Название | Das Erbe von Samara und New York |
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Автор произведения | Erik Eriksson |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783944369099 |
Aber nur sie hatte ihn bemerkt.
Im Februar des darauffolgenden Jahres kaufte Alvines Bruder eine Fabrik in Samara. Dort wurden Nudeln hergestellt. Einiges wurde in der Umgebung verkauft, der größte Teil wurde mit dem Zug nach Westen transportiert. Samara lag an der Hauptbahnstrecke.
Der älteste Bruder Alfred hatte das Warenhaus übernommen. Er handelte außerdem mit Getreide. Er kaufte größere Posten bei den Großbauern des Gouvernements auf, ließ das Korn zu Mehl mahlen und verkaufte es an die Kaufleute, die das Mehl mit Schiffen auf der Wolga weitertransportierten.
Alvines Vater war gestorben, die Mutter Ida jedoch war trotz ihres Alters immer noch stark und dominierend. Sie kontrollierte ihre erwachsenen Kinder, machte zu aller Erstaunen den Töchtern gelegentlich kleine Geschenke. Es konnte Schmuck sein, Umschläge mit Geldscheinen, eine kleine Dose mit einer Goldmünze.
Für Alvine wurden die Geschenke der Mutter wichtig. Oscar gab ihr allzu wenig Geld für private Ausgaben, das Haushaltsgeld erhielt Anna. Alvine nahm die kleinen Geschenke ihrer Mutter dankbar an, und sie verkaufte oft den Schmuck und die anderen Wertgegenstände, die sie erhalten hatte.
Sie brauchte das Geld für Bücher. Sie las die ganze Zeit über Romane, sprach immer seltener mit den Bewohnern des Hauses. Wenn ihr die russischen Bücher ausgegangen oder zu langweilig geworden waren, bestellte Alvine Bücher aus Deutschland und Frankreich. Sie las in drei Sprachen, Bücher über die Liebe, über Reisen und Abenteuer, über exotische Orte, Liebe, ferne Meere, noch mehr Liebe.
Oscar reiste; wenn er zuhause war, versuchte Alvine, ihn von ihrem Bett fernzuhalten, sie schob Kopfschmerzen vor, Schmerzen im Unterleib nach den in kurzen Abständen erfolgten Entbindungen.
Im April 1911 gebar Alvine ihr viertes Kind, eine Tochter, die den Namen Magda erhielt. Erikas kleine Schwester, meine Mutter.
Hedvig, die Mutter meines Vaters
Man hat nur ein einziges Leben hier auf Erden
Die Fackel der Göttin leuchtet rot
Carl war mit dem Zug von Boston nach New York gefahren, um Hedvig abzuholen. Er hatte geschrieben und gesagt, er würde am Kai warten, sie brauche sich keine Sorgen zu machen.
Er war früh am Morgen eingetroffen, fragte sich nach Süd-Manhattan durch, suchte die Stelle auf, an der die Fähre von Ellis Island anlegen sollte. Er musste lange warten. Er konnte das Riesenschiff schon erkennen, mit dem Hedvig aus England gekommen war, es lag jetzt an einem Kai weit draußen im Hudson River. Aber die Passagiere waren gezwungen, zuerst durch die Kontrolle auf Ellis Island zu gehen. Carl wusste ja, dass das lange dauern würde. Er war selbst vor einigen Jahren auf diesem Weg gekommen. Damals allerdings hatte die Ankunftshalle in Castle Garden auf Manhattan gelegen. Die Station auf der Insel in der Hafeneinfahrt war neu eröffnet worden. Carl konnte das Gedränge dort draußen ahnen. Er hatte mehrere Ozeandampfer im Hafen gesehen, sie waren aus Europa gekommen, aus Frankreich und Italien.
Irgendwo da draußen auf der kleinen Insel war Hedvig.
Sie kam glimpflich davon. Sie war jung und gesund, und sie hatte etwas Geld mitgebracht. Sie erhielt ein Papier mit einem Stempel. Sie war nach Amerika hineingelassen worden. Bei anderen dauerte es länger. Einige wurden auf die Seite geführt, ein alter Mann weinte vor Verzweiflung.
Hedvig fand eines der Mädchen, mit denen sie vor der Abreise in Göteborg das Zimmer geteilt hatte. Es war Susanna aus Molkom in Värmland. Sie war unterwegs zu ihrem Onkel, der nach Minnesota ausgewandert war.
Susanna drückte Hedvigs Arm, als sie nebeneinander in der Schlange vor der Fähre standen. Es war am besten, wenn sie zusammen blieben; es waren ja so viele Leute hier draußen. Susanna hatte ihre Handtasche dicht an sich gedrückt.
Sie fragte Hedvig, ob diese glaube, dass es hier Diebe gebe.
»Das kann man nicht wissen«, sagte Hedvig, »richtig sicher sein kann man nie.«
»Man versteht nicht, was die Leute sagen«, sagte Susanna.
Hedvig nickte, es kam ihr so vor, als ob sämtliche Sprachen der Welt um sie herum gesprochen wurden.
»Hast du die da gesehen«, flüsterte Susanna, »die sehen aus wie Zigeuner oder Türken, sie haben ganz dunkle Haut.«
»Vielleicht Wallonen aus Eskilstuna«, sagte Hedvig.
Susanna verstand nicht, was Hedvig damit meinte. Sie blickte sich um, aber niemand sah zurück, alle schienen genug mit sich selbst beschäftigt zu sein. Der eine hatte kleine Kinder dabei, ein anderer kümmerte sich um seine alte Großmutter, eine junge Mutter trug ein kleines Mädchen zu einem Busch in der Nähe.
»Das müsste ich jetzt auch einmal«, flüsterte Susanna.
Hedvig versprach, auf die Koffer aufzupassen. Susanna schlich sich zu dem kleinen Gebüsch, verschwand hinter den Blättern. Nachdem sie zurückgekommen war, kam Hedvig an die Reihe.
Dort, wo Hedvig sich hingehockt hatte, roch der Boden. In der Schlange vor der Anlegestelle der Fähre standen mehrere hundert Menschen. Sie hatten schon stundenlang gewartet, alle waren mindestens einmal in die Büsche verschwunden, die Frauen in der Nähe, die Männer weiter hinten. Der Boden zwischen all den kleinen struppigen Ahornbäumen und Erlen war mit Urin durchtränkt. Hedvig genierte sich etwas, doch niemand nahm Notiz von ihr, all die müden Reisenden hatten dasselbe Problem.
Die Schlange stand fast still. Hedvig und Susanna hatten sich auf ihre Koffer gesetzt, sie rutschten einen halben Meter auf dem Kies vor, setzten sich wieder, rutschten weiter. Abends um halb sechs waren sie vorne an der Fähre angelangt, um sieben Uhr ging es dann endlich los. Als sie draußen auf dem Fluss waren, sahen sie das Schiff, mit dem sie gekommen waren, an einem Kai weit entfernt vor einigen ungeheuer hohen Häusern liegen. Als sie rechts über das Wasser blickten, sahen sie eine Brücke, die größte, die sie jemals gesehen hatten, sie schien an bogenförmigen Seilen zu hängen, hoch über dem grauen Wasser, auf dem die Schlepper Lastkähne und Dampfschiffe zogen.
Am eindrucksvollsten jedoch war die Riesenstatue, die Freiheitsgöttin, draußen im Hafen hinter der Insel, von der sie kamen. Sie hatten zuhause in Schweden über sie gelesen und Bilder von ihr gesehen. Sie war so groß, wie sie sie sich vorgestellt hatten, doch viel schöner. Die Strahlen der untergehenden Sonne verliehen der Göttin einen goldenen Glanz, um ihren Kopf herum leuchtete es, die Fackel glänzte rot.
Hedvig und Susanna standen auf dem hinteren Deck der Fähre. Es wehte ein kühler Wind, aber sie achteten nicht darauf, all das Neue war so groß und überwältigend. Sie hatten in ihren Briefen nicht übertrieben, die Verwandten, die vor ihnen hierhergefahren waren.
Carl hatte die Fähre den ganzen Tag über hin und her fahren sehen. Er hatte den Kai verlassen, Kaffee in einer Imbissstube getrunken, und er hatte überlegt, wie er seine Schwester am besten würde finden können. Wie sollte er sie in dem Gedränge erkennen, sie war ja so klein.
Da kam ihm eine gute Idee. Er ging in die Imbissstube zurück, erhielt gegen Bezahlung ein großes Stück weißer Pappe. Er fragte nach Malerfarbe, aber da es die nicht gab, begnügte er sich mit etwas Sojasauce, die er ebenfalls kaufen konnte. Na ja, zwanzig Cent, aber er stand ja nicht ganz ohne Geld da.
Carl malte mit dem Zeigefinger, den er in die Sojasauce tunkte. Er schrieb den Namen seiner Schwester mit großen Buchstaben. Aber er hatte den Platz schlecht berechnet, der letzte Buchstabe passte nicht mehr auf das Pappstück. Jetzt stand dort: HEDVI mit dunkelbraunen zerfließenden Buchstaben.
Carl wartete jetzt etwas oberhalb der Stelle, an der die Landungsbrücke der Fähre ausgefahren wurde. Er war auf eine längliche Mauer geklettert und konnte die Menschenmenge von oben sehen.
Die Fähre legte wieder an. Als Hedvig und Susanna an Land stiegen, wurden sie schnell von dem Menschenmeer verschluckt. Sie wurden nach vorne gestoßen, mitgezogen, konnten nicht selbst