Sprachbilder und Sprechblasen. Ralf Bachmann

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Название Sprachbilder und Sprechblasen
Автор произведения Ralf Bachmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783867295130



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und wann unentgeltlich weiter und lachten uns bei solchen Gesprächen wegen des beim jeweils Anderen gekünstelt anmutenden Klangs der »Hochsprache« gegenseitig aus. Allmählich erwuchs aus dem Spiel schließlich doch so etwas wie Sprachgefühl. Es kostete uns aber weiter Überwindung, gelegentlich »Keine blasse Ahnung« statt »Geen blassen Dunsd« zu sagen. Bis heute passiert es mir von Zeit zu Zeit, dass ich in unkontrollierten Momenten wohlig in die Sprache meiner Kindheit zurückfalle. Ich habe allerdings das Sächsisch, das wir in meiner Gegend sprachen, nie als schön oder gar liebenswert empfunden, sondern als quasi angeborenen Straßenjargon und oft nur als bequeme Schlamperei. Die deutsche Sprache wurde von Sächsisch seit Luther kaum bereichert. Die wenigen saxonischen Eigengewächse wie Bebbermumbe und Motschegiebschen, illern und didschn, Gelumbe und ei verbibbsch haben sich selten über Pleiße und Elster hinaus ausgebreitet. Für die literarische Erhöhung des Sächsischen habe ich nur in der Satire eines Hans Reimann (1889–1969), einer Lene Voigt (1891–1962), vielleicht noch einiger der besten Pfeffermühlen-Kabarettisten und natürlich auch des unvergessenen Sing-mei-Sachse-sing-Schöpfers Jürgen Hart Verständnis. Einen Naturhymnus oder zarte Liebeslyrik auf Sächsisch mag ich mir nicht einmal vorzustellen.

      Ganz anders geht es mir mit dem Erzgebirgischen und dem Vogtländischen, deren Klang mir ebenfalls seit meiner Kindheit vertraut ist. Das sind eigene Dialekte mit streckenweise heiterer Exotik und derber Schönheit, die ich ins Herz geschlossen habe. Einmal, als wir von Crimmitschau nach Leipzig übergesiedelt waren, kam es in der Schule zu einem peinlichen Vorfall. Meine Mitschüler, mit dem anspruchsvollen Leipziger Sächsisch gesegnet, machten sich über meinen Chemnitz-Zwickauer Singsang lustig, und das auf der letzten Silbe betonte langgezogene »gellehee« (statt »nischwohr«) nach manchem Satz löste Lachsalven aus. Ich behauptete deshalb völlig zu unrecht, ich spräche eben eher Vogtländisch, weil meine Mutter von dort, aus Falkenstein, stamme. Gefährlich wurde das, als mir der zweifelnde Lehrer daraufhin auftrug, ein paar vogtländische Gedichte, die er gesammelt habe und mitbringen wolle, in der Originalaussprache vorzutragen.

      Bemüht buchstabierte ich also in der nächsten Stunde, falls mich die Erinnerung nicht trügt: »Is des e schäss Fleckl, wie kaans af dr Welt, mirs nörgnst sue gut wie im Vuegtland gefellt ...« und »Dem Kanner, dem hamse sei Hosen gestuhln ...«, ein Gedicht, das auf die Lautverschiebung zwischen »a«, »o« und »u« in dieser Mundart abzielt, »wue de Hasen Hosen und de Hosen Huesen haaßen« (wobei man ue nicht als ü spricht, sondern das e nach dem u nur anhaucht). Meine Falkensteiner Freunde mögen Fehler verzeihen, es ist über 70 Jahre her. Ich habe mich wohl trotzdem ganz geschickt aus der Affäre gezogen, denn ich bekam ein Lob.

       Warum ich nicht Schauspieler wurde

      Aber während ich das Vogtländische bei aller Liebe nie zu lernen vermochte, wurde mir der Großstadtjargon so schnell vertraut wie das Gimmelgörnergaun. In Leipzig näherte ich mich dann auch dem Hochdeutschen an. Die beiden Gründe dafür hießen Oberschule und Größenwahn. In der privaten »Teichmannschen Oberschule für Jungen«, die ich besuchen musste, weil nur sie noch bereit war, »Halbjuden« wie mich aufzunehmen, überwogen in der Schülerschaft Söhne von Fabrikbesitzern und Professoren. Sie waren zwar in der Mehrzahl miserabel erzogen und schrecklich überheblich, sprachen aber selbst auf der Toilette fast akzentfrei, da sie es von zu Hause nicht anders kannten. Ich musste mich dem anpassen, wenn ich mich nicht blamieren wollte. Ohnehin wurde Deutsch bald zu meinem Lieblingsfach, weil ich einmal in einer Stunde zwei Aufsätze statt des einen schrieb, der gefordert war, und für beide »sehr gut« erhielt.

      Darüber hinaus lernte ich ziemlich mühelos Gedichte auswendig und meldete mich munter zum Rezitieren. Eine Zeit lang träumte ich, ein großer Schauspieler zu werden. Dieser Traum platzte, als wir mit verteilten Rollen den Osterspaziergang lasen und ein anonymer Mitschüler meinen Part in der Pause danach so an die Tafel schrieb: »Dursch des Frihlinks holten beläbenten Plig.« Das war eine hundsgemeine Übertreibung. Doch sie war tödlich für meine künstlerischen Phantastereien. Ich beschloss auf der Stelle, nur ein gewöhnlicher Schreiber zu werden, bei dem es auf die Rhetorik nicht ankommt.

      Kurz vor Kriegsende war wohl ein Lied (Näheres in Kapitel 3) der Anlass dafür, dass ich von der Schule flog, ohne einen Abschluss zu haben. Trotzdem bewarb ich mich 1945 gleich nach der Befreiung als Volontär bei dem Lokalblatt »Nachrichten für Grimma«. Die ersten journalistischen Erfahrungen blieben bescheiden, da die sowjetische Besatzungsmacht, als sie die amerikanische nach ein paar Wochen in Westsachsen ablöste, keine deutsche Lokalzeitung duldete. Noch bis 1948 sollte es dauern, bis ich mein Volontariat in einer »richtigen« Redaktion, der der Leipziger Volkszeitung, fortsetzen konnte. Ungeschult und aus der Provinz kommend fühlte ich mich im Kreise gestandener Journalisten sehr unwohl. Da gab es Meister des Worts wie die späteren Schriftsteller Erich Loest, Bruno Apitz und Carl Andrießen, Redakteure, die schon in der Weimarer Republik, einer sogar im Kaiserreich, an Arbeiter- und Gewerkschaftszeitungen tätig waren, junge Leute mit Uniabschluss oder wenigstens Einserabitur – ich kam mir anfangs vor, wie sich ein Regionalligist unter Bundesligaprofis fühlen mag, schwor mir aber, fleißig zu lernen und zu üben.

       Anfänger und Ausbilder zugleich

      Doch es blieb keine Zeit für lange Lehrjahre. Ich musste mich von Anfang an jeden Tag bei kleinen und größeren Lokalterminen bewähren: Auftritt des Zauberers Marvelli in der Kongresshalle, Eröffnung einer Zierfischschau, Tauschbörse der Philatelisten, Besuch in einem Metallbetrieb, um für den von Schulabgängern abgelehnten, aber volkswirtschaftlich wichtigen Beruf des Formerlehrlings zu werben, Reportage über den Publikumsverkehr in der größten Leipziger Bibliothek. Wie man Nachrichten und Berichte schreibt, konnte ich nirgendwo nachlesen, sondern nur bei den anderen abgucken oder mir selbst beibringen. Als Lehrbücher dienten mir die zahlreichen Korrekturen der jeweiligen Redaktionsleiter an meinen Manuskripten. Mehr und mehr konnte ich mich aber auch auf meinen Sprachinstinkt und meine Phantasie, meine Freude am Feilen von Formulierungen verlassen. In jeder freien Minute las ich alle Bücher, die mir in die Hände fielen. Mit der gleichen Inbrunst, mit der ich als Schüler die Abenteuer Karl Mays, Jack Londons und Friedrich Gerstäckers und den Liebeskitsch von Hedwig Courths-Mahler und ihrer Tochter Friede Birkner verschlungen hatte, studierte ich nun auf Empfehlung unseres Kulturredakteurs Alfred M. Uhlmann den Stil und die Wortkünste der Romantiker Eichendorff, Novalis und Stifter, vor allem aber die Novellen von Gottfried Keller und immer wieder die Balladen von Goethe und Schiller.

      Die Zeitung litt unter Redakteurmangel. Von denen, die in den Nazizeitungen gedient hatten, kam niemand mehr in Frage, die meisten waren ohnehin längst im Westen. Aber auch unter den neuen Redakteuren galten strenge »Kaderkriterien« der Partei (die LVZ war von Anfang an ein Organ der SED): keine Konzentration von Kleinbürgern, keine Konzentration von Intellektuellen, keine Konzentration von früheren Sozialdemokraten und Westemigranten. Bei den Säuberungen wurden immer wieder begabte Journalisten ausgesondert. Der Ersatz sollte nach den Vorgaben der Parteiführung aus der Arbeiterklasse, vor allem aus dem Kreis der »Volkskorrespondenten«, kommen. So ergab sich, dass ich, ehe ich michs versah, vom Anfänger zum Lehrmeister wurde, indem ich einen Traktoristen, eine Putzmacherin und einen Modellbauer in die Geheimnisse des journalistischen Handwerks und der journalistischen Sprache einweihen musste, die ich doch selbst noch nicht richtig beherrschte.

      Glücklicherweise zeigte sich, dass in ihnen Talent steckte. Allen Unkenrufen zum Trotz wurden sie mit meiner Hilfe früher oder später tüchtige Redakteure. Darauf war ich als gerade mal 18-jähriger Ausbilder stolz. Es störte mich wenig, dass sie die zahlreichen Fertigteile der marxistisch-leninistischen Parteisprache am schnellsten verinnerlichten. Die brauchten sie ja schließlich. »Unter Führung der siegreichen Sowjetunion und unserer leninistischen Kampfpartei schlagen wir die amerikanischen Imperialisten und Kriegstreiber und ihre westdeutschen Handlanger und eilen einem neuen Morgen in einer Welt des Friedens und des Wohlstands entgegen, in der kein Platz für Ausbeuter und Unterdrücker ist.« Wenigstens diese eine Kostprobe soll hier nicht fehlen, sie hat ja schon wieder Unterhaltungswert. Damals war diese Sprache zu schreiben eine Qual nicht nur für mich. Freiwillig redet und schreibt wohl kein normaler Mensch in dieser Art. Aber wie sich zeigt, verlernt man es auch nicht.

       Die Sprache ist eine lebendige Sache

      Beim Fernstudium an der journalistischen