Название | k-punk |
---|---|
Автор произведения | Mark Fisher |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862872374 |
Heute wissen wir – auch wenn das nicht die Spannung des Romans ausmachen kann –, dass es sich bei dem Bergarbeiterstreik um eine gescheiterte Proletarisierung gehandelt hat. Auf die Ereignisse, die das Buch beschreibt, folgten Fragmentierung, neue Möglichkeiten für eine Minderheit, und Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung für die Mehrheit. Die mobilen Streikposten, die Arthur Scargill in den späten 1960ern und frühen 1970ern so erfolgreich einsetzte (und die an der Demütigung und dem Zusammenbruch der Regierung Heath entscheidenden Anteil hatten), wurde mit umfangreichen Mitteln bekämpft (einschließlich einer hochorganisierten Bekämpfung der Streikaktionen durch den MI5), die schon zu Zeiten entstanden, als die Tories noch in der Opposition waren. Das Ziel war, die Solidarität unter den Arbeitern zu zerschlagen und zu verhindern, dass sie durch andere Industriezweige unterstützt werden. Die Entstehung des Working Miners Committee und der Union of Democratic Mineworkers (UDM) waren dafür entscheidend. Die Deterritorialisierung des Kapitals – seiner Verwandlung in »Nachrichten, die unmittelbar von einem Knotenpunkt zum anderen geschickt werden, über die ganze, frühere Welt, die frühere materielle Welt«40 – ging nicht mit einer Deterritorialisierung der Arbeit einher. Die Bergarbeiter wurden dazu verführt, sich mit ihrem eigenen Territorium zu identifizieren, anstatt mit der Industrie als Ganzes; deswegen gingen die Bergarbeiter in Nottinghamshire und Derbyshire wieder an die Arbeit, weil sie glaubten, damit ihre Zukunft zu sichern, aber in einer bitteren Ironie der Geschichte kein besseres Schicksal erfuhren als die Bergarbeiter anderer Zechen. Innerhalb eines Jahrzehnts ging fast die gesamte Kohleindustrie in England zugrunde und weder die Mitglieder der UDM noch der National Union of Mineworkers (NUM) hatten ein Auskommen.
Ja, all das wissen wir heute. Doch Peace stellte die Dramatik wieder her, indem er alles im Nachhinein gewonnene Wissen ausschließt. Die Ereignisse treten einem entgegen, wie als würden sie zum ersten Mal geschehen und zwar ohne den lindernden Schutzschild einer allwissenden Autorstimme. Wie Joseph Brooker in einem langen Artikel über GB84 in der aktuellen Ausgabe von Radical Philosophy schreibt41, fehlt dem Roman jede vermittelnde Metasprache. Die Tragik, die bereits von den ersten Szenen des Romans ausgeht, entsteht durch das Wissen, das wir, die Leser, vom Verlauf der Ereignisse mitbringen – aber das den Protagonisten notwendigerweise verwehrt ist.
Kontrafaktische Erzählung sind eine Domäne der reaktionären Rechten und Peace widersteht der Versuchung, die Tatsachen nachträglich zu verändern. Seine retrospekulative Literatur entsteht im Raum zwischen Fakten, Erschließung, Schlussfolgerung und Mutmaßung. Aber die Frage, die man sich als Leser stellen muss, ist: Was wäre, wenn die Bergarbeiter doch gewonnen hätten? (Eine Frage, die darum eine gewisse Brisanz enthält, weil spätere Erkenntnisse gezeigt haben, dass die Regierung einer Niederlage sehr viel näher war als vorher angenommen.) Das Narrativ, in dem der Streik nun stattfindet – dem einzigen Narrativ, das es gibt, der Geschichte des globalen Kapitals –, besagt, dass der Streik bereits den Rückgang organisierter Aufstände der Arbeiterklasse bedeutete. Die Niederlage war unvermeidlich, eingeschrieben in den historischen Übergang vom Fordismus zum Postfordismus. Die radikale Linke wird überflügelt und kämpft unter einem der Vergangenheit angehörenden Banner für die »Geschichte des Bergmanns. Die Tradition des Bergmanns. Das Erbe ihrer Väter und deren Väter«42.
Eine solche Narrativierung wirft jedoch Fragen auf, da die Glaubwürdigkeit dieser Erzählung auf den Ereignissen des Streiks, wie sie sich wirklich entfaltet haben, beruht. Aber was, wenn es anders gewesen wäre? Unter dem Aspekt der Ewigkeit ist alles unvermeidlich und wir sind alle Spinozisten. Das Leben jedoch muss »vorwärts« gelebt werden, was uns zu Existenzialisten wie Sartre macht. Wenn man das Buch heute liest, entsteht zwangsläufig eine Spannung zwischen diesen beiden Positionen, zwischen dem Wissen, dass alles schon geschehen ist und so tun, als ob noch nichts geschehen wäre.
Eine Bande von Doppelgängern, fast Duplikaten, spukt durch die Seiten von GB84, dieser »Fiktion auf der Basis von Fakten«. Peace schreibt eine geheimnisvolle Geschichte der Gegenwart, in dem er die jüngste Vergangenheit simuliert. Die dramatis personae tragen nicht dieselben Namen wie ihr realhistorisches Pendent, manchmal haben sie überhaupt keine Namen, sondern nur Titel, die ihre strukturelle Position markieren: der Präsident, der Vorsitzende, der Minister. Manchmal werden reale Namen leicht verändert; in GB84 wird aus dem Geschäftsführer der NUM Roger Windsor der glücklose Terry Winters. Das Verhältnis dieser Simulationen zu ihren realen Vorbildern ist komplex. Der Präsident ist nicht Scargill. Aber er ist auch nicht nicht Scargill. Ohne Zweifel hat Peace teilweise die Namen geändert, um juristische Probleme zu vermeiden, doch auf merkwürdige Weise verleiht die imaginative Freiheit, sich von den tatsächlichen Biographien zu entfernen, den Figuren mehr Wirklichkeit. Er schafft es, in ihr Inneres zu blicken, wie es ihm bei echten Personen nicht gelungen wäre.
Am kontroversesten ist seine Darstellung von Stephen Sweet, dem professionellen Streikbrecher, der nach dem Vorbild Thatchers rechter Hand, David Hart, entworfen ist. Hart war die treibende Kraft hinter der Gründung des Working Miners Committee und der UDM. Im Roman sehen wir, wie Sweet den entscheidenden Kampf zwischen Polizei und Streikposten in der Kokerei Orgreave plant. (Heute gilt es als schwerer strategischer Fehler der NUM, dass alle Ressourcen auf Orgreave verwendet wurden.) Sweet wird die ganze Zeit als »der Jude« bezeichnet. Auch wenn diese Designation unangenehm ist – was sie auch sein soll, wie Peace gesagt hat –, wird jeder Verdacht des Antisemitismus durch ein genaues Lesen des Romans sofort widerlegt. Alles, was wir von Sweet sehen, erfahren wir durch die Augen seines Chauffeur-Faktotums Neil Fontaine. (Diese Distanzierung ist wichtig, da Sweets Wichtigtuerei und Prunk ein bisschen unglaubwürdig wirken. Es scheint, als fehle Peace die Sympathie für eine überzeugende Darstellung der Figur. Vielleicht war Hart aber auch die leicht absurde Person, als die Peace ihn im Roman darstellt. Jedenfalls macht Peace nicht den Fehler, Sweet als wissentlich bösartige Figur zu portraitieren; im Gegenteil, Sweet sieht seine Arbeit in einem messianischen Licht.)
Fontaine, wahrscheinlich ein korrumpiertes Mitglied der Arbeiterklasse, der für den Geheimdienst gearbeitet hat, ist als Romanfigur ein leeres Blatt, ein auf seine Funktion reduzierter Mensch (im Buch wird er verdoppelt durch David Johnson, den Mechaniker, der zu seinem Antagonisten wird, in der Vergangenheit aber zweifelsohne ein Verbündeter war). Es ist Fontaine, ein Mann mit rechten Meinungen und Verbindungen und wenig Leidenschaften, der nicht aufhören kann, Sweet als »den Juden« zu sehen. Diese Perspektive unterstreicht die provisorische Natur der Allianz, die Thatcher ins Leben rief: Irgendwie konnten im Programm Thatchers Faschisten mit Juden koalieren und Nationalisten mit Agenten des multinationalen Kapitalismus.
Fontaine ist in GB84 auch das Bindeglied zwischen den offenen und geheimen Aktionen des Staates gegen die Streikenden. Es ist die Aufdeckung der Rolle, die der Geheimdienst MI5 spielte, die Peace auf das Terrain endemischer Korruption und Verrats führt, das er in der Red Riding Quartett-Reihe so eindrücklich abgesteckt hat. Obwohl Peace es eigentlich so meisterhaft versteht, sich (und damit uns) in das Leben unverbesserlich korrupter Marionetten hinein zu versetzen, gibt es in GB84 keinen Polizisten als Hauptfigur. Es gibt Funktionäre des Staates: Fontaine, Johnson, aber vor allem Malcom Morris, ein Mann, dessen Rolle im Schatten bleibt, eine Chiffre, ein Spezialist für Abhöraktionen, der in einem an Francis Bacon erinnernden Delirium glaubt, dass seine Ohren ständig bluten …
In GB84 ist der MI5 die entscheidende Institution, die Terry Winters spektakulär unkluge Reise nach Libyen organisieren. Wie kann man die Fernsehbilder vergessen, in denen Roger Windsor Gaddafi in dessen Zelt küsst? Winters/Windsors Reise nach Libyen