k-punk. Mark Fisher

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Название k-punk
Автор произведения Mark Fisher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862872374



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sind.‹«26

      Ballards »neues Proletariat« («ausgestattet mit Privatschulen und BMWs«) wird zum politischen Subjekt in dem Moment, wo sie aufhören, ihre eigenen Klasseninteressen zu verfolgen. Nur dann kann ihnen die marxistische Erleuchtung zukommen, dass die Klasseninteressen der Bourgeoisie in niemandes Interesse sind.

      »›Sie sehen, dass die Privatschulen ihre Kinder einer Gehirnwäsche unterziehen, um sie sozial fügsam zu machen und in einen Berufsstand zu überführen, der für den Konsumkapitalismus den Laden schmeißt.‹

      ›Die sinistren Mr. Bigs?‹

      ›Es gibt keine Mr. Bigs. Das System ist selbstregulierend. Es beruht auf unserem Sinn für bürgerliche Verantwortung. Ohne den würde die Gesellschaft zusammenbrechen. Genau genommen hat der Zusammenbruch vielleicht sogar schon begonnen.‹«27

      Das System Blairs hat die ideologischen Gewinne des Thatcherismus konsolidiert und übertroffen, indem es den vollständigen Sieg von PR über Punk sichergestellt hat, von Höflichkeit über Antagonismus, vom Nutzwert der Mittelklasse über die proletarische Kunst. Es handelt sich dabei um einen ideologischen Trick, bei dem einerseits alles auf reine Instrumentalität reduziert wird, während andererseits alle Mittel darauf verwendet werden, kulturelle Artefakte herzustellen, die weder einen Nutzen noch eine Funktion haben. Von den Codices der Maya zu den Leitlinien der Unternehmen: Der tägliche Spin erzeugt eine Bedeutungslosigkeit, die in der vorgeschriebenen Banalität ihres ätzenden Nihilismus Goulds Poesie der bezeichnungslosen Unterbrechung merkwürdig nostalgisch wirken lässt.

      Unter Blair wurde die Sicherheit der Mittelklasse zum Horizont allen Strebens. Das hyper-aufmerksame, gleißend helle 24-Stunden-Büro der Seele bietet uns lächerlicherweise das Geschäftsleben als der Libido noch am nächsten an. Ballard weiß, dass ein Ausbruch aus diesem Gefängnis der Affekte eine Aufhebung der libidinösen Besetzung des »schönen Hauses« und der »schönen Familie« erfordert, die die bürgerliche Gesellschaft immer noch als Ideal präsentiert.

      In der Geschichte des Punks spielt die Mittelklasse eine große Rolle, doch die entscheidende katalytische Funktion einer bestimmten Form der Klassenverweigerung bleibt unterbelichtet. Der Ausbruch der Mittelklasse aus dem reproduktiven Futurismus in Selbstverletzung und Tribalisierung hat nur das Offensichtliche gezeigt: Ihre Karrieren und Privilegien sind leer, langweilig und kraftraubend. Doch heute, mehr als jemals zuvor, kann dieses Offensichtliche nicht mehr zum Ausdruck gebracht werden.

      »Das Interessante ist, dass sie gegen sich selbst protestieren. Es gibt keinen Feind da draußen. Sie wissen, dass sie der Feind sind.«28

       Lass mich deine Phantasie sein 29

      Ballard, Lacan und Burroughs ist gemeinsam, dass ihnen die Sexualität des Menschen ihrem Wesen nach als pornographisch gilt. Für alle drei geht Sexualität über die biologische Erregbarkeit heraus; streicht man das Halluzinatorische und Phantasmatische weg, verschwindet auch die Sexualität. Wie Renata Salecl in (Per)Versions of Love and Hate30 ausführt, ist es leichter, dass ein Tier in das Reich des Symbolischen eintritt, als dass ein Mensch das Symbolische verlernt und in den Zustand des Animalischen zurückkehrt; eine These, die durch die Nachricht unterstützt wird, dass, als einem Orang-Utan Pornographie gezeigt wurde, er sofort das Interesse an den anderen Affen verlor und den ganzen Tag masturbierte. Durch den »unmenschlichen Partner« wurde der Organ-Utan in die Sexualität des Menschen eingeführt, in das phantasmatische Supplement, auf dem alle menschliche Sexualität beruht.

      Die Frage ist also nicht, ob Pornographie ja oder nein, sondern welche Pornographie. Für Burroughs war die Pornosexualität nie etwas anderes als eine kümmerliche Wiederholung, ein negativer Karneval im Sinne Boschs, in dem sich das rostige Riesenrad des Begehrens für immer traurig weiterdreht. Bei Ballards Crash und David Cronenbergs Verfilmung des Romans allerdings gibt es eine positive, geradezu utopische Version der Pornographie.

      Cronenbergs Arbeit lässt sich als Antwort auf die Herausforderung verstehen, die Baudrillard in Von der Verführung31 formuliert. Hardcore-Pornographie verfolgt uns im Spätkapitalismus ständig, sie ist die Chiffre einer vermeintlich entmystifizierten, desillusionierten »Wirklichkeit«. »Eine Kultur, die stets das Lösungsverfahren des Realen anstrebt, ist eine Pornokultur schlechthin.« Hier ist Hardcore die Wirklichkeit des Sexes und Sex ist die Wirklichkeit von allem anderen. Hardcore-Pornogra­phie beruht auf einer Art ernsten Buchstäblichkeit, dem Glauben daran, dass es ein empirisch verifizierbares »es« gibt, dass der Sex im Realen / als das Reale darstellt. Wie Baudrillard ironisch bemerkt, ist diese empiristische Bio-Logik auf eine gewisse technische Glaubwürdigkeit fixiert – der Pornofilm muss der (vermeintlich) ungeschmückten, brachialen Mechanik des Sex treu bleiben. Zeichen und Ritual sind jedoch unvermeidlich: Im Hardcore-Porno, vor allem in der Praxis des Bukkakes, ist die Funktion des Spermas vor allem semiotisch. Kein Sex ohne Zeichen. Je höher die Auflösung des Videos, umso näher kommt man den Organen und umso mehr verschwindet das »es« aus dem Blick. Es gibt kein besseres Bild dieser »Orgie des Realismus« als das »japanische Vaginalzyklorama«, das Baudrillard in dem Abschnitt »Stereo-Porno« in Von der Verführung beschreibt. »Mit gespreizten Beinen sitzen Prostituierte am Rande einer Plattform, japanische Arbeiter mit hochgekrempelten Ärmeln … sie dürfen ihre Nasen bis zum Anschlag in die Vagina der Frau stecken, damit sie sehen, damit sie besser sehen – ja, was eigentlich?« »Warum beim Nackten, beim Genitalen stehen bleiben?«, fragt Baudrillard. »[W]er weiß, welche tiefe Lust sich in dieser Entjungferung, im Blick auf Schleimhäute und glatte Muskeln entfalten kann?«32

      Cronenbergs frühe Filme – von Parasiten-Mörder und Rabid – Der brüllende Tod bis zu Videodrome – sind Antworten auf genau diese Fragen. Cronenberg hat sie in seiner eigenen Version selbst gestellt: »Warum gibt es keine Schönheitswettbewerbe für das Innere des Körpers?« Parasiten-Mörder und Rabid wiederum konstatieren eine Äquivalenz zwischen dem Horror des Körpers und der Erotik. Die scheinbare Katastrophe, mit der beide Filme enden – die absolute Degeneration der gesellschaftlichen Struktur in eine brodelnde, anorganische Orgie – ist ambivalent. Der Zerfall der organischen Integrität, der Rückfall in einen Zustand vor der Mehrzelligkeit ist eine Art parodierend-utopische Entgegnung auf Freuds Das Unbehagen in der Kultur. Wenn die Kultur und die entfesselte Libido inkommensurabel sind, dann, so wird impliziert, umso schlimmer für die Kultur. Der von stumpfsinnigen Zombies besetzte Apartment-Komplex am Ende von Parasiten-Mörder ist der wahrgewordene Traum der befreiten Sexualität der sechziger Jahre …

      Crash stellt nicht nur einen Rückzug aus dieser Bilderwelt dar, sondern es handelt sich vielmehr um ein neues Modell mechanisch-masochistischer Pornographie, in der nicht mehr das sogenannte Innere des Körpers wichtig ist, sondern der Körper als Oberfläche – eine Oberfläche, die mit Kleidern, Narben und durch Einstiche technischer Maschinerie geschmückt werden muss. Von der wahnhaften Leidenschaft besessen, ihren biotischen Code auszutauschen, fallen die Opfer der Sexplage in Parasiten-Mörder gleichsam hinter das Animalische zurück und in einen bakteriell-replikatorischen Rausch. In strengem Kontrast dazu ist Crash so leidenschaftslos wie ein Traum von Delvaux. Hier ist Sex vollständig durch Kultur und Sprache kolonisiert. Alle Sexszenen gleichen einem detailgetreu arrangierten Gemälde, irreduzibel phantasmatisch, und zwar nicht, weil sie »unecht« sind, sondern weil ihr Arrangement und ihre Konsistenz von der Phantasie abhängen.

      Die Eröffnungsszene des Films, in der Catherine Ballard in einem Flugzeughangar steht, ist eindeutig die Verwirklichung eines phantasmatischen Szenarios; durch ihre Erzählung an einer späteren Stelle funktioniert sie zudem als das phantasmatische Supplement des ersten sexuellen Zusammentreffens zwischen Catherine und James, das wir sehen. Es gibt kein »es« des Sexes, keinen rohen, nackten Moment, in dem »es« passiert, nur ein (paradoxerweise) erweitertes und verschobenes Plateau, auf dem Worte und Erinnerung stärker nachhallen als jede Penetration.

      Crash beruht so sehr auf der Ästhetik Helmut Newtons, dass es zuweilen aussieht, wie eine Aneinanderreihung von Helmut-Newton-Bildern. Oder besser gesagt, in Crash ist den Körpern