k-punk. Mark Fisher

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Название k-punk
Автор произведения Mark Fisher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862872374



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surrealistische Landschaft von einem Conrad der letzten Tage kühl beobachtet wird; aber es ist Die Schreckensgalerie, das unverzichtbar ist. Mehr als das bekanntere Werk Crash bietet Die Schreckensgalerie das begriffliche und methodische Werkzeug, um sich dem aus seinen eigenen Materialien zusammengestellten 20. Jahrhundert zu nähern. Der Roman ist streng modernistisch, macht keine Zugeständnisse in der Handlung oder bei den Figuren und wirkt eher wie eine fiktive Skulptur statt wie eine Geschichte, eine zwanghaft wiederholte Reihe von Mustern.

      Ja, Ballard wurde inzwischen in die Literaturkritik aufgenommen und ist zu einem Elder Statesman geworden, aber vergessen wir nicht, wie sehr sich sein Hintergrund von dem eines klassischen Ox-Bridge-Gelehrten unterscheidet. Ballard hat England aus den Fesseln seines eigenen Kanons befreit, gerettet vor den »ehrwürdigen« humanistischen Gewissheiten und der Schläfrigkeit der Sonntagsbeilage.

       Greil Marcus: Lipstick Traces

      Ich habe bereits darüber geschrieben, wie wichtig das Buch für mich ist. Ich las es, als ich gerade mit dem Studium fertig war, ich hatte keinen Plan und die Zukunft stürzte gerade in einem – zum Scheitern verurteilten – Versuch, sich in das ökonomische Realitätsprinzip Thatchers einzufügen, zusammen. Marcus’ dichtes Netz an Verbindungen bot einen Ausweg. Es war die Beschreibung eines transhistorischen Ereignisses, ein Ausbruch von Anabaptisten, Situationisten, Dadaisten, Surrealisten und Punks. Ein solches Ereignis war genau das Gegenteil des großen Spektakels der 1980er Jahre, den arrangierten und organisierten Nicht-Ereignissen, die sich im globalen Fernsehen abspielten, mit Live Aid im Epizentrum. Was Marcus beschrieb, war flüchtig und geheim, auch wenn es – notwendigerweise – von einer beachtlichen Kollektivität gekennzeichnet war. Lipstick Traces war sich sicher, dass Pop nur dann Bedeutung haben kann, wenn er aufhört »nur Musik« zu sein, wenn Politik in ihm nachhallt, die nichts mit kapitalistischem Parlamentarismus zu tun hat und mit Philosophie jenseits der Universität.

      Am besten liest man Lipstick Traces selbst als Teil eines textuellen Rhizoms, das nach mehr als einem Jahrzehnt die Wirkung von Punk auszuloten versucht. Ähnliches gilt auch für das Vague-Magazin (wenn man nach einer der wichtigsten Quellen für die Cyberpunk-Theorie im Stile des CCRU-Kollektivs sucht, sollte man Mark Downhams Artikel in Vague lesen) und Jon Savages England’s Dreaming. (Bis Richard Wisemans Rip it up erscheint, ist diese Liste natürlich unvollständig.)

       Warum ich Ronald Reagan ficken möchte 3

      Auf dem Parteitag der Republikaner 1980 in San Francisco kopierte und verteilte eine Gruppe Prankster einen Auszug aus Die Schreckensgalerie mit dem Titel Warum ich Ronald Reagan ficken möchte4, ohne eine Quellenangabe und dafür mit dem Emblem der Republikanischen Partei. »Man hat mir erzählt«, berichtet Ballard, »dass man es als das akzeptierte, was es zu sein schien, nämlich ein psychologisches Positionspapier zur unterschwelligen Anziehungskraft des Kandidaten, die irgendein Think Tank in Auftrag gegeben hat.«5

      Was sagt uns dieser neo-dadaistische Akt der Möchtegern-Subversion? In gewissem Sinne handelt es sich wirklich um eine perfekte Aktion. Aber in anderer Hinsicht zeigt der Streich auch, dass Subversion heute un­mög­lich ist. Das Schicksal einer ganzen Tradition der spielerischen Intervention – von den Dadaisten über die Surrealisten und Situationisten – scheint sich in der Schwebe zu befinden. Wo einst die Dadaisten und ihre Erben davon träumen konnten, die Bühne zu stürmen und das, was der offenkundig sehr zu dieser Tradition gehörende Burroughs das »Realitätsstudio« nennt, mit Logikbomben zu stören, da gibt es heute keine Bühne mehr – keine Kulisse, wie Baudrillard sagen würde. Und das aus zwei Gründen: Erstens, weil das Irrationale und Unlogische im Grenzgebiet des Hyperkapitals weniger unterdrückt, als vielmehr absorbiert wird, und zweitens, weil der Unterschied zwischen Bühne und Wirklichkeit von einer gelassen-inklusiven Fiktionsschleife abgelöst wurde. Reagans Karriere übertrifft jeden Versuch ihrer Karikierung und zeigt die zunehmende Durchlässigkeit der Grenzen zwischen dem Realen und seinen Simulationen. Für Baudrillard sind es gerade die Angriffe auf die »Wirklichkeit« durch Gruppen wie die Surrealisten, die das Reale am Leben erhalten (indem sie ihm eine fabelhafte Traumwelt liefern, die vermeintlich absolut anders ist, aber letztlich mit der Alltagswelt des Realen unter einer Decke steckt). »Der Surrealismus ist noch solidarisch mit dem Realismus, den er verachtet, doch er verdoppelt schon durch sein Eindringen in das Imaginäre.«6 Wo sich die Simulakra zur dritten (und vierten) Ordnung aufschwingen, verströmt die schwindelerregende Hyperrealität eine banalisierende, kühl-halluzinogene Atmosphäre, die alle Wirklichkeit in der Simulation absorbiert. Fiktion ist überall – und wird dadurch gewissermaßen als besondere Kategorie ausgelöscht. Während Reagans Rolle als »Schauspieler-Präsident« früher einmal tatsächlich »neu« war, hat seine anschließende Karriere, in der Momente der Filmgeschichte mit Reagans Rollen in bestimmten Filmen zusammenmontiert wurden – und zwar durch seine eigene lückenhafte Erinnerung sowie durch Medienberichte – das Spielerische lächerlich gemacht.

      Dass die republikanischen Delegierten den Text Warum ich Ronald Reagan ficken möchte offenkundig als echt akzeptierten, ist zugleich schockierend und eigentümlich vorhersagbar, und tatsächlich zeugen beide Reaktionen von der Kraft Ballardscher Literatur, die aber ebenso wenig in seiner Fähigkeit gründet, die bestehende Wirklichkeit mimetisch zu reflektieren, wie darin, sie phantasievoll zu transzendieren. Vielmehr kreiert Ballard, in den Worten Iain Hamilton-Grants einen »Realismus der Hyperrealität«, eine homöopathische Teilnahme an der medieninduzierten Kybernetisierung der Wirklichkeit im Spätkapitalismus. Der Schock entsteht, wenn wir uns die (scheinbar) radikale Abweichung von Ballards Text vor Augen führen. Warum ich Ronald Reagan ficken möchte ist, wie vieles in Die Schreckensgalerie, vor allem gegen Ende des Romans, der Bericht eines Zuschauerexperiments über die Resonanz auf Medieneindrücke.

      »Ronald Reagan und das konzeptuale Autounglück. An paretischen Patienten wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, in denen Ronald Reagan in einer Reihe von simulierten Autounfällen erschien – z.B. Massenkarambolagen, Frontalzusammenstößen usw. Dabei zeigten die Patienten ein starkes Interesse an imaginären Anschlägen auf das Leben des Präsidenten und eine deutlich polymorphe Fixierung auf Windschutzscheiben und rückwärtige Wagenpartien. Das Image des Präsidentschaftskandidaten löste starke erotische Phantasien von anal-sadistischem Charakter aus.«7

      Doch diesem Schock steht ein Gefühl der Vorhersagbarkeit entgegen, das durch die coole Eleganz von Ballards Simulationen entsteht. Der technische Stil seiner Sprache – die Unpersönlichkeit und der Mangel an Emotionalität – neutralisiert oder normalisiert das vermeintlich unzumutbare Material. Handelt es sich bei dieser Simulation der Operationen von Hyperkontrollagenturen um Satire oder machen ihre Aktivitäten – und das ganze kulturelle Feld, zu dem sie gehören – Satire überhaupt unmöglich? Was ist eigentlich das Verhältnis zwischen Simulation und Satire? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir Ballards Text mit anderen, wirklich »satirischen« Texten vergleichen. Doch zuvor sollten wir uns kurz Jamesons Kommentar zur Ablösung der Parodie durch den Pastiche in Erinnerung rufen.

      Dies ist nicht der Ort, um sich eingehend den Unterschieden von Parodie und Satire zu widmen; wir gehen von der Annahme aus, dass, worin auch immer diese Unterschiede bestehen, es genügend Gemeinsamkeiten gibt, um in Jamesons Analyse behandelt zu werden. Die Parodie hängt, so Jameson, von einer ganzen Reihe modernistischer Quellen ab, die allerdings alle versiegt sind: das individuelle Subjekt, dessen »persönlicher«, idiosynkratischen Stil, wie Jameson ironisch bemerkt, seine Imi­tation überhaupt erst möglich machte; ein starkes histo­ri­sches Bewusstsein, das als sein notwendiges Gegenstück das Vertrauen in wirklich zeitgenössische Formen des Ausdrucks besitzt; und eine Verpflichtung auf ein kollektives Projekt, die das Schreiben motiviert und ihm ein politisches Ziel gibt. Mit deren Verschwinden, so legt Jameson nahe, verschwindet auch der Raum der Parodie. Der individuelle Stil macht einem »Spielfeld einer stilistischen und diskursiven Heterogenität ohne Norm« Platz, so wie auch der Glauben an den Fortschritt und an die Möglichkeit, neue Zeiten in neuen Begriffen zu beschreiben verfällt, um durch die »Imitation toter Stile«