Название | Trips & Träume |
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Автор произведения | Klaus Fischer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870196 |
Ich stieg über ein in heftiges Petting verkeiltes Pärchen hinweg. Sie sah aus wie ein Prachtweib aus einem Robert-Crumb-Comic. Er, geil wie Fritz the Cat, hatte seine Schlabberzunge tief im Ohr der Lady. Seine Patschepfötchen rubbelten irgendwo in den unteren Regionen des Mädchens. Sie konnte das Gleichgewicht nicht halten und sank langsam nach hinten weg, mit geschlossenen Augen gab sie sich dem Rausch der Gefühle hin.
Von diesem Anblick irritiert, stolperte ich über ihre im indischen Mehndi-Stil bemalten Hände. Als ich aufschaute, tauchte ein dürrer Kerl auf. Er hatte einen langen, zerzausten Bart wie Moondog, der blinde New Yorker Straßenmusiker, der ziemlich abgedrehte Musik komponierte. Ich hatte mal was über diesen amerikanischen Outlaw gelesen, der kostümiert wie ein Wikinger über den Times Square lief. Dieser Moondog hier vollführte tanzend eine Art Beschwörungsritus. Mit den Händen malte er imaginäre Bilder in die Luft.
Eine ausgewachsene Kifferparanoia kam über mich. Mein Freund, der schwarze Afghane, verwandelte Moondog von einer Sekunde auf die andere in ein zehnarmiges Monster. Er sah auf einmal schrecklich ausgemergelt aus, die langen Haare baumelten ihm in dünnen fettigen Strähnen ins Gesicht, aus dem mich seine glühenden Augen wie rote Blitze ansprangen. Er kam immer näher. Wild klopfte mir das Herz in der Brust. Moondog würde über mich herfallen, mich mit einem Fluch belegen oder Vampirzähne in meinen Hals rammen – irgendetwas in dieser Art.
Jemand packte meine Schultern und zog mich weg.
»Ganz ruhig, Alter, sonst kommst du noch auf Horror.«
Die Stimme kam mir bekannt vor. Klar, vor mir stand Skip. Gleich darauf traten Paul und Gero in mein Blickfeld. Die Unzertrennlichen. Das Trio infernal. Die Kerle kamen nie allein, immer nur im Dreierpack.
Paul spielte ein bisschen Gitarre, Skip versuchte sich am Bass. Sie trafen sich bei Gero; in der guten Stube seiner Eltern stand eine Orgel, auf der er Sachen von Ekseption nachklimperte. Skip und Paul stöpselten ihre Instrumente in die Braun-Stereoanlage und brachten die Boxen fast zum Durchglühen. Die drei improvisierten ungeniert drauflos. Als Eins-a-Anfänger, die sie waren, kam nur Mist dabei heraus.
Vielleicht fehle ihnen nur jemand, der ihnen sagte, wo es langgeht. So eine Art musikalischer Direktor, einer, der sie richtig rannehme, war Marks Kommentar, als ich ihm davon berichtete.
Paul fuchtelte mit den Händen vor meinen Augen. »Komm wieder zu dir, Schweinepriester, du bist in Sicherheit.« Er liebte Kraftausdrücke.
»Ja, ja, ihr habt mich gerettet. Toll, prima«, sagte ich.
»Ein bisschen mehr Dankbarkeit hätte ich schon erwartet«, murrte Skip und kratzte sich den Fusselbart.
»Sorry, Leute, aber der Shit ist alle«, sagte ich und griff nach der Jutetasche.
»Lass gut sein, Mann, mein letztes Törn-Piece würde ich auch nicht rausrücken, verdammt nochmal«, maulte Paul.
»Wen oder was suchst du eigentlich?«, fragte Gero, als könne er meine Gedanken lesen. Gero, das Goldlöckchen mit der John-Lennon-Brille.
»Habt ihr Mark gesehen?«, fragte ich.
»Ja, verflucht«, sagte Paul, »der steht an der Bühne und glotzt das Schlagzeug an, als wäre es das achte Weltwunder. Falls du zu ihm willst, kannst du das abhaken. Nach vorn ist kein Durchkommen mehr.«
Das Schlagzeug war ein Ludwig. Doppelbassdrum ohne Resonanzfelle, eine richtig fette Snare, vier Hängetoms, zwei Standtoms und sechs golden glänzende Paiste-Becken.
Alle Trommeln waren mit einer Perlmuttbeschichtung versehen, was diesen Mercedes unter den Schlagzeugen strahlend weiß und unglaublich schön erscheinen ließ. Direkt hinter dem Sitz des Drummers stand ein Gong von der Größe eines Ufos.
Das war mit Abstand die tollste Schießbude, die ich je gesehen hatte. Seit ich Mark kannte, träumte er von so einem Teil. Wenn wir zusammen in meinem Dachzimmer abhingen, um auf dem Mister Hit seine Platten zu hören – Pink Floyd, Yes, Genesis und King Crimson –, jammerte er mir jedes Mal vor, ein Ludwig, das wäre es.
Höhepunkt dieser Sessions war Santanas »Soul Sacrifice« vom Woodstock-Album. Mark legte zu dem Stück ein Solo auf den Bongos hin, als ginge es um sein Leben. Wenn Carlos Santana gewusst hätte, was der Junge so draufhat – auf der Stelle hätte er ihn engagiert.
Gero holte mich in die Wirklichkeit zurück. »Echt abgefahren, das solltet ihr euch anschauen. Der Kerl hat Mut, das muss man ihm lassen.«
Paul starrte zur Bühne hinüber. »Das gibt es nicht.«
»Crazy, absolut crazy.« Skips Mund war vor Erstaunen weit offen.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
Mark blickte nach links und rechts, so, als wollte er eine Straße überqueren. Weit und breit kein Roadie in Sicht. Lässig machte er zwei Schritte nach vorn, niemand hinderte ihn daran. Und hoppla, schon stand er mit beiden Beinen auf den Brettern des Rock ’n’ Roll.
Ganz langsam zog er den Parka aus. Wie selbstverständlich nahm er hinter dem Ludwig Platz und zauberte einen Satz Trommelstöcke hervor. Bislang hatte niemand von dem Notiz genommen, was auf der Bühne passierte. Doch kaum war der erste Schlag erklungen, richteten sich tausend Augen auf Mark. Er machte ein paar Rolls auf den Toms, um sich warm zu spielen.
Dann geschah das Unglaubliche. Er donnerte los, und ich erkannte sofort, was es war: das Solo aus »Silly Sally« von Sweet Smoke.
Wahnsinn, wie gut er es konnte. Ich hatte ihm das Stück vielleicht zwei- oder dreimal vorgespielt, bei einer dieser Sessions auf meinem Dachzimmer. Er konnte sich etwas anhören und anschließend jeden Wirbel, jeden Beckenschlag auswendig. Einfach so. Mark war hochbegabt, ein echtes Naturtalent.
Mittlerweile hatte auch der Letzte im Saal kapiert, dass das nicht der Schlagzeuger von Guru Guru war, der da trommelte, aber dass da einer saß, der wie ein Großer spielte.
Skip, Paul und Gero, die Unzertrennlichen, fingen an, im Rhythmus zu klatschen. Plötzlich stiegen die vorderen Reihen im Publikum mit ein.
Das »Silly Sally«-Solo war anspruchsvoll. Jubel brach aus, als Mark die vertrackten Trommelfiguren in die Felle donnerte.
Plötzlich tauchte auf der Bühne ein zweiter Typ auf. Er hatte einen Mongolenbart und Haare bis zum Arsch. Dieser Dschingis Khan trug eine Latzhose, seine Füße waren nackt, und ein T-Shirt hatte er auch nicht an.
Das musste Mani Neumeier sein, oder? Ja, es war dieser verrückte Freak, berüchtigt für seine exzentrischen Bühnenshows, einer der besten Schlagzeuger im Krautrock, die Trommelmaschine von Guru Guru.
Doch statt Mark von der Schießbude zu verjagen, stieg er ein in einen Tanz, als gelte es, in diesem verrauchten Saal, in dem jetzt alle, wirklich alle, auf dem Rhythmustrip waren, einen gewaltigen Regen herbeizuzaubern, der die stickige Luft hinwegfegte.
Neumeier tanzte um das Drumset herum und hatte plötzlich einen Paukenschlegel in der Hand. Damit drosch er auf den Gong ein.
Das war besser als jedes Dope!
Mark steuerte auf den Höhepunkt zu. Er spielte jetzt so schnell, dass die Stöcke regelrecht übers Schlagzeug flogen. Es war eine Freude, nein, es war absolut gigantisch, ihm zuzusehen. Alles kam locker aus dem Handgelenk und mit unglaublicher Präzision. Mit einem gewaltigen Roll landete er auf dem Crashbecken. Und fiel vom Hocker.
Er hatte sich total verausgabt, alles gegeben. Neumeier packte ihn am Hemd und zog ihn wieder hoch. Mark strahlte übers ganze Gesicht und schüttelte Mani die Hand.
»Leute, das war spitze. Ganz große Klasse! Ein Riesenapplaus für den jungen Mann hier«, rief Neumeier ins Mikrophon. Gejohle und Begeisterungspfiffe. Die Freaks skandierten »Zu-ga-be, Zu-ga-be«.
Mitten in diesem Getöse brüllte Don mir ins Ohr.
»Ich muss mit dir reden!«
Don hatte die Gabe, sich immer dann zu materialisieren, wenn keiner damit rechnete. Er war Schulsprecher gewesen. Ständig suchte