Trips & Träume. Klaus Fischer

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Название Trips & Träume
Автор произведения Klaus Fischer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870196



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      In der Anzeige hatte gestanden, der Beginn der Trauerfeier sei um elf Uhr. Obwohl der Friedhof von Huguettes Haus nur wenige Minuten zu Fuß entfernt lag, war ich bereits eine Viertelstunde über der Zeit.

      Ich folgte dem breit angelegten Weg, der vom Eingang aus geradewegs zur Kapelle führte. Links und rechts von Bäumen gesäumt, wirkte er wie eine Allee. Wind kam auf, der sanft durch die kahlen Äste strich. Ich ging vorbei an Gräbern mit prachtvollen Steinen aus Granit und Marmor. Nichts war zu hören außer dem Wind und meinen eiligen Schritten. Inzwischen war ich an der Kapelle angekommen. Als ich die Hand nach der gusseisernen Klinke ausstreckte, hielt ich einen Moment inne.

      Von drinnen war nichts zu hören. War da überhaupt jemand? Hatte ich mich geirrt? Das konnte nicht sein. Der Parkplatz war zugestellt mit Autos, es gab keine freie Lücke mehr. Wagen mit Berliner und Hamburger Kennzeichen fielen mir auf. Ich seufzte und drückte die Klinke herunter.

      *

      Als Erstes kroch mir Weihrauch in die Nase. Aber da war noch etwas anderes: der Geruch, der in einem Raum entsteht, in dem sich viele Menschen aufhalten. Und ein leichter Duft von frischen Blumen. Als Nächstes fiel mir das Licht auf. Das Flackern der zwei mannshohen und armdicken Kerzen neben dem Altar hinterließ an den Wänden der Kapelle schaurig schöne Schattenspiele.

      Der Priester schritt in einem prächtigen Gewand daher, das mit goldenen und roten Stickereien versehen war. In gebührendem Abstand hinter ihm hielten sich zwei junge Messdiener, gekleidet in einfache weiße Soutanen. Wie ein Pendel und mit ausgestrecktem Arm schwenkte der Priester eine Kette, an der eine Kugel hing, die mehrere Öffnungen aufwies. Der austretende Rauch legte sich wie ein Schleier über die Szenerie, langsam kroch der Nebel am Boden entlang und breitete sich im ganzen Raum aus.

      Vor dem Altar in Höhe des Mittelgangs stand auf einem kleinen Tisch eine goldene Urne. Der Tisch war mit Tüchern aus weißem Stoff dekoriert. Um die Urne herum lagen üppige Blumenbouquets. Etliche Kränze mit Schleifen, auf denen letzte Grüße standen, waren auf dem Boden zu einem kunstvollen, das Auge ansprechenden Ensemble drapiert worden.

      Links hinter dem Altar stand ein Klavier. An ihm hatte einer der Messdiener Platz genommen. Die Stimmung war angespannt. Alles wartete darauf, was als Nächstes geschah. Vereinzeltes Räuspern und das Rücken von Stühlen.

      Ich schaute mich um. Die Kapelle war gefüllt bis auf den letzten Platz – es war so voll, dass sich an der Wand eine Reihe gebildet hatte, in der die Leute eng beieinander standen. Es mussten um die achtzig Trauergäste sein. Ich hatte mich direkt neben den Eingang gestellt und lehnte mit dem Rücken an dem kalten Gemäuer.

      Meine Augen hatten sich inzwischen an die Lichtverhältnisse gewöhnt.

      Da entdeckte ich sie. Mark und Don. Sie saßen in der fünften Reihe.

      Wir hatten uns einmal sehr gut gekannt. Ja, ich konnte sagen, Mark und Don waren meine Freunde gewesen. Besonders Mark.

      Doch nachdem das Musikfieber und alles, was damit zusammenhing, jäh geendet hatte, hatten wir uns aus den Augen verloren.

      Richtig war wohl eher, dass keiner von uns den Kontakt aufrechterhielt. Die Ereignisse hatten mehr als nur Schmerz verursacht. Die Wunde war verheilt, aber eine Narbe geblieben. Nach dreiunddreißig Jahren sah ich Mark und Don heute zum ersten Mal wieder.

      »Satti, bist du das?«

      Hördi. Ja, er war es wirklich. Da gab es kein Vertun. Die gleichen langen, fettigen Haare, dem Anlass entsprechend züchtig zu einem Pferdeschwanz gebunden. Natürlich war er älter geworden. Wie wir alle. Sein Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Er trug eine alte Regenjacke, den Kragen hochgeklappt. In das freundliche Gesicht mit der markanten Nase hatten sich tiefe Furchen eingegraben. Er sah gesund aus. Etwas dünn vielleicht, doch so war er schon immer gewesen. Ein schmaler Kerl eben, ein Hemd, wie man so sagt, aber unglaublich zäh. Der konnte was vertragen. Hördi war einer der verrücktesten Freaks, die ich kannte. Auf einigen Partys in den Zeiten des Musikfiebers hatte ich ihn in Bestform erlebt. Aber er ist nie ausgeflippt. Selbst auf dem härtesten Trip nicht. Er hatte sich stets unter Kontrolle. Er war bekannt dafür, stundenlang durch die Stadt zu spazieren, Runde um Runde zu drehen. Man konnte ihn einen Einzelgänger nennen.

      »Mensch, Hördi, schön, dich zu sehen«, flüsterte ich.

      Ja, ich freute mich wirklich, diesen abgedrehten Typen zu treffen. Ich hatte ihn immer gemocht.

      »Gestern Abend, vor dem Haus, in dem früher das Hot Rats war, wäre mir beinahe jemand ins Auto gelaufen. Der sah so aus wie du«, sagte ich.

      Er grinste breit. Die Furchen in seinem Gesicht formierten sich zu Rissen in einem Felsen. »Ich kam aus Tscharlies Kneipe. Entschuldige, wenn ich dich erschreckt haben sollte.«

      »Das ist unerhört! Wie können Sie sich nur so unhöflich benehmen!«

      Die Frau war in Huguettes Alter. Sie war so aufgeregt, dass das kleine Hut auf ihrem Kopf ins Wanken geriet.

      Hördi packte einen Ärmel meines Mantels und schob mich sanft in Richtung Tür. »Lass uns draußen reden.«

      »Wer war das, kennst du die Frau?«

      »Klar, das ist die Mutter von Fetzer.«

      Fetzer. Noch einer aus unserer Korona.

      »Was ist aus dem geworden?«

      So leise wie möglich schlüpften wir durch den Türspalt ins Freie. Hördi holte ein silbernes Etui aus der Jacke, eines, das er früher schon mit sich herumgetragen haben musste, so matt und abgenutzt sah es aus. Er bot mir eine Selbstgedrehte an. Dankbar griff ich zu.

      »Fetzer ist tot. Schon mehr als zehn Jahre.«

      »Tut mir leid, das habe ich nicht gewusst. Was ist passiert?«

      »Unmengen von Alkohol, drei Schachteln Zigaretten am Tag, miese Jobs und eine gescheiterte Ehe. Irgendwann hat das Herz Probleme gemacht, schließlich hat die Leber aufgegeben.«

      »Traurig«, sagte ich.

      Ich hatte Fetzer bewundert. Er war stark gewesen, ein Beschützertyp mit einem mächtigen Bizeps. Er besaß eine große Klappe und ein noch größeres Herz, in dem alle Platz hatten. Aber er konnte zulangen, wenn es sein musste. Fetzer hatte einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit besessen. Wenn er sich schlug, dann für eine Sache, nie um des Prügelns willen.

      Ich nahm einen tiefen Zug an der Zigarette und musste husten.

      »Ich hätte es wissen müssen. Du rauchst noch immer diesen Mördertabak, dieses schwarze Kraut, stimmt’s?«

      Hördi grinste. »Damit haben wir früher sogar Tüten gedreht.«

      »Ja, das haben wir. Rauchst du, ich meine ...«

      »Hin und wieder zieh ich einen durch, ja.«

      Wir schauten uns an. Dann mussten wir lachen. Hördi klopfte mir auf die Schulter. »Was machst du heute so, hast du Familie?«

      »Ich bin verheiratet. Meine Frau heißt Mila. Wir haben eine vierjährige Tochter, Maja. Und du, was ist mit dir?«

      »Ich brauche meine Unabhängigkeit. Freiheit ist das höchste Gut, sage ich immer. Ich bin solo. Ist besser so. Ich kann keine Kompromisse eingehen.«

      Hördi steckte sich die zweite Zigarette an. Also immer noch Kettenraucher. Meine Neugier war noch nicht gestillt.

      »Was arbeitest du?«, erkundigte ich mich.

      »Ich bin, wie soll ich sagen ...?« Er überlegte, was er sagen sollte.

      »Na ja, zurzeit hab ich keinen Job. Ich habe alles mögliche gemacht, mal hier, mal da – im Supermarkt Kisten gestapelt, in einer Schraubenfabrik Schichten gekloppt. War nichts für mich. Ich hab’s mit dem Rücken. Dann mussten sie Leute entlassen. Tja, und schwupp war ich draußen. Seit fünf Jahren schon.«

      »Das tut mir leid«, sagte ich.

      »Ich komm klar. Aber was treibst du so?«

      »Ich