Название | Bochumer Häuser |
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Автор произведения | Rainer Küster |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783898968355 |
Auf anderem Terrain allerdings versagte ihre Weitsicht. Als ihr Mann starb, hinterließ er seiner Frau ein Vermögen von 2 Millionen Reichsmark und die fürstliche Villa am Stadtpark. Nora Köhler spekulierte mit ihrem Geld an der Börse. Sie riskierte alles – und verlor alles. Auch das prächtige Haus an der Kaiser-Wilhelm-Straße. Der große Kalikrach im Jahre 1909 gab ihr gewissermaßen den Rest, da sie außerordentlich viele Kaliaktien besaß. Im Werksblatt des Bochumer Vereins lautet der Kommentar:
»Eine zur Krankhaftigkeit gesteigerte Spekulationswut ließ sie wie einen von der Leidenschaft ergriffenen Spieler alles auf eine Karte setzen, bis sie den letzten Heller verjuxt hatte. […] Die Freunde im Glück erwiesen sich als falsch, wozu auch ihr Auftreten in diesen Tagen beigetragen hatte: es ging bergab und bergab, bis sie, die zuletzt auch noch dem Alkohol verfallen, der öffentlichen Armenpflege zur Last fiel. Die Frau, die Menschen und Existenzen als der ausgesprochenste Typ des kapitalistischen Herrenmenschen wie ein Stück Papier, wie Gußstahlschienen oder altes Eisen behandelt hatte, bekam nun am Ende ihres Lebens noch die ganze Härte der Gesellschaftsordnung zu spüren – was einen menschlich rühren muss –, deren Produkt sie war.«
Die mehrfache Millionärin, die eine fürstliche Villa am Bochumer Stadtpark bewohnte und sich nur in den feinsten Karossen ausfahren ließ, fand sich irgendwann in einem Dachzimmer auf einer Schütte Stroh wieder. Bettelnd trieb sie sich in den Straßen Bochums umher, sprach bei einstigen Bekannten vor, wurde von der Polizei aufgegriffen und im »grünen August« – heute würde man sagen: in der »grünen Minna« – zum Krankenhaus gebracht. Dort verweigerte man die Aufnahme, und Nora Köhler wurde der Armenverwaltung übergeben. Die Witwe des einstigen Generaldirektors Köhler starb einsam und verlassen in der Landesarmenanstalt in Geseke. In der Bochumer Köhler-Gruft ist sie nicht beigesetzt worden. Es ist gut möglich, dass sie auf dem Begräbnisplatz der Landesarmenanstalt in Geseke begraben wurde.
Aber nach Noras Tod geht es irgendwie weiter mit der nach ihr benannten Villa. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wird aus der Villa Nora für einige Zeit die »Villa Balcke«. Auch Hans Balcke ist von Beruf Ingenieur; auch ihn schmückt die Berufsbezeichnung »Generaldirektor«. Der Maschinenbau ist sein Metier.
Als die Familie Balcke im Jahre 1926 auszieht, wird die Villa Nora Ausstellungsort der Städtischen Gemäldegalerie in Bochum. Dies bleibt so bis in die letzten Kriegsjahre hinein.
Am Tag der massivsten Bombenangriffe auf Bochum, am 4. November 1944, wird die Villa Nora schwer getroffen; Kunstwerke, die Kunstbibliothek und Einrichtungsgegenstände werden vernichtet. Der Ausstellungsbetrieb der Gemäldegalerie wird eingestellt.
Wenn man hinten um die Villa herumgeht, sieht man, wo später angestückelt wurde. Eberhard Brand beziffert den Schadensgrad der Villa Nora auf 30 bis 50 Prozent. Er hat diese Angaben dem offiziellen Stadtplan »Bochum 1945«, der vom Katasteramt herausgegeben wurde, entnommen. Der Stadtplan ist zuverlässig. Er dokumentiert die Zerstörungsgrade bei den einzelnen Bochumer Häusern im Maßstab 1:500.
In diesem Stadtplan gibt es nun im Grundriss des Hauses »Kaiser-Wilhelm-Str. 24/Gemäldegalerie« noch einen merkwürdigen Zusatz. Vom »Umbau in eine Warnzentrale« ist dort die Rede. Brand erklärt:
»Es spricht vieles für die Annahme, dass das große und vielräumige, offensichtlich unbeschädigte Kellergeschoss als Luftkrieg-Warnzentrale genutzt wurde. Und dies trotz der erheblichen oberirdischen Bombenschäden am Gebäude. Das Haus lag unweit der Bochumer Innenstadt, und die war ja weitgehend zerstört. Knapp 30 Räume und Räumchen, Schleusen und Kammern, dazu Kellerfenster-Verkleidungen und Armierungen sowie Befestigungen der Zu- und Ausgänge unter Luftschutz-Erfordernissen sind auf der Grundrisszeichnung auszumachen.«
Und wie kommen nun die Goethe-Schüler in dieses herrschaftliche Gebäude? Es ist ganz schlicht die Raumnot, die sie einziehen lässt. Nach dem Kriege wird die Stadt Bochum Eigentümerin des Hauses. Auch die Straßennamen werden geflissentlich geändert: Aus Nummer 24 der Kaiser-Wilhelm-Straße wird die Nummer 156 der Kortumstraße. Der heimische Dichter nun für den deutschen Monarchen.
Zunächst einmal ziehen die Stadtwerke ein. Später kommen dann tatsächlich die Goethe-Schüler ins Haus und mit ihnen auch wieder die alte Bezeichnung der »Villa Nora«. Wer hinter der Bezeichnung steckt, wissen nur noch wenige. Für eine kleine Zeit weichen die Goethe-Schüler noch einmal der Verwaltung der Fachhochschule, doch seit 1981 sind sie wieder hier. Das Goethe-Café kennt man in der Bochumer Innenstadt. Die sechs Räume, in denen unterrichtet wird, haben den üppigen Charme von großen Altbauwohnungen der Jahrhundertwende, aber Beleuchtung, Heizung und Akustik sind im Grunde eine Katastrophe. Auch dies ist also nichts für die Ewigkeit.
In den Köpfen der Lokalpolitiker soll es, so hört man, schon rumoren, es soll Ideen geben, wie es denn weitergehen könnte mit dieser Villa, deren Name überhaupt mit vielerlei Spekulationen verbunden ist. Der Lehrer Eberhard Brand wandert mit mir noch einmal um das Gebäude herum und über den Hof. Hinten steht sein Fahrrad. Natürlich ganz gewissenhaft abgeschlossen. Auch Goethe-Schüler sind eben Schüler.
Was das Haus betrifft, so kennt Brand auch die letzten, die neuesten Spekulationen. Aber er sagt nichts davon. Er klemmt seine Aktentasche mit den Klausuren der Goethe-Schüler fest auf den Gepäckträger, schwingt sich aufs Rad und fährt nach Hause.
(2002/2003)
Rundgang mit Heinrich Kämpchen
Max Geißlers »Führer durch die deutsche Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts« widmet sich zeitgenössischen Erzeugnissen der schönen Literatur, lehnt es aber ausdrücklich ab, sich mit dem »zersetzenden Geist verweichlichten Artistentums und der Dekadenz« zu befassen. Das Werk ist im Jahre 1913 erschienen, also ein Jahr nach dem Tode Heinrich Kämpchens. Seine strengen Maßstäbe hinderten den Autor des Buches nicht, dem Bochumer Dichter eine knappe Seite zu widmen. Das war zu jener Zeit eher die Ausnahme, denn in den großen Werken zur deutschen Literaturgeschichte war Kämpchens Name nicht verzeichnet; daran hat sich bis heute wenig geändert.
Wer aber bei Google den Namen Heinrich Kämpchen eingibt, der wird auch fündig und erhält zunächst einmal den Hinweis auf 702 Suchergebnisse im Internet, von denen allerdings nur etwa 240 Treffer angeboten werden. Man erfährt dort, dass es nicht nur im Süden Bochums, sondern auch in anderen Städten des Ruhrreviers, nämlich in Bottrop, Essen, Hattingen und Herne, Heinrich-Kämpchen-Straßen gibt. Dass in Bochum eine Hauptschule den Namen Heinrich Kämpchens trägt. Wer will, kann bei e-Bay eine CD mit Liedern aus der Feder des Bergmanns Heinrich Kämpchen erwerben. Hier und da werden Bändchen mit seinen Gedichten angeboten; es sind auch ein paar Werke über ihn geschrieben worden. Einige seiner Gedichte sind sogar irgendwo auf einer Internetseite abgedruckt, Verehrer haben dafür gesorgt. Und last, not least widmet die Stadt Bochum dem Arbeiterdichter auf ihrer Homepage einige Zeilen, zu finden unter der Rubrik »Bochumer Persönlichkeiten«.
Wer war nun Heinrich Kämpchen, von dem man auf der städtischen Homepage lesen kann, dass er sich als Sozialdemokrat und Gewerkschafter im Kampf der Bergleute engagiert habe?
Geboren wurde er am 23. Mai 1847, allerdings nicht in Bochum, sondern in Altendorf an der Ruhr. Er besuchte die Dorfschule in Höntrop; nach der Entlassung aus der Schule nahm er nicht sofort die Arbeit im Bergbau auf, sondern wurde auf Wunsch seines Vaters noch zwei Jahre lang von einem Privatlehrer in Wattenscheid in den Elementarfächern unterrichtet. Als Sechzehnjähriger begann Heinrich Kämpchen dann mit der Arbeit unter Tage auf der Dahlhauser Zeche Hasenwinkel, also auf einer der ältesten Zechen im Ruhrgebiet.
Zu dieser Zeit vollzog sich mit dem Abteufen des Schachtes Julius Philipp (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Zeche in Wiemelhausen) im Grubenfeld Hasenwinkel der Übergang vom Stollenbergbau zum Tiefbau. Es war die Zeit stürmischer technischer Entwicklungen. Die Bevölkerungszahlen der Städte und Gemeinden