k-punk. Mark Fisher

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Название k-punk
Автор произведения Mark Fisher
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862872374



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Wenn es sich bei Der Report der Magd um eine exem­plarische Dystopie handelt, dann weil der Roman das Imaginär-Reale des Neokonservatismus traf. Gilead war »Real« auf dem Level eines neokonservativen Begehrens, das die 1980er Jahre Reagans beherrschte; eine virtuelle Gegenwart, die die tatsächliche Gegenwart strukturierte. Desfred, die Mägde, die Marthas, die Mauer – diese Namen haben die nachhallende Konsistenz einer Welt. Doch den Neoliberalismus begreift Atwood nicht in derselben Weise wie den Neokonservatismus. Atwood scheint die billige Poesie der Markennamen deutlich zu unterschätzen, so banal wie sie ist; ihre Firmennamen sind hässlich und klobig, ohne Zweifel mit Absicht – vielleicht klingen die absurden Infantilismen der spät­kapitalistischen Semiotik für sie genauso. AnuYu, Helth­Wyzer, Happicuppa, Rejuv, und – am unbeholfensten – See/H/Öhr-Lekker-Bits: diese Namen haben mir physi­sche Schmerzen beim Lesen bereitet und es ist schwer, sich eine Welt vorzustellen, in der das führende Marken sind. Atwoods Fehler ist immer derselbe – die Namen sind unschöne Wortspiele mit den Funktionen oder Dienst­leistungen, die die Firma anbietet, während die Topmarken des Kapitalismus – Coca-Cola, Google, Star­bucks – zu Abstraktionen ohne Bedeutung geworden sind und der Hinweis auf die Taten der Firmen nur noch Bei­werk ist. Die kapitalistische Semiotik wiederholt die Tendenz des Kapitals zu immer größerer Abstraktion. (Für das Imaginär-Reale des Neoliberalismus tut man besser daran, Nick Lands Texte aus den 1990er Jahren zu lesen, die in Kürze wiederveröffentlicht werden.) At­woods Namen für genetisch zusammengeschusterte Tiere – Bauchschwein, Spinnenziege, Löwamm – sind eben­falls ein linguistisches Gemetzel; vielleicht hat sie ver­sucht, in der Sprache eine Parallele zur denaturalisie­renden Gewalt der Gentechnik zu finden. In jedem Fall sind diese Sprachmonster kaum woanders als in Atwoods Text zu finden (zumindest fehlt ihnen die düstere Glätte und beschwörende Kraft von Gibsons Neologismen).

      Das größte Scheitern des Antikapitalismus in Das Jahr der Flut liegt jedoch in der Unfähigkeit, zu verstehen, in welchem Maße der Kapitalismus das Biologische und Grüne absorbiert hat. Die stärksten Passagen in Žižeks First as Tragedy, Then as Farce wiederholen diesen Punkt immer wieder. (Eine meiner Lieblingszeilen des Buches: »Wer glaubt denn wirklich daran, dass halb-vergammelte und überteuerte ›Bio‹-Äpfel gesünder sind als nicht-biologische Äpfel?«) Natürlich muss jede glaub­würdige linke Politik ökologische Belange zum Thema machen, aber es ist ein Fehler, nach einer »authenti­schen« Ökologie jenseits der simulierten Ökologie des Kapitalismus zu suchen. (Eine andere Lieblingszeile in First as Tragedy, Then as Farce: »Wenn es etwas Gutes am Kapitalismus gibt, dann dass Mutter Erde nicht mehr existiert.«) Organizismus ist das Problem und irgendeine Öko-Spiritualität wird die menschliche Umwelt nicht retten (wenn sie überhaupt gerettet werden kann), son­dern neue Formen der Organisation und Verwaltung.

Teil 2

       Sie ist nicht meine Mutter 60

      »Interviewer: Wenn man diesen Film sieht, fällt es schwer, nicht daran zu denken, dass all unsere Erin­ne­rungen Produkte sind.

       Cronenberg: Das sind sie, das sind sie auf jeden Fall.«

      Andrew O’Hehir

      »The Baron of Blood does Bergman«61

      »Watched from the wings as the scenes were replaying. We saw ourselves now as we never had seen. // Wir betrachteten das Schauspiel von der Seite. Wir sahen uns selbst wie noch niemals zuvor.«

      Joy Division, »Decades«62

      Cronenbergs Spider – eine Adaption von Patrick McGraths wunderbarem Roman – ist eine Studie über Schizophrenie, die meilenweit von den Klischees über »Wahnsinn« im Kino entfernt ist. Davon gibt es unzäh­lige Beispiele, aber das, was mir sofort in den Sinn kommt (vielleicht, weil ich es zuletzt gesehen habe), ist Windom Earl in der zweiten Staffel von Twin Peaks: brabbelnd, theatralisch, megaloman. Man denke auch an Jack Nicholsons Darstellung des Jokers im ersten Bat­man-Film. Wahnsinn wird hier als eine Form des absurd übersteigerten Egos dargestellt; ein Selbst, das keine Gren­zen kennt und sich unendlich ausdehnen möchte. In Cronenbergs Film hat Spider, gespielt von Ralph Fien­nes, zwar auch ein aufmerksames Bewusstsein seiner eigenen Grenzen, doch anstatt sich in die Welt hinaus auszubreiten, möchte er sich vielmehr zum Verschwinden bringen. Alles an ihm – sein Gemurmel, seine ungelen­ken Bewegungen – schreit nach Rückzug, Flucht und Angst vor der Außenwelt. Und zwar deswegen, weil in Cronenbergs Schizoversum das Außen schon im Innen ist. Und umgekehrt.

      McGraths Roman ist als eine Reihe von Tagebuch­ein­trägen verfasst und spielt sich daher vollständig im Kopf des archetypisch unverlässlichen Erzählers Spider ab. Um das zu simulieren, hätte Cronenberg auf das Mittel des Voiceover zurückgreifen können, das im ursprünglichen Drehbuch vorgesehen war (obwohl alle, die Spike Jonzes Adaptation gesehen haben, sich an Robert McKees Tira­de über diese Technik erinnern werden). Aber am Ende streicht Cronenberg Spiders Stimme vollständig, wo­durch der Film merkwürdigerweise dem Roman eher ge­recht wird als der Roman selbst. Im Buch erlaubt Spiders Artikuliertheit dem Protagonisten eine Art Selbstwahr­neh­mung und (wenngleich begrenzte) Distanz von seiner Manie. Im Film gibt es diese Distanz nicht, es gibt keine Stimme des Erzählers, nur eine endlos produktive Erzähl-Maschine, die verschiedene Permutationen auswirft. An­stelle einer transzendenten Offscreen-Stimme sehen wir Spider als Figur innerhalb seines eigenen Deliriums, wir sehen ihn als Erwachsenen, wie er beobachtet und schreibt, immer wieder schreibt, während sich die Erinne­rungen an seine Kindheit abspielen. Wie Cronenberg es ausgedrückt hat, es ist, als ob Spider bei seinen Erinne­rungen selbst Regie führt. »Ein Journalist sagte mir: ›Wenn wir Spider in seinen Erinnerungen sehen, wie er durchs Fenster schaut oder sich in der Ecke versteckt, ist das nicht wie ein Regisseur am Set?‹ So hatte ich noch nicht darüber nachgedacht, aber es stimmt, dass er seine Erinnerungen immer wieder steuert und choreogra­phiert.«63 Wir werden daran erinnert, dass Spider jede Fi­gur in seinen Erinnerungen selbst spielt.

      Bei Spider handelt es sich also um einen naturalisti­schen Expressionismus oder expressionistischen Natura­lis­mus. Das merkwürdig einsame London ist, so Cronen­berg, ein expressionistisches London. Spider fängt präzi­se die Atmosphäre der Zeit der gekochten Kartoffeln in den fünfziger Jahren ein, noch bevor der Rock’n’Roll die Bühne betrat, und die gedämpften Farben des Films sind so trüb wie Kochwasser.

      Am meisten ähnelt Spider dem Film Naked Lunch; nicht nur, weil er auch auf einem angeblich unadaptier­baren Buch beruht, sondern auch, weil es in beiden Fil­men um Schreiben, Wahnsinn, Männlichkeit und den Tod einer Frau geht. Sowohl in Spider als auch in Naked Lunch ist das zentrale Ereignis der phantasmatisch immer wieder wiederholte Tod einer Frau, die Leerstelle, um die beide Filme kreisen. In Naked Lunch leugnet Lee zu­nächst den Mord an seiner Frau Joan und beruft sich auf die Kontrolle fremder Mächte. Erst als Lee am Ende des Films »gezwungen« ist, Joan erneut umzubringen, oder zumindest ihre Doppelgängerin, kann er ein Mindestmaß an Verantwortung übernehmen. Die Neuaufführung ihres Todes ist weniger ein Eingeständnis ethischer Verantwor­tung, sondern ein Versuch, die Tat selbst zu be­greifen. Darin besteht die Logik des Traumas. (Was uns an eine Beschreibung des Motivs des Schizophrenen in Die Schre­ckensgalerie von Ballard erinnert: »Er wollte Ken­ne­dy erneut töten, aber diesmal so, dass es Sinn ergibt.«

      In Spider glauben wir zunächst, dass sein Vater, Bill Cleg (Horace im Roman), Spiders Mutter getötet hat, nachdem er eine Affäre mit dem »fetten Flittchen« Yvonne begann (Hilda im Roman). Erst als Bill Yvonne bei sich einziehen lässt, ermordet er brutal und beiläufig seine Frau und rollt sie in ein hastig gegrabenes Loch im Garten (»Weg mit dem Alten« sagt Yvonne kaltschnäu­zig). In diesem Moment erhärtet sich unser Verdacht, dass mit der Erzählung Spiders etwas nicht stimmt. Aber erst am Ende des Films erfahren wir, was wohl tat­säch­lich passiert ist: Spider hat seine Mutter umgebracht, er hat sie vergast, als er scheinbar einer Wahnvorstellung unter­lag und sie für eine andere Person hielt. Die frühen Unterhaltungen zwischen Spider und seinem Vater neh­men jetzt eine andere Bedeutung an (Spider: »Sie ist nicht meine Mutter«. Bill: »Wer ist sie denn dann?«). In der