Trips & Träume. Klaus Fischer

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Название Trips & Träume
Автор произведения Klaus Fischer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862870196



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anderen Ende der Leitung schluckte, doch dann willigte er ein. Anscheinend wollte er den Artikel wirklich. Jetzt habe ich mich an die bürgerliche Presse verkauft, dachte ich.

      Ich guckte mich weiter im Proberaum um. Das Equipment von Dreamlight konnte sich wirklich sehen lassen.

      Pauls Ausrüstung bestand aus zwei Boxen, die er übereinandergestellt hatte. Obendrauf thronte ein 100-Watt-Verstärker von Dynacord, dessen Mastervolumen er auf acht gedreht hatte. Sein Gitarrenturm überragte ihn um zwei Kopflängen. Er musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um an die Regler zu kommen. Die Ibanez-Gitarre war eingestöpselt in Verzerrer, Wah-Wah-Pedal und Phaser. Die Effektgeräte lagen fein säuberlich aufgereiht vor ihm auf dem Boden. Es waren batteriebetriebene Dinger von der Größe eines Schuhkartons. In Musikerkreisen wurden sie Tretminen genannt. Und zwar deshalb, weil die Herren Gitarristen auf die Teile treten mussten, um die Effekte, die sie produzierten, mit einem Klack einzuschalten.

      Das Wah-Wah war nur ein Pedal. Aber eines, das es in sich hatte. Wenn man den Fuß darauf stellte, es nach unten bewegte und gleichzeitig auch noch eine Saite anschlug, entstand tatsächlich ein Klang, der sich anhörte wie eine menschliche Stimme, die »wah-wah« macht. Alle großen Gitarristen benutzten es. Hendrix hatte damit »All Along the Watchtower« eingespielt. Dann der Verzerrer. Er erlaubte es, bereits bei niedriger Lautstärke die Gitarre kontrolliert zum Röhren zu bringen. Der Phaser schließlich brachte die Töne zum Schweben. Steve Howe von Yes, Pauls großes Vorbild, arbeitete mit diesem Effekt. Dass Paul diese Tretminen besaß, hieß nicht, dass er mit ihnen umzugehen verstand. Wenn er auf die Effekte drückte, dröhnte es zwar mächtig wie ein Düsenjäger, es fiepte und jaulte, aber nicht wie bei Hendrix oder Steve Howe, sondern es klang eher wie das Grunzen und Japsen von Schweinen, die gerade abgeschlachtet wurden.

      Skip verwendete einen 70-Watt-Bassking-Verstärker, ebenfalls von Dynacord. Der stand auf einer Dynacord-D-50-Box, die ihm bis zur Hüfte ging. Die Teile blitzten und blinkten wie ein Neuwagen. Selbst die verchromten Stoßecken der Box hatte er spiegelblank gewienert. Sein ganzer Stolz war der Framus-Bass. Den putzte er mit einem Staubtuch. Angeblich würde das Jack Bruce, Skips große Inspiration, auch so machen. Nur dass Skip nicht annähernd so spielen konnte wie sein Idol. Dafür hatte er ein besonderes Posing drauf. Beim Bassspielen spitzte er die Lippen, als wolle er jemanden küssen, dann neigte er sich wie ein Tänzer an der Ballettstange leicht zur Seite und ließ die Finger über die Saiten gleiten, als liebkose er den Hals einer Frau.

      Gero war der nüchterne Typ. Er rückte seine Brille zurecht und kramte irgendwelche Zettel aus einer alten Kladde, die er auf die Farfisa legte. Jene Orgel, die vor wenigen Tagen noch im Wohnzimmer seiner Eltern gestanden hatte. Es war ein feines Instrument, nicht ganz so imposant wie die berühmte Hammond, auf der sein Idol Keith Emerson brillierte. Gero spielte über einen Echolette-Koffer. Das Ding war Verstärker und Box in einem.

      Gero war für Mark, der sich wieder hinter seine Schießbude begeben hatte, unerlässlich. Gero besaß die Ruhe, die Mark fehlte. Das Goldlöckchen hatte bei »Atom Heart Mother« in nächtelanger Arbeit die Bass- und Gitarrenläufe herausgehört. Ach ja, hätte ich beinahe vergessen. Und er setzte ein Leslie ein, natürlich nicht das teure Original, sondern einen Nachbau. Das war eine Box, in der sich ein kleiner Lautsprecher drehte. Wenn er die richtige Geschwindigkeit erreicht hatte, kam dieses Wummern zustande, das die Orgel rocken und rollen ließ.

      Wimmernde Gitarrenklänge rissen mich aus meinen Gedanken. Die Probe ging weiter. Mark und die Jungs rauften sich noch einmal zusammen.

      Neben mir auf dem Sofa hockte Don und bohrte mit sturem Blick Löcher in die Decke. Er hatte die ganze Zeit über noch kein Wort gesagt. Müde sah er aus, tiefe Ränder unter den Augen. Seine Haare waren zersaust, als sei er gerade aus dem Bett gefallen. Außerdem waren sie längere Zeit nicht geschnitten worden, sie reichten schon über die Ohren. Der Flaum eines Fünftagebartes machte sich auf seinem Gesicht breit.

      Das passte nicht zu ihm. Ich brachte es nicht zusammen. Don war der typische Musterknabe, der seinen Eltern alle Ehre machte. Er war darauf bedacht, ein vollwertiges Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, also der Spießerwelt, zu sein. Während seiner Zeit als Schulsprecher hatte er der Jungen Union angehört. Seine Jeans hatte Bügelfalten und war farblich auf das hellblaue Hemd abgestimmt. Dazu trug er ein Kaufhof-Jackett und schicke braune Lederschuhe. Seine Eltern besaßen einen Schreibwarenladen, gingen sonntags zum Hochamt, sein Vater saß im Vorstand der örtlichen CDU.

      Unter all den Freaks, Kiffern und Szenefiguren war Don der Angepasste geblieben, ein Vertreter des Establishments. Damit gab er oft genug den Buhmann ab, auf den die Freaks wunderbar ihren Hass aufs Schweinesystem abladen konnten. Seit dem Auftritt im Rats aber, als er die Flugblätter anbrachte, die ich ihm unabsichtlich aus der Hand geschlagen hatte, hatte sich die Wahrnehmung gewandelt. Er wurde in der Szene plötzlich respektiert. Und nun sah er selbst fast wie ein Freak aus.

      »Du wirkst so verändert, was ist los?«, fragte ich.

      Er ging hoch wie eine Rakete. »Ich bin total angepisst! Ich habe mir den Arsch aufgerissen! Und wofür das alles? Noch nicht mal ein Danke habe ich bekommen!«

      Was war denn mit dem passiert?

      Der Impresariojob musste ihn ja ganz schön mitnehmen.

      »Manager haben immer die Arschkarte«, sagte ich.

      Er lief hochrot an. »Jetzt gib mal schön acht, Knallkopf. Plakate drucken, Anzeigen schalten und Flugzettel herstellen, du glaubst doch nicht, dass das alles kostenlos vom Himmel fällt. Und dann habe ich den Heinis da, die nichts auf die Reihe kriegen, auch noch eine anständige Anlage besorgt. Das habe ich aber nicht gemacht, damit die hier so einen Schrott abliefern.«

      »Bis zum Festival hat Mark sie so weit, was erwartest du? Sie spielen heute das erste Mal zusammen. Sie fangen gerade erst an, vergiss das nicht«, warf ich ein. »Scheiße, bis dahin bin ich pleite. Ich kann seit Tagen nicht mehr richtig schlafen. Ich habe eine Firma gegründet, das Geschäft muss laufen, aber im Moment habe ich nur Ausgaben, nichts als Ausgaben, die Arbeit wächst mir über den Kopf«, sagte er. Es klang verzweifelt.

      Ich schaute ihn verdutzt an.

      Anscheinend setzte er sich selbst mächtig unter Druck. Er wollte es allen beweisen; seinen Eltern, den Freaks, ja der ganzen Welt wollte er zeigen, dass er es draufhatte.

      Er hielt meinem Blick stand. »Hast du schon mal von einem Typen gehört, den sie Pop-Fürst nennen?«

      »Und ob!«, entfuhr es mir.

      Pop-Fürst – die Musikpresse hatte ihn so getauft – war der Chef von zwei Plattenfirmen. Es waren nicht irgendwelche, nein, es waren die wichtigsten Labels, die es derzeit im Rock-Underground gab. Darauf hatte er einige Bands groß rausgebracht. Fürst war das, was Don gern sein wollte, ein echter Impresario. Fürst spielte in der Oberliga. Selbst im New Musical Express war sein Name in einem Bericht über Krautrock aufgetaucht.

      »An den müssen wir rankommen«, sagte Don.

      »Jetzt bist du es, der einen Knall hat«, antwortete ich.

      »Ich prophezeie dir, wenn wir den für unsere Sache gewinnen, dann erhält das Festival eine Aufmerksamkeit, die kannst du dir nicht vorstellen. Die Presse wird hier einfallen. Das ist auch eine Chance für dich, einmal was für die großen Musikblätter zu schreiben, das wäre es doch, davon träumst du doch schon lange.«

      Don spinnt total, dachte ich. »Fürst interessiert sich nicht die Bohne dafür, was in unserem Kaff abgeht. Unser kleines Musikfieber lässt den völlig kalt, der arbeitet in einer ganz anderen Liga. Für den sind wir kleine Fische. Mal davon abgesehen, dass wir nicht an ihn rankommen.«

      »Mit deiner Hilfe könnte das gelingen. Du kennst dich aus in der Szene, weißt über all die neuen Bands Bescheid und kannst mitreden. Das wird ihm gefallen. Wir schreiben ihm, noch besser, wir rufen ihn an. Nein, du rufst ihn an. Ich wollte dich sowieso fragen, ob du nicht mein Assistent werden willst. Ich brauche Unterstützung, ich schaff das nicht allein«, sagte Don.

      Übergeschnappt. Es gab keine andere Erklärung. Oder hatte er was von dem roten Libanesen geraucht, der in der Stadt kursierte? Ich konnte mir sein