Название | Bochumer Häuser |
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Автор произведения | Rainer Küster |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783898968355 |
»Als H. K. gemaßregelt wurde, das war nach dem Streik – er war vielleicht 42 Jahre alt –, bekam er keine Arbeit mehr auf der Zeche. Er hat sich kümmerlich durchgeschlagen. Er hat, wenn Kirmes war, ein kleines Tischchen von uns mitgenommen und Zigarren verkauft, weil er ja kein Geld mehr kriegte. Die Kollegen kannten ihn, und er hat viel verkauft. Zum Glück war meine Mutter gut, und an Essen und Trinken hat es ihm nicht gemangelt; er hat sehr billig bei uns gewohnt. Er selbst war sehr genügsam. Er bekam dann auch nicht viel Invalidengeld, früher gab es ja nicht so viel Rente. Unterstützung von seinem Bruder hätte er nicht angenommen.
Später ging es dann besser, da er Einnahmen durch seine Gedichte hatte. Er hat dann Gedichte gemacht, die er nach Bochum zur ›Bergarbeiterzeitung‹ brachte. Er sagte dann zu mir: ›Halt mir die Daumen, dass mein Gedicht in Bochum angenommen wird.‹ Das war nicht sicher, aber meistens hat es geklappt. Dann bekam er Geld für das Gedicht. H. K. hatte ein gutes Verhältnis zur »Bergarbeiterzeitung«. Es kam auch vor, dass er etwas an den Gedichten ändern sollte. Das hat er dann getan – er war nicht ärgerlich darüber.
Die Gedichte schrieb er meistens abends, wenn er im Bett lag, oder morgens ganz früh. Sie fielen ihm dann am besten ein. – Für manche Gedichte hat er auch länger gebraucht. Er kritzelte sie auf ein Papier, mit einem ganz kleinen Bleistift. Wenn ich ihm dann einen größeren geben wollte, hat er das immer abgelehnt. Morgens hat er das Gedicht dann ins Reine geschrieben und sofort nach Bochum gebracht. Er ging meistens einen Weg zu Fuß – und der Weg war sehr weit –, die Straßenbahn war zu teuer.«
In dem eingangs erwähnten Literaturführer von Max Geißler wird ein Besucher des Hauses Küper in Linden zitiert, der die Wohn- und Arbeitsverhältnisse Heinrich Kämpchens einfühlsam beschreibt:
»Anspruchslos wie der mit den Nöten des Lebens vertraute Dichter selbst ist auch die Ausstattung seines Heims, in dem er lesend, träumend und Verse schreibend seine stillen Tage in genügsamer Beschaulichkeit verbringt. An den Wänden ein paar abgeblasste Bilder und ein Vogelbauer, auf den schmalen Fenstersimsen in roten Tontöpfen einige Blumen – das ist neben dem Notwendigen der einzige Luxus; aber Kämpchen müsste kein Dichtersmann und Fabulierer sein, wenn er in diesem Poetenwinkel sich nicht wohlfühlen sollte.«
In ihrem Interview beschreibt Hedwig Spiekermann Kämpchen als gerecht und ehrlich. Schöne, ruhige Musik habe er geliebt, keine Tanz- oder Marschmusik. Autos seien ihm verhasst gewesen, denn die Abgase waren ihm nicht geheuer. Körperlich habe er immer zart, etwas kränklich gewirkt, »nicht bettlägerig, aber schwach«. Auf dem bekannten Bild aus dem Jahre 1909 wirke er kräftiger, als er war; es mache der große Bart, »dass er nicht so schmächtig aussah«. Meistens hatte er einen grünen Anzug an, schlicht und einfach. Auf der Straße trug er einen Lodenmantel.
Einer von denen, die immer wieder nachdrücklich an Heinrich Kämpchen erinnern und auch manchmal dessen Wege gehen, ist Hans Drescher, pensionierter Konrektor an der Hauptschule. Er hat mich eingeladen, ihn auf seinem Rundgang zu begleiten. Wir beginnen – wo denn sonst? – auf der Heinrich-Kämpchen-Straße. Herr Drescher lebt selbst in dieser Straße, im Haus Nr. 32. Dort ist er Nachbar von Hugo Ernst Käufer, einem heutigen Bochumer Dichter, von dem ich denke, dass er sich mit Heinrich Kämpchen gut verstanden hätte; beide geradlinig und mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ausgestattet, das hätte sie verbunden; beide haben es in ihrer literarischen Arbeit nicht nötig gehabt, Herkunft und Heimat zu verleugnen. Seinen Kollegen Kämpchen hat Hugo Ernst Käufer in dem kleinen Text »Kortum & Kämpchen« so beschrieben: »Ein Prolet, für den das Wort Waffe war, der für die Hoffnung auf bessere Zeiten stritt, in denen der Mensch nicht mehr des Menschen Wolf ist.«
Der Rundgang mit Herrn Drescher, dessen beide Großväter auch Bergleute waren, führt die Heinrich-Kämpchen-Straße hinab, bis sie in die Keilstraße mündet. Weiter unten, am Schulzentrum Südwest, sind wir schon in Dahlhausen, dort passieren wir die Theodor-Körner-Schule und landen vor der Heinrich-Kämpchen-Schule, der Hauptschule im Zentrum. Sie ist im Neubau untergebracht; das scheint auch weiterhin so zu bleiben, obwohl in den Zeitungen immer wieder von Umzugsplänen die Rede ist. Es klingelt zur großen Pause. Der Namensgeber der Anstalt wäre sicherlich überrascht, wenn er die bunte Mischung sehen könnte, die da aus den Eingangstoren strömt, auch die Vielfalt der Sprachen hätte ihn verwundert.
Unser Weg führt uns die Dr.-C.-Otto-Straße hinauf, wo wir wenige Meter vor der Linkskurve am Haus Nr. 46 verharren, noch einmal die Tafel studieren, die dem Gedächtnis des Dichters gewidmet ist. Wir überqueren die Straße, folgen dem Kesterkamp, dann über die Hattinger Straße hinweg, vorbei am Tusculum des Dr. Krüger. Herr Drescher erzählt mir, dass er sich schon in seiner Arbeit zum Staatsexamen mit Kämpchen beschäftigt hat. Während seiner Zeit als Volks- und Hauptschullehrer hat er immer wieder den Schülern Texte des Bochumer Dichters nahe gebracht.
Wir stehen auf dem katholischen Friedhof der Pfarrgemeinde Liebfrauen in Linden. Auf dem Feld A liegt das Reihengrab von Heinrich Kämpchen. Die Pfarrgemeinde hat dafür gesorgt, dass der Bereich um Kämpchens Grab nicht wieder belegt wurde. Man hat die Grabstätte zum Ehrengrab erhoben, so dass der Erhalt für immer gesichert ist. Auf der schwarzen Granitsäule, einer Stiftung von Freunden und Mitstreitern des Arbeiterdichters, steht das kleine von ihm selbst verfasste Gedicht:
Blickt hin zur Gruft, die ihr vorüber geht!
Ein Sohn des Volkes schläft hier, ein Poet.
Für Recht und Freiheit hat sein Herz geglüht.
Er war ein Kämpfer und sein Schwert das Lied.
Drei Jahre vor seinem Tod hat Kämpchen das Gedicht geschrieben und der damals noch ganz jungen Hedwig Küper, der späteren Hedwig Spiekermann, vorgelesen. Als sie anfing zu weinen, hat er nur gesagt: »Ach, davon sterb ich doch nicht.« Auch die bronzene Gedenkplatte der IG Bergbau und Energie, welche die Grabstätte schmückt, trägt ein Kämpchen-Gedicht. Es spricht von der Toleranz des Autors und zugleich von seiner Menschlichkeit:
Nur Toren und Verräter
Sie teilen uns geschwind
In Christen und Nichtchristen
Wo wir doch Brüder sind.
Die letzte Station unseres Rundgangs ist die Liebfrauenkirche in Linden. War Heinrich Kämpchen ein religiöser Mensch? Ja, das war er wohl, sagt Herr Drescher:
»Kämpchen war Mitglied der Pfarrgemeinde, die 1858 zur selbständigen ›Katholischen Liebfrauengemeinde Linden-Dahlhausen‹ erhoben worden war. In ihr lebte eine große Anzahl von Bergleuten, die nach ihrer Tradition eine starke religiöse Bindung aufwiesen.«
Als Mitglied der Pfarrgemeinde wird Kämpchen mehrfach erwähnt. In einer Niederschrift des Kirchenvorstands aus dem Jahre 1902 findet sich der Hinweis, dass Kämpchens sozialkritische Gedichte und seine Haltung in den Bergarbeiteraufständen ihm in der Pfarrgemeinde Anerkennung und Wertschätzung einbrachten. Aber die Gemeinde hat ihm auch einiges zurückgegeben. In den Protokollen des Kirchenvorstands aus den Jahren 1907 bis 1910 ist jeweils vermerkt, dass Heinrich Kämpchen die Kirchensteuer erlassen wurde. »Der Beschluss«, sagt Hans Drescher, »kündet von der Not des gemaßregelten Arbeiterführers. Ebenso wird aber die soziale Haltung der Kirchengemeinde offenkundig.«
Auf dem Heimweg komme ich noch einmal am Schulzentrum Südwest vorbei. Was könnte man heutigen Schülern, und nicht nur denen, deren Schule