Sprachbilder und Sprechblasen. Ralf Bachmann

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Название Sprachbilder und Sprechblasen
Автор произведения Ralf Bachmann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783867295130



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zweiten Ich geworden ist. Ich habe versucht, mich zu erinnern, wie ich als Sachse dazu kam, wie lustig mein sprachlicher Weg vom Crimmitschauer Straßenjargon zu einem mehr oder minder korrekten Hochdeutsch war, wie mir dieser und jener handwerkliche Trick dabei half. Gleichzeitig wollte ich meine Meinung zu mancher hitzigen Diskussion unserer Tage über vermeintliche und tatsächliche Gefahren für unsere schöne Muttersprache durch das »aggressive Eindringen« von Fremdwörtern, namentlich von jenseits des Ozeans, sagen. In diesem Kontext geht es auch um Fremdenfeindlichkeit und Provinzialismus, um die Nutzlosigkeit des Rufes nach gesetzlichem Sprachschutz und die Notwendigkeit des eigenen täglichen Mühens um ein besseres Deutsch.

      Kritischen Lesern könnten zwei »Bruchstellen« auffallen. In den ersten fünf Kapiteln werden zwanglos plaudernd, aber stellenweise durchaus ernsthaft und gründlich bestimmte Themen ausgelotet. Das folgende »German for Sie« ist im Grunde eine Glossensammlung zu Sprachsünden des Alltags, vor allem in den Medien. Hier ließ schon die damals von der Redaktion vorgegebene Kürze keinen Tiefgang zu, dafür konnte man umso eher zuspitzen und dem Affen Zucker geben. Das Echo zeigte: Manche mögen’s am liebsten so. Einen anderen Charakter versuchte ich dem siebenten Kapitel zu geben. Da ist der Humor mit Bitternis gemischt. Über Exilliteratur ist schon viel geschrieben worden, meist ging es um die Brüder Mann, um Feuchtwanger, Brecht und andere Größen der Literaturgeschichte. Ich wollte vier mir besonders vertrauten Autoren ein ganz persönliches Dankeschön dafür sagen, wie sie, verfemt und verbannt, unserer Sprache Treue hielten und in ihr und mit ihr Lebensmut und Lebensfreude gaben.

      So viel zum Inhalt. Aber das meiste ist nicht so ernst geschrieben und gemeint. Wenn der Leser am Ende lächelnd nickt und ein paar unterhaltsame Stunden hatte, bin ich schon zufrieden.

      Ralf Bachmann

       Dank

      Zu den Themen rund um unsere Sprache, mit denen ich mich meist nur mit leichter Hand beschäftigt habe, gibt es eine Fülle von fachlich hervorragender und tiefer lotender Literatur, derer ich mich bedienen konnte und ohne die das Buch nicht entstanden wäre. An einigen Stellen habe ich konkret auf sie hingewiesen und ihr Studium empfohlen. Hier sage ich allen Autoren und sonstigen Stichwortgebern Dank, die nicht im Einzelnen genannt sind, aber in vielfältiger Weise ergänzten, was ich selbst in meinem langen Journalisten- und Leseleben zu sammeln vermochte. Es wäre unfair zu verschweigen, wie viel leichter das Bücherschreiben geworden ist, seit es Google und Wikipedia gibt.

      Freunde, Familienmitglieder und der Sax-Verlag unterstützten mich durch originelle Vorschläge, Hinweise auf lustige Fehler bei Anderen und weniger lustige in meinem eigenen Manuskript, opferten Zeit für die mühselige Arbeit des Korrekturlesens und halfen bei der Gestaltung, namentlich seien meine Tochter, Fremdsprachendozentin Katrin Hartmann, meine Enkelin M. A. Lydia Strauß, die Linguistin Dr. Claudia Leihkauf, Dr. rer. nat. Wolfgang Hartmann und Verlagsleiterin Dipl.-Ing. Birgit Röhling bedankt.

       Zum Autor

      Ralf Bachmann

      wurde am 29. Dezember 1929 in der sächsischen Industriestadt Crimmitschau geboren. Er ist Sachse in der dritten Generation: Seine Großeltern lebten in Meerane und in Falkenstein (Vogtland), seine Eltern in Crimmitschau und Leipzig, er selbst wuchs in Crimmitschau, Leipzig und Grimma auf. Den heimatlichen Dialekt hat er mit der Muttermilch aufgesogen und konnte ihn nie verleugnen, obwohl ihn sein Beruf als Journalist schon 1953 zunächst nach Frankfurt (Oder) und dann nach Berlin führte, wo er bis heute zu Hause ist. Insgesamt elf Jahre leitete er die Büros der DDR-Nachrichtenagentur ADN in Prag und in Bonn. Im Auftrag der Agentur berichtete er über politische, sportliche und kulturelle Ereignisse in zahlreichen Ländern dreier Kontinente. Er begegnete herausragenden Persönlichkeiten wie »Che« Guevara, Salvador Allende, Willy Brandt, Berthold Beitz und Egon Bahr, interviewte in Lateinamerika und Osteuropa führende Staatsmänner, in Deutschland namhafte Künstler, Schriftsteller und Sportler.

      In den Monaten der Wende wurden ihm in den kurzlebigen letzten DDR-Regierungen informationspolitische Aufgaben übertragen. Er war in der Regierung Modrow stellvertretender Pressesprecher und danach Abteilungsleiter für Medienpolitik in der Regierung de Maizière. Als sich die traditionsreiche Verlegerfamilie Bode 1990 zur Neuherausgabe der »Nachrichten für Grimma« entschloss, übernahm Ralf Bachmann die Leitung der Redaktion, aber die kleine Lokalzeitung war der übermächtigen Konkurrenz der Großverlage nicht lange gewachsen. Später belieferte er den in Bonn erscheinenden Artikeldienst Presseplan mit Reportagen vorwiegend über Berlin und die Mark Brandenburg und schrieb viele Jahre heitere Sprachglossen für Zeitschriften. Wiederholt wurden Sprache und Stil seiner Arbeiten gewürdigt, 1986 erhielt er den Journalistenpreis der DDR »für beispielgebende journalistische Leistungen, die in der DDR Maßstäbe setzten«.

      Kindheit und Jugend Ralf Bachmanns waren von den Diskriminierungen geprägt, die er als »Halbjude« erlitt. Die Faschisten ermordeten mehrere seiner Angehörigen. Eltern und Bruder überlebten KZ und Zwangsarbeitslager. 1995 erschien seine Autobiografie »Ich bin der Herr«, 2006 »Die Bornsteins. Eine deutsch-jüdische Familiengeschichte«, 2009 »Ich habe alles doppelt gesehen. Erkenntnisse und Einsichten eines Journalisten.« Er ist verheiratet mit der Journalistin Ingeborg Bachmann. Beide haben eine Tochter, einen Sohn und vier erwachsene Enkel.

       Kapitel 1

       »... es sind die Wörter, die singen, die steigen und fallen ...

       Vor ihnen werfe ich mich nieder. Ich liebe sie, ich schätze sie, verfolge sie, zerbeiße sie, lasse sie im Mund zergehen ... So sehr liebe ich die Wörter.«

       Pablo Neruda

      Im Bermudadreieck des Hochdeutschen zwischen Leipzig, Dresden und Chemnitz geboren, habe ich dort Sprechen, Lesen und Schreiben in einem ständigen Kampf zwischen Schul-, Straßen- und Familiendeutsch gelernt. Letzteres war nur eine Mischung aus Schule und Straße, anders ausgedrückt: ein Kompromiss zwischen Schädel, Birne und Nischel. Mein Weg zum Hochdeutsch war also – soll ich sagen steinig? Aber Stolpersteine im Bermudadreieck? Ein albernes Bild. Vielleicht eher windig. Oder voller Höhen und Tiefen. Schwer zu steuern. Jedenfalls ist mancher in diesem Kampf gescheitert und ward jenseits des Bemmen-Äquators nicht mehr für voll genommen und verstanden.

      Das Problem beim Hochdeutschreden war für mich zunächst weniger, dass ich es nicht konnte, sondern dass ich es nicht durfte. Man wurde im südwestsächsischen Crimmitschau bei den Gleichaltrigen als erbärmlicher Streber angesehen, wenn man außerhalb der Schulstunde so redete, wie es die Lehrer verlangten. Schon in den Pausen akzeptierte ich den mir unvergesslichen Tadel eines Klassenkameraden als ehernes Gesetz: »Hasdu ehmd ›nein‹ gesaachd statts ›ne‹? Is denn hier ärchndwo ä Lehrer? Mich gönn die ma. Ich red offm Schulhof nich wie e feiner Binkl, sondern wie mer immr redn, wemmer under uns sin. Du hoffendlich ooch?«

      Meine Eltern ermahnten mich manchmal milde, mich doch beim Reden nicht so gehen zu lassen. Aber viel mehr vermochten sie nicht zu tun, sie waren ja auch in diesem Revier aufgewachsen und konnten das all ihren Bemühungen zum Trotz nicht leugnen. Die Meinung gewisser Experten, dazu bedürfte es zunächst einer Kehlkopfoperation, teile ich allerdings nicht.

      Vermutlich nur um einer angestrebten Karriere willen, für die einwandfreies Deutsch Bedingung war, überredete mich eines Tages mein sechs Jahre älterer Bruder zu einer finanziell unterfütterten wechselseitigen Sprecherziehungsmaßnahme: Wer im Gespräch die Regeln der korrekten Aussprache verletzt, muss für jede Sünde fünf Pfennige in ein gemeinsames Sparschwein stecken. Ein beiläufig gesprochener Satz »Määr als arbeeden gannsch ooch nich« kostete insgesamt zwei Groschen Strafe. Dazu kamen täglich die Bußgelder für »Gumma her«, »Sooch das nich«, »Geb mer eens«, »Das gammer nich gloom«, »Gwadsch«. Wir merkten bald, dass wir über unsere pekuniären Möglichkeiten sächselten und gaben auf, nicht das Sächseln, aber das Zahlen.