Erinnerungen. Maximilien de Robespierre

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Название Erinnerungen
Автор произведения Maximilien de Robespierre
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621948



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heilsame Erfindung noch fremd geblieben sei. Seine Ermahnungen blieben nicht fruchtlos; bald wurde der Eifer allgemein, die Dächer der Häuser, der Paläste wurden mit diesen leichten Blitzableitern versehen.

      Die Provinz Artois nahm diese Entdeckung nicht zuletzt auf; aber hier, wie überall, setzte der Geist des Aberglaubens und der Unwissenheit alles in Bewegung, die Bestrebungen der Freunde der Menschheit scheitern zu lassen. Man stellte den leichtgläubigen Gemütern der Landbewohner vor, daß eine solche Erfindung das Werk des Teufels und daß es eine Beleidigung für die Gerechtigkeit des höchsten Wesens sei, Vorsichtsmaßregeln zur Abwendung des Blitzes zu ergreifen, der die erhabenste Offenbarung seiner Macht sei. Diesem religiösen Schrecken fügte man noch die Sprache des immer gern gehörten Privatinteresses hinzu; man behauptete mit einer seltenen Frechheit, daß der Blitz häufiger in die Häuser schlüge, die mit dem elektrischen Drahte versehen, als in die, welche ohne dergleichen wären; und daß, wenn er auch jene Häuser selbst nicht träfe, er dafür die in der Nähe gelegenen verheere. — Diese boshaften Urteile wurden von einigen ununterrichteten Leuten aufgefangen, die bald ihre Widersetzlichkeit deutlich zeigten. Bei folgender Gelegenheit nämlich: Herr von Vissery von Boisvallé, ein reicher Eigentümer von St. Omer, der aus Liebe zu den Naturwissenschaften einige Versuche angestellt hatte, um sich von dem Nutzen der Gewitterableiter zu überzeugen, beeilte sich nach den glücklichen Ergebnissen, einen solchen auf seinem Eigentum anzulegen. Die Nachbarn erschraken, beklagten sich; zuletzt kamen sie bei dem Schöffen von St. Omer um Abschaffung dieses Blitzableiters ein. Große Beratschlagung unter diesen ehrlichen Amtspersonen, die kein Wort von dieser Sache verstanden, sie schlichteten, wie es Richter des 15. Jahrhunderts getan hätten, und Herrn von Vissery verurteilten, die unglückliche Stange herunterzureißen. Herr von Vissery hielt sich nicht für geschlagen; er fragte mich um Rat, und ich forderte ihn auf, zu appellieren, um dieses lächerliche Urteil umstoßen zu lassen. Ich wurde beauftragt ihn vor dem Obergerichtshofe zu verteidigen. Da es sich um einen Gegenstand handelte, der damals alle Gemüter einnahm, so wollte ich die öffentliche Meinung für meine Sache in Anspruch nehmen, weil ich überzeugt war, daß meine Richter, welche Lust sie auch hatten, im alten Geleise zu bleiben, doch fürchten würden, gegen die Meinung zu verstoßen, die bereits zu einer Macht angewachsen war. Ich gab eine Denkschrift heraus, welche ich in Arras und Paris reichlich verbreiten ließ. Ich behandelte darin die gesetzliche Aufgabe, beschäftigte mich aber auch, was eine Neuerung in unserm Provinzialrechte war, zu gleicher Zeit mit der physischen, die ich von allen Seiten untersuchte. Meine Denkschrift fand Beifall und brachte mir schmeichelhafte Briefe von ausgezeichneten Gelehrten ein. Von da an war meine Sache gewonnen und der glückliche Erfolg vor Gericht erleichtert. Der Hof stieß durch seinen Spruch vom 31. Mai 1783 das Urteil der Schöffen von St. Omer um und erlaubte Herrn von Vissery, seinen Blitzableiter wieder aufzurichten.

      Dieser Prozeß gründete vollends meinen Ruf und breitete ihn selbst über den Bezirk meiner Geburtsstadt aus; der Kardinal Rohan, der übrigens ein eifriger Anhänger alles Neuen war, ließ sich schriftlich bei mir für die Zusendung meiner Druckschrift bedanken; er war für die Entdeckung Franklins ebenso voller Enthusiasmus, wie er es für Mesmers20) wunderbaren magnetischen Kasten und für die Zaubereien Cagliostros21) gewesen war. Bei einer Geistesrichtung, wie die seinige, findet man spät oder früh notwendigerweise einen Betrüger, von dem man geprellt wird22).

      Mein Geschäftszimmer bekam Zulauf; die Arbeiten nahmen überhand, ich hatte mich eines glücklichen Lebens zu freuen; meine Schwester wohnte bei mir und bewies mir, worin sie nie aufgehört hat, die zärtlichste Zuneigung. Ihr sanfter, hochherziger Sinn, ihre duldsame, aufgeklärte Frömmigkeit, die Reinheit ihrer Sitten hatten ihr Ansehen und Achtung bei allen ihren Bekannten verschafft und machten sie mir von Tag zu Tag teurer. Einige geistesverwandte Freunde bildeten unseren engeren Kreis. Ihrer unbedingten Vertrauenswürdigkeit durfte ich alle Ideen offenbaren, die in meinem Kopfe gärten; und bald bildete sich, sei es, daß ich ihrer Überzeugung folgte, sei es, daß dieselben Betrachtungen zu ähnlichen Schlüssen führten, eine völlige Gleichheit der Ansichten über politische Gegenstände unter uns.

      Aus der Zahl derer, welche meine gewöhnliche Gesellschaft bildeten und am meisten mit mir übereinstimmten, muß ich die beiden Gebrüder Carnot hervorheben, welche vermöge der Vollmacht, die sie von den Wählern des Pas-de-Calais erhalten hatten, jetzt an der gesetzgebenden Versammlung teilnehmen. Beide zeichneten sich damals als treffliche Genieoffiziere durch eine Vaterlandsliebe aus, die sich niemals verleugnet hat. Der älteste, ein Mann von hervorragenden Verdiensten, hat über die Befestigungskunde eine bemerkenswerte Schrift herausgegeben. Seine gegenwärtigen Arbeiten beweisen, daß er in allen Zweigen der Kriegskunst gründlich erfahren ist, und daß man nicht General gewesen zu sein braucht, um eine Armee kommandieren zu können. Daß Carnot aber auch sehr hübsche Verse, selbst Liebes- und Trinklieder macht, wird das große Publikum, das ihn nur als den mit ernster Würde auftretenden Verwalter der öffentlichen Angelegenheiten kennt, vielleicht nie erfahren. Mein ehemaliger Professor der Rhetorik, Fosseux, befand sich zu dieser Zeit in Arras; im Kollegium hatte er sich für verpflichtet gehalten, seine patriotischen Meinungen, die dort nicht gang und gäbe waren, zu verbergen; als er aber wieder frei war, benutzte er auch sein Recht, wieder zu denken und in dem Kreise einiger Freunde seine nichts weniger als monarchischen Ideen zu propagieren. Er war ein hervorragender Schriftsteller, gleich begabt für Prosa wie für Verse, und die Akademie von Arras, der er angehörte, besaß kein glänzenderes Mitglied als ihn.

      Unsere gewöhnlichen Zusammenkünfte mit den eben genannten Personen und einigen andern jungen Leuten, die die gleichen Ideen vertraten, wurden immer häufiger; um ihnen ein Siegel aufzudrücken und einen feierlichen, geheimnisvollen Charakter zu verleihen, der schwachen Geistern imponieren könne, hatte ich den Gedanken, aus unserer Gesellschaft eine Art Freimaurerloge zu bilden. Diese Art Vereine war damals geduldet, oder die Behörden druckten doch wenigstens ein Auge zu, um die Gefahr nicht zu sehen, die ihnen von dieser Seite drohte.

      Schon der Name der Gesellschaft, die wir errichteten, war eine bittere Ironie. Man nannte sie die Gesellschaft der Rosati, als ob wir die aufgerufen hätten, welche mit rosenbekränzter Stirn in berauschendem Wohlgeruche schwelgen und nachlässig zum Feste gelagert, den Becher an die Lippen setzen und keine andere Sorge kennen als die, ihre Gelage zu verlängern und ein neues Bankett an das eben geendete anzuschließen! Aber nein, es war kein Aufruf an entnervte Schwelger — es war eine Verschwörung gegen sie.

      Unsere Gesellschaft war nur zum Schein ausgelassenen Zusammenkünften gewidmet, man sang die unschuldigsten Lieder von der Welt, denn der Gott des Weines, die Göttin der Liebe, die Grazien, die Nymphen, Sylen, und was weiß ich, der ganze mythologische Troß mußte der Reihe nach herhalten; man hätte uns für die fröhlichen Schüler Collés halten können, und ich glaube wahrhaftig, wir hätten ihm Ehre gemacht. Der muntere Ton, der sich am wenigsten der Empörung nähert, ward ohne Schwierigkeit an unserer Tafel zugelassen. Ich erinnere mich in dieser Hinsicht eines Liedes von Carnot, es heißt, glaub’ ich, die Denn und die Aber, das in seiner Art ein kleines Meisterstück war; nur mußte er es nicht selbst singen; so sehr er sich anstrengte, er konnte aus seinem Ernste nicht herauskommen. Auch ich lieferte meinen Beitrag, zwar nur armselige Kleinigkeiten, aber ich erwähne ihrer, um denen, die ein wildes reißendes Tier aus mir gemacht haben, zu zeigen, daß ich niemals Feind einer unschuldigen Freude war, und daß auch ich mich aufheitern konnte. Aber dies war nur der scheinbare Zweck unserer Gesellschaft; wir hatten noch andere Sachen zu tun, als zu trinken, zu essen, zu singen. Die Eigenschaft eines Bürgers, deren Wert wir vollkommen fühlten, legte uns ganz andre Pflichten auf. An bestimmten Tagen kamen wir zusammen, um uns über die wichtigsten Gegenstände zu besprechen. Anfangs beschäftigten uns die Theorien; die Schriften der Philosophen, besonders die Rousseaus, boten uns deren eine große Anzahl, die zu großen Auseinandersetzungen führten. Darauf suchten wir die Mittel auf, welche den Bürgern zum Handeln freigelassen waren, um sich von einer nicht mehr zu ertragenden Lage loszumachen und der guten Sache und der Wahrheit den Sieg zu verschaffen. Als später für die Gewalt der Horizont sich verfinsterte, für das Volk aber aufklärte, brachten wir Streitsachen von dem regsten Interesse vor: über das Recht, Kopf für Kopf zu stimmen, die Verdoppelung des dritten Standes23) und die Befugnisse der Generalstaaten. Da wir wenig Zutrauen zu den Grundsätzen der Staatsbeamten hatten, so setzten wir unter der Hand die Angriffspläne fort, die den Volks- rechten den Triumph sichern