Trips & Träume. Klaus Fischer

Читать онлайн.
Название Trips & Träume
Автор произведения Klaus Fischer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870196



Скачать книгу

ausgebreitet. Wer keinen Platz zum Hinhocken gefunden hatte, drückte sich den Rücken an der Wand krumm. Auf der Längsseite zur Straße hin gab es eine Fensterfront. Sie bestand aus dickem, milchigem Glas und war geschlossen, was dazu führte, dass mir die stickige Luft den Schweiß aus den Poren trieb.

      Außerdem roch es nach süßem Gras. Halleluja!

      Der Grund für Marks Flattermann stand am Büchertisch und schlürfte mit einem Strohhalm eine Cola. Karen war nicht allein. Neben ihr strich Andi seinen Schnurrbart glatt und redete hemmungslos auf sie ein. Bei jedem zweiten Satz klemmte er sich die fettigen Haare hinters Ohr.

      Ich konnte den Typen nicht ausstehen und fragte mich erneut, was Karen an ihm fand. Es hieß, Andi besitze einen Steinway, einen gebrauchten zwar, aber immerhin eines der besten Klaviere, die es für Geld zu kaufen gab. Auf dem spielte er Jazz, erzählte man sich. Er war der Einzige, von dem ich wusste, dass er sich in Harmonielehre auskannte. Noten lesen konnte er natürlich auch. Außerdem hatte er immer die aktuellsten Platten.

      Seine Belesenheit und Eloquenz kotzten mich an. Zu jedem und allem wusste er stets etwas Superschlaues zu sagen. Für mich war er einfach nur ein intellektueller Angeber.

      John Coltrane, der Saxophonist, und Theodor W. Adorno, der Philosoph, hatten es ihm besonders angetan. Obwohl die gar nicht zusammenpassten. Adorno hatte Jazz gehasst.

      »Dieser Blödmann ist auch hier«, grummelte Mark.

      »Du bist bloß eifersüchtig«, entgegnete ich. »Lass uns mal hallo sagen.«

      Karen winkte, sie hatte uns bereits entdeckt. »Hey, Mark, hey, Satti, ich bin vielleicht aufgeregt. Das wird ein tolles Konzert«, sagte sie und lachte. Karen hatte ein besonderes Lachen, leicht und zwitschernd. Man hörte es überall heraus.

      Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste mich links und rechts auf die Wange. Sie sah umwerfend aus in den selbstgeschneiderten kirschroten Satinhosen mit dem weiten Schlag und der Bluse mit dem Paisley-Muster. Um den Hals hingen ihr drei riesige Perlenketten. Natürlich waren die nicht echt, aber an Karen sahen sie klasse aus. Um die Hüfte hatte sie sich ein Tuch aus schwarzer Seide gebunden. Ihre Füße steckten in chinesischen Stoffslippern. Die mit Henna gefärbten Haare waren sorgfältig hochgesteckt und wurden von einer Lederspange gehalten.

      Das hatte irgendwie Stil. Ja, genau, den hatte es. Karen verband das Aussehen von Uschi Obermaier mit dem Klamottenfimmel von Janis Joplin. Sie war ein Hippie-Mädchen wie aus dem Bilderbuch.

      Andi fingerte eine Packung filterlose Gauloises aus dem Inneren seines Jacketts. Dieses Teil, mit Lederflicken an den Ellbogen, war seine Standardjacke, dazu ein zerknittertes Karohemd, ausgebeulte Cordhosen und hohe Turnschuhe. So lief er immer herum, egal bei welcher Gelegenheit.

      Ich warf erst einmal einen Blick auf den opulent bestückten Büchertisch.

      In der Literaturecke gab es Grass, Böll und Borchert. Die Philosophie war vertreten mit Bloch, Horkheimer und Marcuse. In der Psychoabteilung lagen Wilhelm Reich und Ronald D. Laing aus. Die Systemkritik fehlte auch nicht, hier standen Lenin und Marx einträchtig neben Bakunin. Dann ein nicht zu übersehender Stapel des kleinen roten Buches mit den Sprüchen des großen chinesischen Vorsitzenden.

      Wenn der Vorsitzende des örtlichen DGB-Verbandes Wind davon bekäme, dass hier die Mao-Bibel verkauft wurde, aber keine einzige Gewerkschaftsbroschüre auslag, würde er mit Sicherheit Stress machen. Lief der bärtige Bücherfreak vielleicht deshalb so nervös auf und ab?

      Wahrscheinlicher war, dass er Schiss hatte, seine Ware, die zum Umsturz des Systems aufrief, könnte geklaut werden.

      Aber was war denn das? Links neben dem Tisch hockte ein Freak im Schneidersitz auf dem Boden. Er sah aus wie ein Waldschrat mit seiner zotteligen Rotschopfmähne und dem wild wuchernden Bart, der ihm bis zur Brust ging. Vor ihm ausgebreitet auf einem Tuch die tollsten Kifferutensilien. Da lagen sie, die Chillums, Kawumms und Purpfeifchen, aus Holz und Sandstein und mit allerlei Verzierungen. Beste Handarbeit. Auch Räucherstäbchen in den verschiedensten Duftnoten hatte er im Angebot sowie kleine Flaschen mit Moschusöl und Rosenwasser. Und jene Hemden, wie er selbst eines trug, ohne Kragen, die am Hals mit einer Art Bindfaden zugezogen wurden. Das war der neueste Hippie-Schick. Wie Carlos Castanedas Buch Die Lehren des Don Juan, das er ebenfalls feilbot.

      Auf dem Büchertisch leuchtete mir in großen roten Lettern vor knallgelbem Hintergrund das Wort ACID entgegen. Ich nahm das Buch mit dem psychedelisch anmutenden Umschlag in die Hand.

      »Das ist eine Sammlung amerikanischer Undergroundliteratur«, sagte Andi. »Die ist zwar schon zwei Jahre alt, sollte man aber gelesen haben.«

      Er deutete auf meine Jutetasche. »Aber wem sage ich das, du trägst bestimmt wieder eine halbe Bibliothek mit dir herum?«

      Ich hatte Jean-Paul Sartre und Albert Camus dabei. Die französischen Existenzialisten fand ich hochinteressant. Wie immer hatte ich auch ein Fremdwörterlexikon und mein fast vollgeschriebenes Notizheft eingesteckt. Das Lexikon war eine wichtige Informationsquelle. Im Notizheft hielt ich meine Gedanken fest, wo immer sich die Gelegenheit ergab. Schreiben, das machte mir Spaß, das war mein Ding.

      Andi war anscheinend in der richtigen Stimmung für eine kleine intellektuelle Auseinandersetzung. Bitte, kannst du haben, dachte ich.

      »Jeder ist für sein Handeln selbst verantwortlich. Das bedeutet, dass der Mensch das ist, was er tut, was er aus sich macht«, sagte ich.

      »Hört, hört, der Herr Bildungsbürger zitiert Sartre. Bravo, kann ich da nur sagen. Aber die Zeit der Existenzialisten ist längst vorbei«, knurrte Andi abfällig. Mit der einen Hand zwirbelte er am Schnurrbart, mit der anderen klemmte er sich die Haare hinters Ohr.

      »Existenzialismus ist keine Mode, sondern eine Lebenseinstellung. Ein Existenzialist ist einer, der für den Augenblick lebt«, gab ich lapidar zurück.

      Sartre. Der Philosoph der Straße, der Cafés, Clubs und Bars. Der hatte den Mumm, von der Revolution zu schreiben und den Nobelpreis abzulehnen. Adorno dagegen war akademisches Hirnschwitzen, theoretisches Wolkenkuckucksheim. Ihn zu lesen, verursachte mir regelrechte Pein.

      »Was machst du eigentlich hier, Andi?«, fragte Mark, der sich nun zu uns gesellt hatte. »Was wir heute zu hören bekommen, ist doch unter deinem Niveau.«

      »Falls du es noch nicht weißt: Der Trommler von Guru Guru war mal ein Jazzer, bevor er zum Rock konvertierte.« In Andis Antwort schwang eine Überheblichkeit mit, die jemand entwickelt, der glaubt, alles zu wissen.

      Mani Neumeier, der Schlagzeuger von Guru Guru, hatte mit der Schweizer Pianistin Irène Schweizer vor einigen Jahren frei improvisierte Musik gespielt. Das war Schnee von gestern und mir längst bekannt.

      Karen schien die schlechten Schwingungen zu spüren. Sie war nicht nur ein attraktives, sondern dazu noch ein ungemein einfühlsames und harmoniesüchtiges Mädchen.

      »Mark, was machen denn deine eigenen Ambitionen als Schlagzeuger?«, fragte sie. Dass Mark davon träumte, Trommler zu werden, hatte ich ihr vor nicht allzu langer Zeit erzählt.

      »Weißt du«, begann Mark, »ich ... ich hab zwar kein eigenes Drumset, noch nicht, aber ich übe jeden Tag.«

      Pause, Luftholen.

      »Ich übe auf Bongos.«

      Auf Bongos!«, fuhr ihm Andi über den Mund. »Da lernst du nie was. Nicht das, was du als Schlagzeuger brauchst. Ohne eigenes Set kannst du es vergessen.« Karen blickte Andi vorwurfsvoll an. »Du benimmst dich unmöglich.«

      Andi provozierte weiter. »Wenn du wirklich spielen kannst, Mark, dann zeig doch mal, was du draufhast. Oder bluffst du nur?«

      »Wie du meinst«, sagte Mark, drehte sich um und marschierte los.

      Ich blickte ihm nach, bis er von der Menge verschluckt wurde.

      »Leute, entschuldigt mich, ich habe was zu erledigen«, sagte ich.

      »Hey, Satti, Miles Davis, der Jazz-Trompeter, hat mal gesagt: Ich bin nicht, was ich tue, ich tue, was ich bin. Darüber