasselbe für die Nullerjahre mit 9/11. Traven/Tallis/Travis wollen Kennedy noch einmal töten, »nur diesmal soll es Sinn ergeben«. Gould hingegen möchte, dass 9/11 geschieht, aber in einer Weise, die keinen Sinn ergibt.

      Für Gould gibt es in der (post)modernen Welt einen Exzess des Sinns, einen Überschuss der Bedeutung. »Bringt man einen Politiker um, ist man an das Motiv gebunden, das einen den Abzug drücken ließ. Oswald und Kennedy, Princip und der Erzherzog. Bringt man jedoch wahllos jemanden um, schießt man in einem McDonald’s mit einem Revolver um sich – tritt das Universum zurück und hält den Atem an. Besser noch, man bringt fünfzehn Leute wahllos um.«22 Insofern ist der Mord an der Fernsehjournalistin Jill Dando eher eine Vorlage für Goulds antipolitischen Aufstand als 9/11, da die Gewalt der Anschläge immer noch (zu) intendiert war, zu sehr mit Bedeutung aufgeladen. Der Mord an Dando hingegen – brutal, bedeutungslos und ohne ein erkennbares Motiv – war ein direkter Angriff auf das BBC, ihr »Regime der Mäßigung und des gesunden Men­schenverstands«23 und die »Festung aus Verpflichtun­gen«24, die es zusammenhielt. Bei einer solchen Tat, deren einziges Motiv ein Angriff auf die Idee eines Motives an sich ist, eröffnet sich ein »leerer Raum, in den wir mit wirklicher Ehrfurcht starren könnten. Widersinnig, unerklärlich, so rätselhaft wie der Grand Canyon.«25

      Gould ist ein eleganter und eloquenter Vertreter der »Abschaffungslinie« (Deleuze/Guattari), dem faschistischen Drang zur Zerstörung, der in letzter Instanz ein Drang zur Selbstzerstörung ist. Ballard, der – was ihm hoch anzurechnen ist – sich billigen Moralisierungen immer verweigert hat, würde einer solchen Darstellung zweifelsohne widersprechen, da eine Verurteilung oder Zensur Goulds genau die sicherheitspolitischen Werte be­stätigt, die er versucht zu unterlaufen.

      Das in politischer Hinsicht Spannendste an Millennium People ist nicht die in vielerlei Hinsicht bekannte, bedeutungslose Gewalt, sondern die Punk-Theorie des Klassenkampfes.

      »›Twickenham ist die Maginot-Linie des englischen Klassensystems. Wenn wir hier durchbrechen können, wird alles fallen.‹

      ›Die Klassensysteme sind also das Ziel. Sind die nicht universell – Amerika, Russland …?‹

      ›Natürlich. Aber nur hier ist das Klassensystem ein