Название | Sprachbilder und Sprechblasen |
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Автор произведения | Ralf Bachmann |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867295130 |
Zur Gegenwartssprache verweise ich auf Dutzende Beispiele für das Kommen und Gehen von Vokabeln in den 20 Lektionen »German for Sie«. Ich werde sie mir hier ersparen. Aber der aufmerksame Leser wird merken, dass zu einigen Themen schon wieder neue Wortsterne am Sprachhimmel erstrahlt sind, die dort fehlen, weil sie noch nicht geboren waren. Genannt seien nur Tsunami, Vuvuzela, Geodienste, Apps, googeln, twittern und guttenbergen.
Nie wieder Repermentieren
Die einzige Sportart, die ich mein Leben lang geliebt und betrieben habe, ist die Wortakrobatik. Wortspielereien sind mindestens so alt wie die Narren an den Höfen und die Streiche des Till Eulenspiegel. Wortwitze können sehr geistreich, sehr albern und sehr gequält sein, für die Macher mindestens ebenso unterhaltsam wie Kreuzworträtsel. Was haben wir in feuchtfröhlichen Stunden nach Redaktionsschluss nicht alles ersponnen oder wenigstens kolportiert: Misswahlen in der DDR. Miss Wirtschaft war Frau Mittag, Miss Bildung war Frau Honecker, aber es gab auch eine Miss Ernte, eine Miss Geburt, eine Miss Stimmung, eine Miss Billigung, eine Miss Etat, eine Miss Verhältnis und so fort. Dann kamen die Erfinderwitze in Mode: Garibaldi wurde zum Erfinder des Schnellkochtopfes, Puccini Erfinder des Staatsstreiches, Brecht-Schwiegersohn Schall sollte das Echo, Eisenhower den Schlaghammer entdeckt haben. Die zu DDR-Zeiten viel diskutierte Zittauer Aktivistin Frida Hockauf hielt jemand für die Schöpferin des Plumpsklos. Ihren Lehrsatz »So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben« wandelten wir ab in »So wie wir heute arbeiten, möchten wir morgen gewiss nicht leben«. Sehr beliebt war auch das Ausdenken von Sprüchen über Politiker, bei denen sich jeder denken konnte, was er wollte: Stoph bleibt Stoph, Erich währt am längsten, Sindermann macht’s möglich, Kulturpolitik macht Hager, Grotewohl ist mir am Abend.
Ein besonderer Spaß war die Bereicherung der Sprache durch frei erfundene Wörter wie Flatterbusen oder auch Schni (für die Abschalttempoquote bei gewissen TV-Sendungen wie Schnitzlers »Schwarzem Kanal«). Das Wort Ökologik entstand durch einen Schreibfehler und hat als Zufrühgeburt nicht überlebt, heutzutage wäre es vielleicht Kandidat für das »Wort des Jahres«. Die nicht existierende Muzope machten wir zu einem DDR-Produkt und brachten sie in mehreren Zeitungen unter. Dazu verweise ich auf Kapitel 2 meines Buches »Ich habe alles doppelt gesehen« (Seite 31 ff.). Bei der Erfindung eines so geheimnisvollen Vorgangs wie der reinen Phantasiegeburt »Repermentieren« gab es einen gewissen politischen Zusammenhang. Könnte das nicht nach einer neuen »Abweichung« klingen und wachsamen Gemütern Angst machen? »Beinah hätten se uns nun beim Repermentieren erwischt«, »Der Parteitag hat doch eindeutig Stellung gegen das Repermentieren bezogen«, »Der braucht sich nicht zu wundern, dass er in die Wüste geschickt wird, wenn er dauernd repermentiert«. Wir waren innerlich stolz, schüttelten aber scheinbar bedenklich den Kopf, wenn einer zugab, davon nie gelesen zu haben und gar nicht zu wissen, was das ist.
Manche machten ihre Wortspielchen in Form von »anonymen« Redensarten, die nur aus häufig benutzten Phrasen bestanden, aber Prädikat und Thema ganz wegließen: »Kaum dass se nun, wer’mer doch nich schon wieder«, »Wenn die das nun noch, hamm se uns alle am Arsch«, »Hat der doch glatt, und dann schämt er sich nicht mal«. Das waren manchmal hinterlistige Anspielungen, die Insider verstanden und zu ergänzen vermochten. Meist war es überhaupt nicht zweckbestimmt, kein versteckter Protest, sondern Sprach- und Hirnakrobatik. Oder war es nicht einmal das, sondern einfach nur Geblödel?
Heim ins Bermudadreieck
Will man am Schluss eines Kapitels, das mit dem Widerstreit zwischen Dialekt und Hochdeutsch begann, noch einen Blick auf die Zukunft der Sprache werfen, so ist die Frage erlaubt, ob Deutsch überhaupt eine Überlebenschance hat. Man warte mit dem kollektiven Aufschrei »Selbstverständlich!« ruhig einen Moment. Mehr und mehr Kinder in Europa – Deutschland ist da noch weit zurück – lernen bereits im Kindergarten als Zweitsprache spielend Englisch, schon um später die Cover auf den DVDs lesen zu können. Es wird keine hundert Jahre dauern, bis man in Italien Italienisch und Englisch, in Griechenland Griechisch und Englisch, in Polen Polnisch und Englisch, in der Schweiz Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch fließend spricht. In Deutschland wird Deutsch mit Englisch nicht allein bleiben können. Über 15 Millionen Menschen auf dem Territorium unseres Landes haben schon heute ihre sprachlichen Wurzeln anderswo, allein an die 2,5 Millionen im Türkischen. Kann das Sprachelernen da immer nur die anderen angehen?
»Der deutschen Sprache wird also einiges zugemutet«, fasst der Germanist Karl-Heinz Göttert in »Deutsch – Biografie einer Sprache« die Problematik zusammen. »Von außen kommt das Englische, von innen steht es mit zahlreichen Sprachen aus Europa und der Welt im Wettbewerb.« Aber welche Wettbewerber haben die besten Chancen? Die Muttersprachen von Özil, Podolski und Robben besitzen zumindest keine Vorteile gegenüber der von Müller und Ballack auf dem Weg in ein vielsprachiges Europa und ein mehrsprachiges Deutschland. Göttert ist der Überzeugung, dass Deutsch gut gerüstet in den Sprachenwettbewerb geht, wenn es sich ihm stellt und sich noch mehr für das Neue, für das »Fremde« öffnet.
Vielleicht bringt die Mehrsprachigkeit der globalisierten Welt auch dem Sächsischen, dem Bayrischen, dem Schwäbischen und dem Plattdeutschen Vorteile. Die Rückkehr zu den heimischen Dialekten, wo man die »Nestwärme der Regionalität« findet, wird zunehmen. Also »Heim ins Bermudadreieck«, wenigstens nach Feierabend, und lassen wir uns nicht verdrießen, wenn sich Lene Voigt über unsere »scheißliche Ausschbrahche« und unseren »ähländn Dialäggd« beschwert. Morgen früh bei Arbeitsbeginn heißt es ja doch wieder »Yes, we can« – auch Hochdeutsch.
Kapitel 2
Ist der Übersetzer der Chef vom Untersetzer?
Gedanken über das Wunder der Sprachbilder und über Stilvarianten der Unzucht im Heidekraut
»Jede Sprache, die sich frei betätigen darf, dient allen menschlichen Bedürfnissen, sie dient der Vernunft wie dem Gefühl, sie ist Mitteilung und Gespräch, Selbstgespräch und Gebet, Bitte, Befehl und Beschwörung.«
Victor Klemperer
1945 stand ich als blutjunger Volontär der »Nachrichten für Grimma« hinter unserem ebenerdigen Verlagsschaufenster und wunderte mich über einige Knaben, die obszöne Gesten in unsere Richtung machten und sie mit ebensolchen Rufen begleiteten. Als des Rätsels Lösung erwies sich eine kleine Notiz auf der Lokalseite: »In der Handschuhfabrik M. & P. Händel brach gestern ein Feuer aus, das aber noch vor Eintreffen der Feuerwehr von den männlichen Gliedern der Belegschaft gelöscht werden konnte.« Alles an diesem Text stimmte, nur das Bild nicht. So kam ich eines Tages auf die Idee, komische Bildstörungen zu sammeln und blieb dabei bis heute.
Im Bild sein ist immer, in der Sprache aber besonders wichtig. Die bildliche Wendung ist ihr emotionalster und schönster Teil, vielleicht die ursprünglichste Form der Menschen, sich künstlerisch zu artikulieren. Allerdings kann man sich auch mit kaum etwas so leicht lächerlich machen wie mit dem Verstümmeln und Verdrehen bildhafter Redewendungen, seien sie noch so abgenutzt und verblasst. In der ARD-Dauerserie »In aller Freundschaft« dient ein Pfleger Brunner zeitweise als Witzfigur, weil er alle Sprichwörter verballhornt. (Der tüchtige Buchdrucker Johann Ballhorn, der im 16. Jahrhundert in Lübeck wirkte, ist übrigens ganz ungerechtfertigt zum sprichwörtlichen Urvater aller Verschlimmbesserungen gemacht worden.) Brunner sagt, wenn den Autoren nichts Besseres einfällt, »Schmiede das Glück, so lange es heiß ist« oder »Morgenstunde ist aller Laster Anfang« oder »Steter Tropfen höhlt den Fluss«. Ein beliebter ausgedachter Bildwitz ist: Das schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht. Ein Klassiker meiner Sammlung übertrifft ihn: Der Zahn der Zeit, der so manche Träne getrocknet hat, wird auch über diese Wunde Gras wachsen lassen.
Trainer unter Zugzwang und eine Nase im Ring
Meist entstehen solche Zerrbilder aber unabsichtlich durch Versprecher oder Denkfehler. Als die reizende TV-Moderatorin Caren Miosga von einer »kläffenden Wunde« sprach, dachte sie vielleicht eher an »klaffende Hunde«. Unter Zugzwang litt als damals Stuttgarter Fußballtrainer Markus