k-punk. Mark Fisher

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Название k-punk
Автор произведения Mark Fisher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862872374



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im Bergarbeiterstreik war ein wenig anders: Die Regierung Thatcher hatte unerlaubterweise die Ölimporte aus dem vermeintlich geächteten Regime erhöht, um der Gefahr von Stromausfällen vorzubeugen.) Das Ausmaß der Verschwörung zwischen Wind­sor/Win­ters und dem Geheimdienst bleibt offen. Er wollte den Roman als »Chaos« belassen, das der Streik war.

      Die Verdopplung der historischen Fakten mit Peace’ Version von ihnen gehört zum Innersten des Romans, dessen fiktionaler Strang durch die Tagebucheinträge zweier Bergarbeiter gebrochen wird, Martin und Peter. Ihre Berichte, verfasst in dem Dialekt aus Yorkshire, den Peace so wunderbar einsetzt, waren »nicht fiktionalisiert«, so der Autor. Hier tauchen Scargill, Macgregor, Thatcher, McGahey und Heathfield unter ihren echten Namen auf. Die in der ersten Person verfassten Berichte zeugen vom düsteren Elend des Streiks, aber auch von der Kameradschaft, die einen Kontrast zu den Gemeinheiten, der Korruption und den hochrangigen Treffen darstellt, die den zentralen Erzählstrang des Romans ausmachen.

      Peace sagt, dass er zuerst sich selbst in die Vergangenheit versetzt und dann beginnt, sich Vorstellungen zu machen. Es ist wie eine Art Method Writing oder eine Zeitreise. Peace hat dafür eine Reihe von Tricks ausprobiert. Er verwendet skeptische Zeitungsberichte, Bücher, aber vor allem Popmusik – nicht die Musik, die er selbst angehört hätte oder überhaupt gehört hat, sondern Songs, die damals allgegenwärtig waren und so zu einer Art Audio-Madeleines werden. Und so durchsucht er den Schund der Flohmärkte aus den Jahren 1984 und 1985 und findet unter dem dumpfen Glanz des weggeworfenen Post-New-Pop eine codierte Geschichte des Streiks. GB84 beginnt mit Nenas »99 Luftballons«, das zu einem apokalyptischen Karnevalslied wird, voll von all den Hoffnungen, die am Ende des langen Gewaltmarschs des Romans enttäuscht darnieder liegen. »Two Tribes« ist der Soundtrack zur nächsten Phase, der Konfrontation zwischen der Polizei und den Bergarbeitern (beide Lieder spielten natürlich mit den Ängsten des Kalten Kriegs, als sie veröffentlicht wurden; eine weitere Erinnerung daran, wie weit die Welt von 1984 von uns entfernt ist). Der Rausch und das Adrenalin der ständigen Zusammenstöße, des Wir gegen Sie, wird verdächtig (wer ist auf unserer Seite und wer auf der Seite der anderen?). »Two Tribes – Den verdammten Song höre ich jetzt schon seit Wochen mindestens zehn Mal am Tag, den können sie doch gleich zur neuen Nationalhymne machen, sagte Sean.«43 Für die letzte Phase des Streiks gräbt Peace »Careless Whisper« («guilty feet have got no rhythm«) und – weil der Winter kalt, aber nicht kalt genug war und die Stromausfälle ausblieben – »Do they know it’s Christmas« von Band Aid. Im Roman wird spekuliert, ob Band Aid ein von der Regierung geplanter Schachzug ist, um von den Nöten der Bergarbeiter abzulenken und die Zeile, die Peace für sein Sampling auswählt ist natürlich »There’s a world outside your window, and it’s a world of dread and fear.«

      Sampling ist genau der richtige Begriff, da Pop, viel mehr als Literatur, Film oder Fernsehen (Peace hegt starkes Misstrauen gegenüber den letzten beiden), Peace eine Methode bietet, um seine Sätze in Wiederholungen und Refrains zu verwandeln, die damals gang und gäbe waren. Wiederholung ist das Markenzeichen von Peace’ Stil; bekanntlich hat Peace gesagt, der Streik sei eminent repetitiv gewesen und dass seine Prosa das wiederspiegle. Sein Krimi macht keine Anstrengungen, den Leser für Intrigen und Geheimnisse zu interessieren; der Plot von GB84 existiert bereits vorher als eine Art Readymade. Und was an Peace ungewöhnlich intimen Stil nicht sofort auffällt – man hat das Gefühl, das man einer Person an ihre geheimen Orte folgt –, ist die eigentümliche Tatsache, dass die Figuren kein sogenanntes »Innenleben« haben. Sie zeichnen sich weniger durch reflexive Vitalität als durch todestrieb-ähnliche Wiederholungen aus, durch Riffe, Echos und Gewohnheiten.

      Im Endeffekt ist GB84 poetischer als viele Poesie; es handelt sich aber natürlich um eine von Lyrik befreite Poesie, eine streng dissonante Wortmusik. Peace ist ein Schriftsteller, der eine große Aufmerksamkeit gegenüber Klängen besitzt: Die niemals schlafende Beobachtung durch die Staatsmacht symbolisiert das »Klick, Klick« einer Telefonüberwachung, die Massen an Polizisten das »Krk, Krk« der Stiefel und der Klang der auf Schilder geschlagenen Knüppel, und beide Klänge werden so oft wiederholt, dass sie gleichsam zum Hintergrundrauschen werden, als Teil des paranoiden Ambientes. Die Rezension im Telegraph bemerkte ganz richtig, dass der Roman »manchmal wie ein Summen im Ohr wirkt, wie das literarische Äquivalent zu Bands aus den späten 1970er Jahren wie Throbbing Gristle und Cabaret Voltaire.« Noch mehr gleicht das Buch zwei Antworten auf den Streik aus dem Post-Punk: Mark Stewarts As the Veneer of Democracy Starts to Fade (Keith Leblanc produzierte auch die Single »The Enemy Within«) und Test Departments The Unacceptable Face of Freedom.

      Einer der Gründe, warum 1985 wie das schlechteste Jahr des Pop in seiner Geschichte wirkt, war der Beginn der Restauration. Bis 1984 war die englische Populärkultur und die Politik noch ein umkämpftes Feld. 1985 war das Jahr von Live Aid und der Beginn eines falschen Konsens’, der kultureller Ausdruck des globalen Kapitals. Wenn Live Aid ein Nicht-Ereignis ist, das stattgefunden hat, war der Bergarbeiterstreikt ein Ereignis, das nicht stattgefunden hat.

      »Schwerter und Schilde. Stecken und Steine. Pferde und Hunde. Blut und Knochen –

      Die Armeen der Toten waren erwacht, bereit zur letzten Schlacht –

      Die Windschutzscheibe des Granadas wurde von einem heftigen Blitz erleuchtet –

      Straße. Hecke. Bäume –

      Feuerschein erhellte die Nacht. Der Nebel wich Qualm. Blaue und rote Lichter –

      Terry zerrte an Bills Arm. Zerrte und zerrte. Bill schlug die Augen auf –

      ›Wo sind wir?‹ rief Terry. ›Wo sind wir hier?‹

      ›Am Anfang und Ende von allem‹, antwortete Bill. ›Brampton Bierlow. Cortonwood.‹

      ›Aber was ist denn hier los?‹ schrie Terry. ›Was ist das?‹

      ›Das ist das Ende der Welt‹, antwortete Bill Reed lachend. ›Das Ende all unserer Welten.‹«44

       Ripleys Glam 45

      »Er haßte den Gedanken, wieder Thomas Ripley zu sein, haßte es, ein Niemand zu sein, haßte es, seine alten Gewohnheiten wieder anzunehmen, zu spüren, daß man wieder auf ihn herabsah, daß man sich mit ihm langweilte, es sei denn, er gab eine Schau wie ein Clown, haßte es, sich inkompetent zu fühlen und unfähig, etwas mit sich anzufangen, außer daß er andere Leute für wenige Augenblicke zu amüsieren verstand.«46

      Patricia Highsmith, Der talentierte Mr. Ripley

      Vieles von dem, worum es im Glam geht, können wir aus diesen Zeilen aus Der talentierte Mr. Ripley lernen.

      Es ist nicht unbedeutend, dass Highsmith den ersten Ripley-Roman 1955 schrieb und erst 1970 zu der Figur zurückkehrte. Tom Ripley und seine Fokussierung auf Teenager-Begehren, soziale Aufmüpfigkeit und dionysischer Exzess hätte nicht in die Ära des Rock’n’Roll gepasst. Sein »hedonistischer Konservatismus«, sein Snobismus und sein Umgang mit Masken und Verkleidungen jedoch machen ihn zu einem perfekten Bewohner des Marienbad-ähnlichen Glam-Reiches. Wenn der Rock der 1960er sich einerseits dadurch auszeichnete, dass er auf ein großes Anderes anspielte (Forderungen nach gesellschaftlicher Veränderung und/oder mehr Genuss), und andererseits aber die Existenz der symbolischen Ordnung als solcher negierte (Psychedelika), bestand Glam anfänglich in einer hyperbolischen/parodierenden Identifikation mit dem großen Anderen – in der Rückkehr von Zeichen und/des Status.

      In den oben zitierten Sätzen gibt es offenkundig zwei Toms: »Thomas Ripley«, die soziale Rolle und Tom, der diese Rolle spielt; Tom, das sprechende Subjekt, und Tom, das Subjekt des Gesprochenen. Am Anfang von Der talentierte Mr. Ripley sind beide Figuren »niemand« – als sprechendes Subjekt, so wie alle sprechenden Subjekte, ist Tom ein ontologisches Nichts; und als Subjekt des Gesprochenen ist er ein gesellschaftliches Nichts. Auf dieser Stufe ist Tom noch weit von der sorglosen, gelassenen Figur entfernt, als die er später auftreten wird; Selbstbewusstsein kann er nur simulieren, wenn er die Rolle anderer Menschen annimmt. Nicht, dass Tom keinen Status besäße; er hat nur keinen Platz in der sozialen Hierarchie. Sein