k-punk. Mark Fisher

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Название k-punk
Автор произведения Mark Fisher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862872374



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auf der einen und produktiver Arbeit auf der anderen Seite. Die Arbeit wird als Bürde empfunden, weil ihr das Odium des Verächtlichen anhaftet.«50

      Die Jagd war immer schon eine Tätigkeit, auf die die fei­nen Leute stolz waren und Ripley ist ein perfekter Jäger (Beute ist eine der Bedeutungen von Ripleys Game).

      Die Anwendung mörderischer Gewalt, um eine privilegierte Position zu erreichen und zu erhalten, ist alles andere als eine Abweichung, und Tom hat genauso wenig mit Konsequenzen zu rechnen wie die Räuber der herrschenden Klasse der Wirklichkeit. (Highsmiths Weigerung, den Opfern in ihren Romanen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ganz so wie es in der unserer Welt geschieht, ist einer der subversivsten Aspekte ihrer Figurendarstellung.) Wenn Toms Handeln pathologisch ist, dann sind seine Pathologien die Pathologien einer bestimmten Klasse; von seinen neuen Freunden trennt ihn einzig, dass das Blut, das er vergießt, frisch ist (und seine Bereitschaft, selbst zur Tat zu schreiten). Im Gegenteil, die Figur des Thomas Ripley ist deswegen so furchterregend, weil er Mord als eine praktische Aufgabe, ohne jede existenzielle oder affektive Dimension betrachtet. Ripleys Morde zeichnen sich durch ihre Kälte und den Mangel an Grausamkeit aus; bekanntermaßen tötet Ripley nur, weil er muss, nicht weil es ihm gefällt. Ripley tötet aus einer kalten, utilitaristischen Logik heraus, er eliminiert die, die ihm im Weg stehen oder ihn entlarven könnten. Nochmals, die sorgsam aufrecht erhaltene Unterscheidung zwischen der gewalttätigen, obszönen Unterseite und einer blassen, offiziösen Oberfläche gehört zur normalen Praxis von Macht und Privileg und ist alles andere als abweichend. Es sind keine moralischen Skrupel, die Ripley antreiben (die kennt er überhaupt nicht), sondern die Angst vor Demütigung. Julie Walker formuliert es so:

      »Tom fürchtet die Demaskierung; nicht nur die Demaskierung seiner selbst als Dickie oder seine Enttarnung als Mörder, sondern die Demaskierung seines Mangels an Selbst und damit seiner eigenen Unzulänglichkeit in den Augen anderer – es gibt keinen nennenswerten Unterschied zwischen der Angst, dass sein Steuerbetrug oder dass seine Morde auffliegen. Seine wichtigste Angst ist die, gesellschaftlich nicht mithalten zu können.«

      Diese Form der Amoralität ist das (Post)moderne an Ripley. Die klassische Psychose bestand darin, das Reale und das Symbolische zu verwechseln (das offensichtlichste Beispiel ist, die Stimme Gottes zu hören). Doch Ripleys Psychose beruht auf der Überzeugung, dass nur das große Andere existiert. Von spezifischen, namhaften Anderen, die seine Kriminalität vermuten oder von ihr wissen, ist Tom nicht beunruhigt, solange seine kriminellen Taten nicht in das Symbolische eingeschrieben sind. Das Besondere an Ripleys postmoderner Herangehensweise an das Andere ist, dass sie radikal atheistisch ist – weder glaubt er an Gott noch an irgendeine moralische Ordnung, die in das Gewebe des Universums eingeschrieben ist. Das postmoderne große Andere ist eine Symbolische Ordnung ohne Symbolisierung; sie postuliert keinen Gott und keine Geschichte mehr, sondern bekennt sich freimütig als gesellschaftliches Konstrukt – doch diese vorgebliche Entmystifizierung hindert sie nicht am Funktionieren. Im Gegenteil, das große Andere funktionierte nie besser.

       Atwoods Antikapitalismus 51

      »Regressiv ist es alles«, schreibt Jameson über den Kult der Gottes-Gärtner in Margaret Atwoods Das Jahr der Flut und fügt in einer provokativen Parenthese hinzu: »Es ist immer hilfreich, sich zu überlegen, für welche Politik das heute eigentlich nicht gilt.«52 Das Jahr der Flut ist unter anderem deswegen enttäuschend, weil es keine Alternative zur Regression anbietet – der einzige Weg nach vorn, so scheint es, führt zurück in die Natur.

      Dabei ist es nicht der Fokus auf Religion an sich, der regressiv ist; vielmehr ist es die Weigerung Atwoods, jene Fragen über Religion zu stellen, die Oryx und Crake so beeindruckend aufgeworfen hat. Einer der wichtigsten Momente in dem Roman war die Inthronisierung eines religiösen Gefühls unter den Crakern, jenen im Labor geschaffenen, neuen edlen Wilden. Ganz wie in Totem und Tabu und Der Mann Moses und die monotheistische Religion entsteht die Religion als Folge des Mordes der Vaterfigur. Ironien überall: Da die »Craker« gemacht, nicht gezeugt wurden, handelt es sich bei ihrem »Vater« eigentlich um ihren Schöpfer-Designer, das misanthropische Wunderkind Crake – der sie wiederum ganz bewusst ohne die neurologische Verbindung geschaffen hat, von der er glaubte, dass sie für die Religion verantwortlich ist. Crake ist weniger ein eliminativer Materialist als ein materialistischer Eliminativer: »Crake dachte, er hätte das alles abgeschafft, hätte den, wie er sagte, G-Punkt des Hirns beseitigt. Gott ist ein Neuronen-Cluster, hatte er behauptet. Es war allerdings ein heikles Problem: Wird in dieser Gehirnregion zu viel entfernt, kommt ein Zombie oder ein Psychopath heraus.«53 Wenn die Entstehung der Religion unter den Crakern auf den ersten Blick wie ein Wunder wirkt, stellt sie sich am Ende lediglich als Beweis der Macht anderer (psychoanalytischer und kultureller) Faktoren, zusätzlich zur Neurologie, dar.

      Crakes Experimente sind eine Antwort auf die alte, reaktionäre Leier, dass die Utopie nicht der menschlichen Natur entspreche. (Eine neuere Version dieses Denkens findet sich bei einem der Antagonisten Žižeks in seinem jüngsten Buch, der Über-Kapitalist Guy Sorman54, der behauptet, »[w]elche Wahrheiten die Wirtschaftswissenschaft auch immer ans Licht bringt, der Markt ist die einzige Wiederspiegelung der menschlichen Natur, die selbst kaum perfektionierbar ist.«) Wenn das der Fall ist, schlussfolgert Crake mit dem Pragmatismus eines Autisten, sollte die menschliche Natur geändert werden: Die Mittel stehen zur Verfügung. Im Grunde reagiert Crake auf Freuds Argument in Das Unbehagen in der Kultur, wo es heißt, dass selbst wenn die Eigentumsverhältnisse egalisiert wären, Antagonismen aufgrund von sexueller Konkurrenz immer noch entstehen würden. »Vielleicht hatte Crake Rechte«, denkt sich Schneemensch:

      »Nach dem alten System war der sexuelle Wettbewerb gnadenlos und permanent: Auf jedes glückliche Lie­bespaar kam ein deprimierter Zuschauer, der Aus­ge­schlossene. Liebe bildete ihre eigene durchsichtige Bla­senkuppel: Man konnte die beiden drinnen sehen und kam selbst nicht hinein. Und das war noch die harm­losere Form gewesen: der einzelne Mann am Fens­ter, der zu traurigen Tangoklängen im Suff Vergessen sucht. Aber es konnte ebenso gut in Gewalt ausarten. Extreme Gefühle waren manchmal tödlich. Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich auch sonst keiner haben, und so weiter. Mord und Todschlag.«55

      Deswegen ersetzt Crake das, was Toby in Das Jahr der Flut »romantischen Schmerz« nennt, mit gedämpften, tierischen Balzritualen: »Ihre Sexualität war keine stän­di­ge Plage für sie, keine Wolke turbulenter Hormone: Sie wurden in regelmäßigen Abständen brünstig, so wie die meisten Säugetiere abgesehen vom Menschen.«56 Es wäre faszinierend gewesen, wenn Atwood Crakes Be­haup­tung, Hierarchie, Hunger und Rassismus unter sei­nen genetischen Schöpfungen abgeschafft zu haben, einer literarischen Probe unterzogen hätte. Außerdem gibt es das Problem der Sprache. Atwood legt nahe, dass die Craker ihre genetisch geschaffene Unschuld behalten können, weil ihnen der Konjunktiv II fehlt. (»Und so waren die Leute wohl auf die unsterbliche Seele gekom­men – über die Grammatik. Und auch auf Gott, denn wenn es eine Vergangenheitsform gibt, muss es auch eine Vergangenheit vor der Vergangenheit geben, und man geht immer weiter zurück in der Zeit, bis man an ein Ich weiß nicht kommt, und das ist dann Gott. Es ist das, was man nicht weiß – das Dunkle, Versteckte, die Rückseite des Sichtbaren –, und das alles nur, weil wir Grammatik haben«. Doch auch das lässt sich mit ein bisschen Gentechnik beheben: »Grammatik wäre unmöglich ohne das FOXP2-Gen.«57)

      Und dennoch droht die Niederlage Crakes – was nichts anderes ist, als eine Konfrontation mit Niederlage und Negation an sich –, die Craker aus ihrer Tier-Zeit hinaus in die verwundete Zeit der menschlichen Erniedrigung zu katapultieren. In Das Jahr der Flut treten die Craker jedoch in den Hintergrund: Vielleicht ist das ein Zeichen, dass Atwood das Interesse an ihnen verloren hat, oder – vielleicht – dass solche Kreaturen gar kein großes Inte­resse in Wesen wie uns erregen können. Was statt­des­sen im Zentrum des Romans steht, ist die progressiv-regressive religiöse Form, an der eine weniger friedliche Gruppe Menschen in den letzten Tagen der Welt festhält.

      Atwood hat gesagt, dass eine Inspiration für die Ökoreligion der »Tod ihres Vaters und ihrer Mutter« gewesen sei, »und die Notwendigkeit,