Название | Sprachbilder und Sprechblasen |
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Автор произведения | Ralf Bachmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867295130 |
Zusammenfassend darf man für alle ängstlichen Gemüter konstatieren, unsere Sprache wäre arm ohne Griechen (Demokratie, Parallele, Patriot, Philosoph, Muse, Fantasie), Lateiner (Amulett, Zettel, Wein, Lokus, Tempo, Fenster), Italiener (Kredit, Giro, Mosaik, Posse, Adagio, Pizza, Kohlrabi, Trüffeln), Franzosen (Dessous, Pantoffel, Boutique, Resümee, Bonbon, Negligé, Rendezvous, Gourmet), Juden (Dalles, Massel, meschugge, Mischpoche, Schlemihl, beschickert), Russen (Sputnik, Datsche, Apparatschik, Kosmonaut, Wodka, dawai, nitschewo, in der DDR auch in der pikanten Variante Weltnitschewo), Türken (Sofa, Papagei, Tasse, Limonade, Fanfare, Spinat, Jogurt) und all die anderen. Mag mancher Politiker tönen, Multikulti sei endgültig gescheitert – die moderne deutsche Sprache atmet den Geist eines gesunden Multikultismus.
Sie wäre weltweit isoliert, würde sie auf die Anglizismen verzichten. Karl-Heinz Göttert spricht in seiner schon in Kapitel 1 zitierten Biografie der deutschen Sprache von einer Brückenfunktion des Englischen, sie sei eine »Lingua franca«, eine freie Sprache, geworden. Englisch verbindet als internationales Sprachwechselgeld die Kontinente und stellt in manchen Bereichen der Wissenschaft das dar, was früher Latein war. Göttert geht noch weiter. Er schreibt: »Englisch i s t das neue Latein.« Wer hätte die Chance, Computer durch elektronischer Tischrechner zu verdrängen, Link durch Verbindungsstück zu anderen Internetseiten, Laptop durch tragbarer Personalcomputer.
Auch im Zeitungsdeutsch kommt man ohne Anleihen bei Fremdsprachen nicht aus. So hieß es im Wissenschaftsteil einer Zeitung: »Die Simulation bestätigte, dass das Universum zu 70 Prozent aus ›dunkler Energie‹ besteht, einem mysteriösen Kraftfeld, dessen Struktur man noch nicht erfassen kann.« Wäre das klarer mit Nachahmung, Weltall, Antriebskraft, geheimnisvoll und Zusammensetzung? Es wäre nur deutscher. Der Sprache ist das egal. Sie hat kein Nationalgefühl. Wir sind nicht ausländerfeindlich, auch unsere Sprache nicht. Übrigens: Viele der übernommenen Wörter sind in Wahrheit Internationalismen. Und 80 Prozent der sogenannten Anglizismen wurzeln laut Göttert selbst im Griechischen, Lateinischen oder Romanischen.
Zum Orogasmusu nach Nippon
Wir sollten also, wenn wir gescheit sind, die fremden Sprachen vorbehaltlos nutzen, soweit sie Besseres als die eigene bieten. Wie aber ergeht es der deutschen Sprache jenseits der Grenzen, ohne die wärmende Obhut der Sachsen und der Schwaben? Das erwähnte Buch über Wortimporte hat einen Zwillingsbruder. Er heißt »Ausgewanderte Wörter« und bringt eine Auswahl aus 6000 Einsendungen und Belegen aus aller Welt zu einer Ausschreibung des Deutschen Sprachrates, bei der nach deutschstämmigen Wörtern in anderen Sprachen gefragt worden war. Das Lesen dieses Buches macht aus manchen Gründen Freude, nicht zuletzt, da es zeigt, dass unsere schöne Sprache kein Auslaufmodell geworden ist, nur weil man sich in allen Kontinenten vornehmlich des Englischen bedient. Herausgeberin Jutta Limbach bemerkt in einem Vorwort, die deutsche Sprache habe sich »mit ihren einfallfreudig zusammengesetzten Wörtern für andere Sprachen immer wieder als eine reichhaltige Fundgrube erwiesen«. Sie nennt als Beispiele solcher »Kombi-Wörter«, die sich in vielen Sprachen wiederfinden, Fingerspitzengefühl, Zeitgeist, Gratwanderung und Leitmotiv.
Wenn die meisten Einsendungen zu Deutschexporten aus dem englischamerikanischen und dem slawischen Sprachraum kommen, verwundert das kaum. Aber es gibt auch »exotische« Exempel. So ist es doch hübsch, auf Estnisch Lips für Schlips und Naps für Schnaps zu hören. In die westafrikanische Sprache Wolof hat man lecker übernommen. Und was könnte wohl aus unserer Sprache bis nach Japan gekommen sein? Nun zum Beispiel arubaito für Teilzeitarbeit, kirushuwassa für Kirschwasser, noirooze für Neurose und, siehe da, orogasmusu mit der gleichen Bedeutung, wie sie der eine oder andere von uns in Erinnerung hat.
Und nach Israel? Etwa Wischer (Mehrzahl: Wischerim) für Scheibenwischer, Schlafstunde für Siesta und Strudel für das @-Zeichen. Vigéc nennen die Ungarn die Hausierer. Die Redewendung »Was ist das« ist komischerweise zweimal ausgewandert, einmal nach Frankreich, wo es Dachfenster, Oberlicht, Türspion bedeutet, vielleicht eine Erinnerung an die auf der deutschen Rheinseite üblich gewesenen Guckfenster, durch die man vor dem Öffnen der Tür fragte: »Wer ist da? Was ist?« In der ungarischen Umgangssprache dagegen benutzt man es im Sinne von keine Kunst »Ez olyan nagy was-ist-das?«, wenn man fragen will: Was ist das schon? Ist das so schwer?
Auch wer was wo erfunden hat, erkennt man am Sprachgemisch. Wie es damit im Tschechischen aussieht, findet man in Lektion 12 des Kapitels »German for Sie«. Die Ukrainer trauen uns das feijerwerk zu, die Bulgaren den schteker, die Russen den schlagbaum und schtrejkbrechery , dazu buterbrody, rjukzak, galstuk (für Schlips / Halstuch), brandmauer (deutsch firewall), buchgalter und zejtnot (beim Schach). Für die Finnen sind wir der Prototyp des besservisseri und versessen auf kahvi paussi, für die Polen hochsztapler oder szlafmyca, womöglich gar im szlafrok, für die Serben štreber. Die Franzosen nennen einen Spaßvogel loustik, den Handball handball, Kitsch kitch und Nudeln nouilles, kennen aber auch le képi, le schnorchel, les neinsager und le waldsterben . Praktisch sind deutsche Wörter in der ganzen Welt kleben geblieben. In der südbrasilianischen Großstadt Blumenau saß ich im Lokal »Frohsinn« und fand zum Oktoberfest auf der brasilianischen (also portugiesischsprachigen) Karte Eisbein mit Sauerkraut. Man könnte einwenden, hier handle es sich um eine einst deutsche Siedlung. Jedoch Oktoberfeste, sznizil (das ist die türkische Schnitzelvariante), Kuchen, Zwieback, Kümmel und Schnaps kennt man wie Gneis und Zink, Nickel und Quarz auch anderswo, natürlich in unterschiedlicher Schreibweise.
In lederhosen zum beer fest
Dass Deutschland Exportweltmeister ist (besser: war), kann man für die Sprache trotzdem leider nicht sagen. Zwei von Deutschland ausgehende Weltkriege und die Hitlerei sind nicht ohne Folgen für die einst zumindest in Nord-, Ost- und Südosteuropa sehr beliebte Sprache geblieben. Aber zum Trost für jene, die wegen Denglisch um unsere Muttersprache bangen, darf man feststellen, dass selbst in den USA gern auf einige deutsche Vokabeln zurückgegriffen wird. Vom Zeitgeist war die Rede. Mit autobahn und fahrvergnügen, fraulein und fuehrer, pilsner und leberkaes mit sourkraut, waldmeister und pretzel, muesli und pumpernickel braucht man kein wunderkind zu sein, um selbst in lederhosen mit rucksack gemütlich zum coffee-klatsch oder zum beer fest zu gelangen, nicht wahr? Der Ruf »Gesundheit!« gilt in den Staaten als vornehmere Variante zu »bless you«.
Wie finden Sie die folgenden amerikanischen Sätze: »I cannot schlepp your luggage«, »There is a poltergeist in the house.« Bei der Präsidentenwahl 2004 in den USA hielt ein Kandidat dem anderen vor: »You are too wischiwaschi.« Im Time-Magazin hatte man für Bush zum Abschied das Wort shwindler parat. Der Fleischer an Portugals Südwestzipfel, dessen Bude die Aufschrift »Letzte Bratwurst vor Amerika« trägt, informiert unvollständig. Er sollte ehrlich zugeben: An bratwursts wird es in New York nicht fehlen.
Es liegt nahe, dass man vermeintlich typisch deutsche Eigenschaften und Produkte auch im Ausland deutsch benennt. Gemütlichkeit natürlich, und dazu Angst, Schadenfreude, Fernweh, Wanderlust, Weltanschauung, Wirtschaftswunder, Leberwurst, Zwieback, Wiener, Gasthof. Nachdenklich sollte stimmen, dass in diese Reihe auch Blitzkrieg, Übermensch, Lumpenproletariat, Hinterhalt und Berufsverbot gehören. Erwähnenswert erscheint mir auch, dass im Englischen wie im Russischen deutsche Befehlsworte für die Hundekommandos bevorzugt werden: Hier! Platz! Hopp! Aus! Sitz! Pass auf! Pfui! Such!
Rettet den Hubschrauber vor dem Helikopter!
Keine Angst also vor dem Sprachcocktail. Was nach dem Turmbau zu Babel geschah, war nur als Übergangslösung gedacht. Auf die Palme bringen sollten uns nur Verletzungen der Sprache durch Modetorheiten, Prahlsucht, unverdaute Sprachbrocken und inhaltloses Geschwätz. Warum aus den Flugzeugentführern