Sprachbilder und Sprechblasen. Ralf Bachmann

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Название Sprachbilder und Sprechblasen
Автор произведения Ralf Bachmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783867295130



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»Meinen Frau Gräfin nicht auch, dass dies ein rechtes Scheißwetter sein dürfte?« Ein einziges Wort aus dem Gassenjargon verwandelt die höfisch formulierte Frage in einen Witz. Auf einer ähnlichen Basis beruht die Wirkung von Joschka Fischers berühmten Zwischenruf im Bundestag (1984): »Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.«

      Wenn Regierungspolitiker von etwas reden, das ihnen gründlich in die Hose gegangen ist, verwenden sie gern die euphemistische Floskel »Es war suboptimal«, die Opposition spricht dagegen von »kläglichem Scheitern«, das Volk denkt an die Hose und wertet klar und deutlich: »Absolut beschissen«. Einschränkend sei bemerkt, dass die Grenzen nicht selten fließend sind. Manchmal ist vom vulgären Anmachgruß »Eh du« zum schwärmerisch gehobenen »Mein Mäuseschwänzchen« inhaltlich und zeitlich nur ein winziger Abstand.

       Drei Birken, drei Tage, drei Stile

      Wie unterschiedliche Stilebenen die Schilderung des gleichen Vorgangs bis fast zur Unkenntlichkeit zu verändern vermögen, kann man am Beispiel eines Vorkommnisses demonstrieren, das auf das Ende des 19. Jahrhunderts datiert wird. Nehmen wir zunächst die Notiz einer zeitgenössischen Lokalzeitung in relativ emotionsloser, neutraler Form, die gestelzt, aber stilistisch ungefärbt klingt. Dann folgt eine mit Vulgärelementen durchsetzte umgangssprachliche Darstellung. Version drei dürfte zumindest für ältere Leser zum Déjà-vu-Erlebnis werden. So ist das Ereignis in der lyrischen, gehobenen, freilich nicht unumstrittenen Sprache des Natur- und Heimatdichters Hermann Löns in die Literatur eingegangen und wird als Lied noch heute von Fischer- und anderen Chören geschätzt.

       Sittenskandal in der Heide – Exklusivbericht des »Lüneburger Stadtanzeigers«

       Von unserem Gesellschaftsreporter Graf Otto von Knochenmarck

      Im niedersächsischen Amtsbezirk Celle sah sich Mitte Mai der für die öffentliche Ordnung in den nicht landwirtschaftlich genutzten Bereichen der Lüneburger Heide verantwortliche Polizeibeamte gezwungen, ein Pärchen wegen sittenwidrigen Verhaltens und Erregung öffentlichen Ärgernisses festzunehmen. Es hatte bei einer Gruppe von sieben Birken gelagert (in seiner Aussage räumte der inhaftierte Mann nur drei ein, was aber für die Bewertung des Vorfalls nicht von Belang sein dürfte) und unter freiem Himmel wiederholt diverse obszöne Sexualhandlungen vollzogen. Nach drei Tagen geduldiger Beobachtung hielt es der Vertreter der Staatsmacht für unumgänglich einzuschreiten, zumal in dieser Gegend nicht selten Kindergruppen mit ihren Gouvernanten zu wandern pflegen, die möglicherweise unfreiwillig Zeugen der schamlosen Exzesse geworden wären.

      Der Ordnungshüter nahm das Paar in vorläufigen Polizeigewahrsam und wies es bis zur Klärung der Identität in das Gefängnis der Stadt Celle ein. Das minderjährige, aber auffallend entwickelte und körperlich frühreife Mädchen wurde sogleich wieder entlassen und in die Obhut seiner besorgten Eltern, Besitzer der in Celle und Umgebung sehr renommierten Nachtbar »Zur scharfen Erika«, gegeben. Sie hatten des Verschwindens ihrer Tochter wegen umgehend Anzeige erstattet. Dagegen wurde der höchst ungepflegt aussehende und gekleidete Mann, der als fahrender Geselle keinen festen Wohnsitz oder Arbeitsplatz anzugeben vermochte, im Schnellverfahren zu einer mehrtägigen Haftstrafe verurteilt.

      Der Heidepolizist beobachtete ihn im Spätherbst noch einmal bei der besagten Gruppe von drei bzw. sieben Birken, wo er offenkundig vergeblich ein Wiedersehen mit dem Mädchen erhoffte. Die Enttäuschung über dessen Ausbleiben, verstärkt noch durch die herbstlich triste Witterung und den öden Anblick des leeren Gezweigs lösten bei ihm eine verzweifelte Stimmung und wohl sogar Suizidgedanken aus, wofür der Ausruf »Mein Schatz, ich seh’ dich niemals mehr« sprechen könnte, den der Beamte gehört haben will.

       Die wirkliche Wahrheit über die Birkenorgie

       Erzählt von Fietes bestem Freund Schnuckenede

      Mein alter Kumpel Wacholderfiete, der versaute Bock, hatte nach etlichen Pleiten eine sexversessene Kneipiersgöre aufgegabelt. Beim Kippenstechen an einer Penne hatte er gemerkt, dass ihm ein kesser frühreifer Fratz geile Blicke zuwirft. Da war ihm scheißegal, dass er in der Pause auf dem Schulhof von lauter Bälgern umringt war. Er schmiss sich an die Puppe ran und säuselte: »Um Sechse bei den drei Birken.« Sie wusste auf Anhieb, was das heißt und wo das ist und nickte heftig, ohne rot zu werden.

      Die Kleene kam pünktlich und war bloß in einen dünnen Fetzen gehüllt. Fiete hatte sich aber schon oft die Pfoten verbrannt. Er machte aus Daffke erstmal Taschenkontrolle bei ihr. Dabei griff er aber bloß zwei schäbige Zehner, einen Flachmann mit irgendwelchem Fusel, eine Tüte Blaubeeren, ein süß riechendes Parfüm, fünf Gummiüberzieher und, weiß der Deubel wofür, einen feuchten Waschlappen und eine Rotzfahne – alles unverdächtig. Es konnte losgehen. Sie rissen sich hastig die Klamotten vom Wanst und wälzten sich bei Sonnenschein und Vögelgesang vor Wollust im Heidekraut. Großmäulig prahlt Fiete seitdem von seinen drei B-Tagen: nur Beeren, Bechern und Bumsen.

      Im Suff, wenn er um anzugeben wie ein Schentelmän quatscht, redete er spitzmäulig von »Schlafen bei Mutter Grün«. Als wir daraufhin laut losbrüllten, kotzen täte er aber im Scheißhaus von Mutter Blau, mimte er auf einmal den großen Manitu: Ihr könnt mich alle am Arsch lecken, ihr seid zu doof, das grüne Wunder zu begreifen. Klugscheißen kann Fiete nämlich, wenn er Lust hat, ganz gut. Grün ist Hoffnung, Grün ist Zukunft, einmal wird Grün die Welt regieren, um sie zu retten, blökte er uns wutschnaubend an. Wir haben uns ausgeschüttet über sein Geschwätz. Mensch, dachten wir, ist der im Tran!

      Aber zur Sache: Die drei Birken, der Gerichtshof machte Riesenzoff, weil es vor dem letzten kalten Winter sieben gewesen sein sollen, und die Wacholdersträucher schützten die Beiden, wie Fiete glaubte, ganz gut vor Feindeinsicht. So hätten sie ihre neckischen Sauereien auch länger als 72 Stunden abgezogen, wäre nicht plötzlich ein Bulle mit Pickelhelm aufgekreuzt, dem die Eltern wohl mit Knete Beene gemacht hatten. Er haute Fiete eins aufs Maul, wie er sagte in vorbeugender Notwehr, und packte ihn und das Madamchen brutal am Genick. Abhauen war also nicht. Ehe sie sichs versahen, hatte er ihnen Handschellen angelegt und sie in den Celler Knast abgeschleppt. Das Gör wurde von den Alten schon erwartet und mit viel Gesums und »Armes Kind«-Gejammer weggeschleift.

      Fiete aber merkte, dass er wieder einmal mit bloßen Fingern in brauner Stinkbrühe steckte. Mag das Mädchen weiter geil wie Schifferscheiße gewesen sein, nun hatte sie zu Hause verschärften Stubenarrest und er in der Zelle auch. Ein Schnellrichter verknackte ihn wegen Landstreicherei und versuchter Unzucht mit Kindern. Strafverschärfend war, dass er keine Bude und keine Penunzen, dafür aber die große Schnauze hatte und randalierte. Sogar gegen den Befehl, Zelle und Exkrementeneimer selber sauber zu halten, protestierte er großfressig. Das wäre »mittelalterliche Zwangsarbeit« giftete er ganz kommunistisch und: »Scheiße ist Volkseigentum und muss auch vom Volk weggeräumt werden.«

      Nach langem Dummtun machte die Exjungfer ihren Erzeugern ein Friedensangebot, das die annahmen. Sie hatten Schiss um ihren schwer bezahlten Bonzenplatz in der ersten Kirchenbank und um die Absatzchancen auf dem Heiratsmarkt. Wenn sie sich für Fietes Freilassung engagierten, könnte sie schwören, dass sie auf ihn künftig pfeift, dass alles fast platonisch war und sie jeder gut betuchte Freier noch unbefleckter als die Jungfrau Maria kriegen würde.

      Erst im Herbst ging Fiete wieder mal zu den Birken. Die feixten über das Zifferblatt des alten Sacks: in Falten gelegt wie ein Plisseerock und angesäuert wie ein Rollmops. Na ja, er war frei, aber diese fiese Junghure hatte es doch tatsächlich fertiggebracht, einen Kerl wie ihn sitzen zu lassen. Dazu das Mistwetter hier, das Gezweig kahl wie Kinderarsch und kein neues Heideliebchen weit und breit. So hängte er seine langen Löffel in den Wind, um mitzukriegen, was die Birken rauschten, verstand aber nur: Der Schatz ist verduftet, den siehste nie mehr.

       Es stehn drei Birken auf der Heide

       Von Hermann Löns (1866 –1914)

      1. Es stehn drei Birken auf der Heide,

      valleri und vallera,

      an denen hab ich meine Freude,

      juppheidi heida;

      die