Название | Trips & Träume |
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Автор произведения | Klaus Fischer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870196 |
Mark unterbrach ihn. »Das kann ich erklären.«
William ließ sich nicht beirren. »Sie haben es gestohlen!«
Mark schien etwas erwidern zu wollen. Doch er entschied sich anders. Langsam drückte er sich an William vorbei. Als Mark seinen Stuhl erreicht hatte, beugte er sich zu Don. Mit einer Kopfbewegung machte er seinen Freund auf meine Anwesenheit aufmerksam. In diesem Moment trat ein Mann vor den Altar.
»Meine Damen und Herren, bitte beruhigen Sie sich. Nehmen Sie Ihre Plätze wieder ein. Ich bitte Sie von ganzem Herzen, setzen Sie sich!«
Er sprach mit gefasster Stimme. Er schien mein Jahrgang zu sein, vielleicht ein wenig älter. Er holte ein Taschentuch heraus und wischte sich die Stirn. Kräftige Statur, breite Schultern. Der Anzug, den er trug, verbarg nicht, dass ihm körperliche Arbeit nicht fremd war. Seine Hände, die er nun verschränkt vor dem Bauch hielt wie ein Mönch auf dem Weg zur Messe, zitterten.
»Verehrte Damen und Herren, ich bitte Sie, die Störung zu entschuldigen. Alle, die heute hier sind, haben Karen gekannt. Ich bin sicher, sie hätte sich sehr gefreut, wenn sie wüsste, dass Sie alle wegen ihr gekommen sind. Herr Pfarrer, bitte fahren Sie mit der Zeremonie fort.«
Die Leute nahmen wieder ihre Plätze ein. Mark setzte sich auf seinen Stuhl neben Don. Hilflos blickte ich mich um.
Wo war Moses abgeblieben? Auch Sonny, Skip, Gero und Paul konnte ich nirgends mehr entdecken. Hördi war anscheinend auch schon weg. Durch den Mittelgang ging ich zurück zu meinem Platz an der Tür.
Mark hatte Williams Frage nicht beantwortet. Was waren seine Worte gewesen? Dass Mark den Song gestohlen hatte? Ja, das hatte William behauptet. Vor mehr als dreißig Jahren hatte ich Mark schon einmal damit konfrontiert.
Mit großen Schritten eilte William an mir vorbei. Als er die Klinke der Kapellentür herunterdrückte, sprach ich ihn an. »Ich muss mit Ihnen reden.«
*
Zum zweiten Mal an diesem Morgen rauchte ich eine Zigarette. William gab zuerst mir, dann sich selbst Feuer. Er steckte die Hände in die Taschen seines Anzugs. Kein Mantel, kein Schal, nur ein einfaches Jackett.
»Ist Ihnen nicht kalt?«
»Geht so.«
»Wer war der Mann, der die Leute beruhigt hat?«
»Das war Daniel, mein Vater«, sagte William mit weicher Stimme. Sein Groll schien verflogen.
Ich erkannte nun die Augen und die Gesichtszüge seiner Mutter. Eine Ähnlichkeit mit Daniel konnte ich jedoch nicht entdecken. Aber was wusste ich schon über ihn? Ich hatte einst den Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen, hatte nie wieder etwas von mir hören lassen, damals, als Karen nach Christiania ging.
»Sie haben ganz schön für Aufregung gesorgt da drinnen«, sagte ich.
»Ich habe eine Stinkwut auf diesen Typen«, platzte es aus ihm heraus.
»Wir sollten uns duzen. Ich bin Satti, so nannte man mich hier früher.«
Er schüttelte ohne zu zögern die Hand, die ich ihm hinhielt. »Karen hat oft von dir gesprochen. Ich freue mich, dich kennenzulernen.«
Nichts Falsches oder Verstelltes lag in der Art, wie er es sagte.
Ich schaute ihn freundlich an. »Ich würde mir gern ein wenig die Beine vertreten. Lust auf einen kleinen Spaziergang?«
Er zuckte mit den Schultern. Ein paar Schritte folgten wir schweigend dem Weg entlang der Friedhofsallee.
»Satti? Was ist das für ein Name?«, fragte er.
»Ich hatte mal eine Phase, in der ich alles satt fand. Satter Sound, satte Platte und so weiter. So wie andere toll, super oder dufte sagen, war bei mir irgendwie alles satt. Aber das ist lange her. Nur meine Frau und alte Freunde nennen mich noch so«, antwortete ich.
»Alte Freunde wie Mark?«
»Ja, das waren wir, damals ... Ich habe ihn heute das erste Mal seit mehr als dreißig Jahren wiedergesehen.«
William blickte mich direkt an. Ich konnte deutlich ein nervöses Zucken in seinem Gesicht erkennen. »Einmal ist er bei uns in Hamburg aufgekreuzt.«
»Was wollte er?«
»Er hat sich mit Karen unterhalten. Unter vier Augen. Irgendetwas Geschäftliches, mehr weiß ich nicht. Das war etwa ein dreiviertel Jahr vor ihrem Tod. Sympathisch war er mir schon damals nicht. Er hat irgendwie so was Arrogantes. Ich weiß auch nicht.«
»Verstehe.«
»Er war mal Mutters Freund. Aber seine Freunde beklaut man nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Er hat dieses Lied als sein eigenes ausgegeben. Es läuft ständig im Radio und ist in die Charts eingestiegen.«
»Die Lieder sind wirklich identisch?«
»Für mich gibt es keinen Zweifel. Ich habe die Noten gesehen, sie waren in ihrem Nachlass, den ich vor ein paar Tagen einsehen durfte.«
Karen, das hübsche Hippie-Mädchen, dachte ich.
Ich fragte ihn: »Hat sie sehr gelitten?«
»Sie musste schmerzstillende Medikamente nehmen. In immer höheren Dosen. Am Ende ist sie friedlich eingeschlafen.«
»Sie hat bestimmt davon erzählt, was wir damals so alles angestellt haben. Es war eine verrückte Zeit. Kiffen, lange Haare, und ständig ging es um Musik«, sagte ich.
»Wie in Christiania. Obwohl ich noch zu klein war, um das zu verstehen. Ich weiß noch, bei uns lief dauernd diese psychedelische Musik. Das meiste war grauenhaft, aber schräge Töne fand ich schon als Kind toll. Vielleicht habe ich daher meine Liebe für Jazz und solche Sachen.«
»Wie lange habt ihr in Christiania gelebt?«
»Vier oder fünf Jahre, dann sind wir nach Hamburg gezogen.«
»Und dann? Bitte entschuldige, dass ich dich regelrecht ausquetsche, aber ich weiß im Grunde nichts über das spätere Leben von Karen.«
»Meine Eltern bauten sich ein Geschäft auf. Karen entwarf eine eigene Modelinie. Es hat mit einem kleinen Laden angefangen. Heute sind es drei. Daniel, mein Vater, ist Schreiner, er hat die Inneneinrichtung übernommen und sich dann um die Buchhaltung gekümmert, Karen um das Kreative. Das hat gut funktioniert. Der Anzug, den ich trage, ist übrigens von ihr.«
»Und irgendwann wirst du das Geschäft übernehmen?«
»Nein, meine Schwester. Alice, so heißt sie. Sie ist sechs Jahre jünger als ich. Alice hat das Talent von Karen geerbt, sie schneidert auch selbst. Sie wird das Geschäft übernehmen.«
»Jetzt weiß ich aber immer noch nicht, was du machst«, sagte ich.
»Ich habe Musik studiert, Fachrichtung Komposition. Ich spiele Klavier seit meinem sechsten Lebensjahr; kurz nachdem wir von Christiania nach Hamburg gegangen sind, schickte Karen mich zum Unterricht. Heute habe ich eine eigene Band, es läuft ganz gut. Wir sind gerade dabei, unsere erste Platte aufzunehmen, in Eigenproduktion, mit Stücken von mir. Wir machen experimentelle Sachen. Damit ist es allerdings schwer, Geld im Musikgeschäft zu verdienen. Ich habe auch Theatermusiken geschrieben. Nichts Großes bislang, aber es macht sehr viel Spaß. Am liebsten würde ich nur das machen, komponieren.«
Darauf war ich nicht vorbereitet. Bilder, die in den Tiefen meines Unterbewusstseins lange verborgen schienen, zuckten jetzt wie Blitzlichter vor meinem inneren Auge auf. Erst einzelne Fetzen, dann überfluteten ganze Sequenzen meine lückenhafte Erinnerung.
Plötzlich sah ich deutlich Andi vor mir, wie er in seiner Einzimmerwohnung über dem Hot Rats am Piano sitzt und diesen Song spielt. Jenes Lied, das Mark in der Kapelle anstimmte. Und nun ein Hit ist.
In meinem Kopf begann es zu hämmern, ich fasste mir an die Schläfe.
»Was ist los?