Название | Trips & Träume |
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Автор произведения | Klaus Fischer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870196 |
Ich schob mich an Dixie und Odi vorbei, erklomm das Discjockeypodest und baute mich neben Andi auf. Aus den Boxen quakte ein Saxophon, wie Andi es liebte, unglaublich schrill und ekstatisch.
»Was ist das für ein Sound, den habe ich ja noch nie gehört?«, fragte ich.
Ohne aufzusehen, kramte er weiter in seiner Plattenkiste. »Ich dachte, du bist Existenzialist. Da solltest du dich aber besser mit Jazz auskennen.«
»Ich habe dir eine ganz normale Frage gestellt.«
Andi hielt ein Cover hoch. »Krieg dich wieder ein.«
Ich nahm die Platte und versuchte die verschnörkelten Buchstaben zu entziffern. Escalator Over the Hill stand da. Ein Doppelalbum.
»Kenn ich nicht«, sagte ich.
»Ist so was wie eine Jazz-Oper, eine Komposition für Big Band. Ein paar Rockleute machen auch mit, Jack Bruce von Cream und die Country-Sängerin Linda Ronstadt. Und Gato Barbieri.«
»Gato wer?«
»Das ist der, den du gerade hörst«, antwortete Andi. »Saxophon ist das Instrument, das der menschlichen Stimme am nächsten kommt. Und Barbieri lässt die Emotionen fließen, er holt alles aus dem Instrument raus. Hör mal.«
Eine pfeilschnelle Phrasierung quietschte aus den Boxen, das Instrument schrie, Barbieri schien die Puste nicht auszugehen. Die Läufe wurden wilder und verrückter, begleitet von einem mitreißenden Jazz-Beat. Gleich wird er abstürzen, dachte ich. Aber nichts da. Er hielt das Tempo, blies um sein Leben. Diesen Saxspieler musste ich mir merken.
»Da staunst du, was? Der Typ hat es drauf. Das ist Ekstase pur. Aber das alles ist nichts gegen John Coltrane«, sagte Andi.
Der schon wieder. John Coltrane war Gott. Für Andi.
A Love Supreme war Andis Hymne.
Eine dreiunddreißigminütige Suite in vier eigenständigen Teilen. McCoy Tyner, Piano, Jimmy Garrison, Kontrabass, Elvin Jones, Schlagzeug, und Coltrane am Saxophon. Aufgenommen im Dezember 1964. Coltrane, oder Trane, wie er genannt wurde, war am 17. Juli 1967, zwei Monate vor seinem einundvierzigsten Geburtstag, an Leberkrebs gestorben.
A Love Supreme lief dreimal am Abend. Auf der Platte ging es irgendwie um Glauben, auf dem Cover war ein Poem abgedruckt, in dem Coltrane den Herrn pries. Ich hatte es nicht so mit Religion und all dem, aber die Musik, die Coltrane auf A Love Supreme spielte, hatte was. Ja, sie war phantastisch.
Ich brauchte nicht zu fragen, Andi fing von selbst an. »Ich muss schon sagen, die Einlage von Mark bei Guru Guru, die hätte ich ihm nicht zugetraut. Er spielt zwar sehr rockig, aber trommeln kann er.«
»Er hat eine Band gegründet. Dreamlight.« Ich sagte es so beiläufig wie möglich. Ich wollte der Erste sein, von dem er es erfuhr.
»Ich werde auch eine Band aufmachen. Fra Mauro wird sie heißen.«
»Fra Mauro, was soll denn das sein?«
»Das ist ein Krater auf dem Mond, benannt nach einem Kartographen aus dem Mittelalter. Fra Mauro war ein Mönch, als einer der Ersten fertigte er eine brauchbare Weltkarte an. Fra Mauro, ich finde, das passt, ich will unbekannte musikalische Landschaften entdecken.«
»Darf man wissen, wer deine Mitspieler sind?«
»Die kennst du nicht. Sind nicht von hier. Ich habe einen Saxophonisten gefunden, der spielen kann wie Gato Barbieri.«
Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich beeindruckt war. »Dann haben wir jetzt zwei Bands in unserem Kaff.«
»Ich denke, da wird sich noch mehr tun«, sagte er.
»Wie kommst du darauf?«
»Ich habe hier und da was aufgeschnappt. Seit Marks Trommeleinlage gehen Gerüchte um. Du bist doch hier der Schreiber, der alles in seinem kleinen Notizheft festhält. Recherchier doch mal.«
Dreamlight und Fra Mauro.
Zwei Bandgründungen innerhalb weniger Tage. Das hatte es in unserem Kaff noch nie gegeben. Vor meinen Augen war etwas im Gange. Mit einem Mal musste ich an Dons Worte denken. Etwas ganz Großes, hatte er gesagt.
Auf dem Weg zur Toilette lief ich Falko und Bab in die Arme. Falko war ein Hüne mit langen blonden Haaren. Bab war kompakt und muskulös, seine Locken hatten sich zu einem beeindruckenden Afro formiert.
Automatisch zupfte ich an meinen Haaren. Die waren vor einer Woche auf dem Hemdkragen angekommen. Zwei Jahre hatte das gedauert. Ich kannte im Rats niemanden, der keine Matte hatte.
Babs Afro wackelte beim Reden. »Alter, wir machen eine Band auf.«
Falko schob sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Was meinst du, Electric Junk, klingt doch gut, ist doch ein abgefahrener Name, oder?«
Electric Junk, das kam mir bekannt vor. Ja, so hieß doch ein Stück von Hinten, der neuen Guru-Guru-Scheibe, den Song hatten sie beim Auftritt im Wilhelm-Leuschner-Haus vorgestellt.
Himmel und Hölle, das war die dritte Bandgründung. Das konnte ja noch heiter werden.
»Und wer spielt was? Ihr seid doch nur zu zweit?«, fragte ich.
»Falko spielt Gitarre, ich übernehme den Bass. Und als Schlagzeuger hatten wir an Mark gedacht. Sein Solo war phänomenal«, sagte Bab.
Sieh an, sie waren auch dort gewesen und hatten ihn auf der Bühne erlebt.
»Da kommt ihr zu spät. Mark hat mit Skip, Gero und Paul gerade Dreamlight gegründet«, sagte ich.
Falko runzelte die Stirn. »Dreamlight, was ist das denn für ein Name? Egal. Alter, weißt du nicht jemanden, den wir fragen könnten?«
»Da kann ich euch nicht helfen. Bin ja selbst überrascht, dass jetzt anscheinend jeder in einer Band spielen will. Aber ich halte Augen und Ohren offen. Ich höre mich mal um, versprochen.«
Auf dem Klo pinkelte Rössel wie ein Gaul ins Becken. Ein nicht enden wollender Riesenstrahl. Ich stellte mich daneben und ließ es ebenfalls laufen.
Rössel war Bastler. Früher hatte er Radios gebaut, er war der Einzige, von dem ich wusste, dass er ein Teleskop besaß.
»Satti, hast du von Marks Auftritt gehört?«
»Klar, Mann, bin doch selbst dabei gewesen.«
»Stark, Alter, das finde ich richtig gut.«
»Was findest du gut?«
»Selbst Musik machen«, antwortete er.
»Ich dachte, du glotzt die Sterne an. Mehr nicht.«
»Ich habe mir eine Gitarre gebaut.«
»Rössel, sag mir, dass das nicht wahr ist. Du nicht auch noch.«
Ich beendete mein Geschäft und ging zum Waschbecken. Rössel kam mir hinterher.
»Ich weiß gar nicht, was du hast«, sagte er, »das Ding, das ich mir gebaut habe, funktioniert. Es ist sogar bundrein. Und jetzt gründe ich eine Band. Ich habe auch schon einen Namen.«
Er machte eine kleine Pause. »Storm.«
»Storm wie Sturm, oder was?«
»Genau, Alter. Unsere Musik wird alles hinwegfegen. Ein rockender Sturm. Wie Rory Gallagher.«
Rössel blickte siegessicher drein. Ich wusste, dass er den ehemaligen Gitarristen von Taste grandios fand.
»Rocken wie Gallagher«, wiederholte ich.
»Ja, genau. Du kennst doch noch Werner und Gerd, die machen mit. Gerd am Schlagzeug, Werner am Bass.« Und ob ich Werner und Gerd kannte. Von der Schule her, doch ich hatte sie länger nicht mehr