k-punk. Mark Fisher

Читать онлайн.
Название k-punk
Автор произведения Mark Fisher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862872374



Скачать книгу

      Während es sich hierbei um die übliche Deutung der Geschichte handelt, schließt der Film doch keine der narra­tiven Möglichkeiten, die er eröffnet, aus:

      1. Bill hat seine Frau getötet und lebte wirklich mit einer Prostituierten namens Yvonne zusammen.

      2. Bill hat seine Frau getötet, es gibt eine Prostituierte namens Yvonne, aber sie ist nicht bei Bill eingezogen.

      3. Bill hat seine Frau getötet, aber es gibt keine Yvonne.

      4. Spider, nicht Bill, hat seine Mutter getötet, aber Bill ist mit Yvonne nach dem Tod in das Haus gezogen.

      5. Spider hat seine Mutter getötet, es gibt eine Pros­ti­tuierte namens Yvonne, aber sie ist niemals mit Bill zusammengezogen.

      6. Spider hat seine Mutter getötet, aber es gibt keine Yvonne.

      7. Weder Spider noch Bill haben die Mutter getötet, aber Bill ist nach ihrem Tod mit Yvonne zusam­men­gezogen.

      8. Weder Spider noch Bill haben Mrs. Cleg getötet, es gibt eine Yvonne, aber sie ist nicht bei Bill eingezogen.

      9. Weder Spider noch Bill haben Mrs. Cleg getötet und es gibt keine Yvonne.

      Anstatt die Ambiguitäten des Romans von McGrath auf­zu­lösen, verstärkt Cronenbergs Film sie. Im Roman er­fah­ren wir zumindest (scheinbar), dass Spider für den Mord an seiner Mutter eingesperrt wurde (auch wenn dieser daran festhält, dass sein Vater für den Tod der Mutter verantwortlich ist). Im Film bleiben die zwanzig Jahre zwischen dem Tod von Mrs. Cleg und Spiders Ankunft in der Pension eine Leerstelle. Wir wissen im Umkehrschluss, oder wir glauben zu wissen, dass Spider in einer psychiatrischen Anstalt war, aber mehr nicht.

      Miranda Richardsons Performance ist von entscheiden­der Bedeutung für die Erhaltung der polysemen Ambigui­tät des Films. Sie ist in allen drei Rollen hervorragend: als die tugendhafte brünette Mrs. Cleg, die zügellose blon­de Yvonne und auch als die plötzlich so unange­mes­sen sexuell aggressive Besitzerin der Pension, Mrs. Wil­kin­son. Die Situation wird darüber hinaus dadurch er­schwert, dass Yvonne zu Beginn von einer ganz anderen Schauspielerin gespielt wird (zumindest glaube ich das; es zeugt von dem mulmigen Delirium, das der Film ins­zeniert und von der Leistung Richardsons, dass ich mir nicht sicher bin), genauso wie Mrs. Wilkinson während des Großteils des Films von Lynne Redgrave gespielt wird.

      Wie in Naked Lunch ist das Schreiben in Spider sowohl aktiv als auch passiv. Wie Bill Lee scheint auch Spider, wenn er irgendwelche idiolektischen Hieroglyphen in sein Notizbuch kritzelt, zunächst nur ein Signal von außen aufzuzeichnen. In anderer Hinsicht aber ist er der Schöpfer der ganzen Szene, er derealisiert sie.

      In Gesprächen über den Film hat Cronenberg auf Nabo­kovs Theorie der Erinnerung und die Kunst als Mittel, das Unwiederbringliche zurückzuholen, verwiesen. Doch die Figur, die den Film dominiert, ist ein anderer Schrift­steller, den Brian McHale, wie Nabokov, als »Grenz-Mo­dernisten« bezeichnet hat, nämlich Samuel Beckett. Cro­nenberg hat gesagt, dass der Look von Spider, mit seinen spitz aufgestellten Haaren, sehr von Fotografien Samuel Becketts beeinflusst war, doch die Affinitäten mit Be­ckett reichen noch tiefer. Wie Molloy oder Malone, wühlt Spider ständig in seinen Taschen nach Talisman-artigen Objekten. Solche bruchstückhaften Dinge markieren die Wegstrecke ihrer »intensiven Reise«. Wie McGrath ver­führt uns Cronenberg dazu, uns mit Spider zu identifi­zie­ren (Cronenberg: »Ich bin Spider«) und nimmt uns mit auf seinen schizophrenen Spaziergang, um uns dann im Delirium im Stich zu lassen …

       Dieser Film bewegt mich nicht

      Während ich gespannt auf den neuen Doctor Who warte (obwohl, nach McCoy, nach McGann, was kann man da noch fürchten?), lohnt es sich, noch einmal über die An­ziehungskraft der Serie nachzudenken und überhaupt über die einzigartige Bedeutung dessen, was ich »un­heim­liche Literatur« nenne.

      Ein Artikel von Rachel Cooke im Observer vor zwei Wochen macht deutlich, worum es geht.64 In dem Text geht es nicht einfach nur um die Serie, sondern darum, wie das Fernsehen, die Familie und das Unheimliche durch Doctor Who miteinander verwoben wurden. Cooke beschreibt eindrücklich, wie das gemeinsame Schauen der Serie in ihrer Familie gleichsam zum Ritual wurde: Sie musste mit gewaschenen Haaren auf dem Sofa sitzen, noch bevor die Serie überhaupt angesagt wurde. Cooke versteht, dass der Reiz der Serie zu ihren besten Zeiten in ihrer Aufladung durch das Unheimliche besteht – das merkwürdig Bekannte und das bekannte Merkwürdige: die Cybermen auf den Stufen der St Paul’s Cathedral, die Yeti in der Goodge Street (ein Ort, dessen Name für im­mer mit dem Throughton-Abenteuer »The Web of Fear« verbunden sein wird, für Scanshifts65, der die Folge ge­sehen hat, als er in Neuseeland lebte).

      Allerdings endet ihr Text zwangsläufig auf einer me­lan­cholischen Note. Cooke besuchte eine Aufführung der ersten Folge der neuen Staffel. Ihr gefallen die hohen Produktionskosten, die »düsteren Momente« und wie das Millennium Wheel eingebaut wird. »Aber es ist nicht – wie soll ich sagen – Doctor Who.« Überwältigt von ei­nem »Gefühl des Verlusts« greift sie zu einer DVD mit der Baker-Geschichte Robots of Death, um sich an das »echte Zeug« zu erinnern, die authentische Erfahrung, die die neue Staffel verwehrt. Das wiederum führt, wenn überhaupt, zu einer noch größeren Enttäuschung. »Wie langsam alles vor sich geht, wie lächerlich die Roboter in ihren grünen Jacken im Camilla-Parker-Bowles-Stil aus­sehen…oh weh

      Lassen wir für einen Moment all die post-poststruk­tura­listischen Fragen über den ontologischen Status des Tex­tes »an sich« beiseite und betrachten die Anekdote, mit der der Text endet:

      »Vor Weihnachten, als klar wurde, dass der Krebs mei­nes Vaters in die letzte Phase ging, ging mein Bruder los und kaufte eine DVD, die wir zusammen anschauen wollten. Papa war zu krank und die Box blieb unge­öffnet. Damals habe ich darüber Tränen vergossen; noch eine Ungerechtigkeit. Heute weiß ich es besser. Manche Dinge im Leben kann man nicht zurückholen – und die Freude über grüne Roboter in Pailletten und Pedal-Pusher-Jeans gehören dazu.«

      Dieses Narrativ der Desillusionierung gehört zu einem in­zwischen bekannten Genre: der postmodernen Parabel. Eine alte Folge von Doctor Who anzuschauen, ist nicht nur ein gescheiterter Versuch, einen verlorenen Moment wiederherzustellen; es ist die mit einem gedämpften, all­täglichen Schrecken einhergehende Erkenntnis, dass die­ser Moment überhaupt nicht existiert hat. Eine Erfahrung der Ehrfurcht und Verzauberung löst sich in einen Hau­fen billige Kostüme und Spezialeffekte auf. Die Post­modernen haben dann zwei Möglichkeiten: eine Verleug­nung der früheren Begeisterung, also das, was man »Er­wachsenwerden« nennt, oder ihr die Treue halten, also »nicht Erwachsenwerden«. Auf das nicht mehr von den Medien verzauberte Kind warten zwei Schicksale: de­pres­siver Realismus oder nerdiges Fantum.

      Die Intensität, mit der sich Cooke Doctor Who nähert, ist typisch für viele von uns, die in den sechziger und siebziger Jahren aufgewachsen sind. Obwohl ich ein biss­chen jünger bin, erinnere auch ich mich noch an eine Zeit, in der diese 25 Minuten die sakralsten der ganzen Woche waren. Scanshifts, der ein bisschen älter ist als ich, hatte als Kind eine Zeit lang keinen funktionierenden Fernseher, also schaute er die neuen Folgen in einem Kauf­haus in Christchurch, zuerst ohne Ton, bis er zu seiner großen Freude den Lautstärkeregler fand.

      Ein Teil der Gründe für diese Begeisterung ist offen­sichtlich – kindliche Begeisterung und Naivität. Aber was waren die kulturellen und technologischen Bedingungen, die ihr zugrunde lagen? Freuds Analyse des Unheim­li­chen ist bekannt, doch es lohnt sich, sie mit dem Thema Fernsehen zu verbinden. Das Fernsehen war sowohl fremd als auch bekannt und eine Serie, bei der es gerade um das Fremde im Bekannten ging, hatte dadurch einen be­sonders leichten Zugang zum Unbewussten des Kin­des. In einer Zeit der kulturellen Rationierung und des modernistischen Fernsehens, einer Zeit also, in der es kei­ne ständigen Wiederholungen oder Videorekorder gab, haftete den Sendungen eine eigentümliche Vergäng­lichkeit an. In dem Moment, wo sie zuerst gesehen wur­den, übersetzen sie sich sofort in Erinnerung und Traum. Das ist etwas völlig anderes als die sofortige