Erinnerungen. Maximilien de Robespierre

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Название Erinnerungen
Автор произведения Maximilien de Robespierre
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621948



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beurteilen wollte, so nahm ich mir keine Zeugen dazu. Ich kam damals häufig mit einem jungen Mädchen, namens Susanna F...., zusammen; es hatte sich zwischen uns — ich hielt es wenigstens dafür, und was mich betrifft, so täuschte ich mich auch nicht — eine jugendliche Freundschaft gebildet. Die unschuldige Vertraulichkeit, welche unter uns herrschte und die ihre Mutter durchaus nicht zu stören suchte, gestattete mir oft, mit ihr allein zu sein; sie war lebhaft und geistreich. Wir hatten uns oft vom Magnetismus unterhalten; der Gedanke eines Heilmittels, das eine allgemeine Kur werden sollte, sprach ihre kühne, reiche Phantasie an. Ich benutzte ihren Enthusiasmus und schlug ihr eines Tages vor, mich die Probe an ihr machen zu lassen; sie schien über meinen Wunsch zu erstaunen, sah mich fest an, errötete, blickte um sich und machte mir dann ein Zeichen, daß sie einwillige. Ich machte mich sogleich an das Werk, nahm die Miene eines Doktors an, strich mit den Händen vor ihren Armen und ihrem Gesichte vorbei, ohne es jedoch zu berühren; meine Augen waren auf ihre schönen blauen Augen gerichtet; nach und nach wurde sie beklommen, sie zog die Arme an wie jemand, der dem Schlafe erliegt, ihr Kopf sank herab, sie schlummerte ein.

      Nun folgte eine wunderbare Szene. Niemals haben meine Freunde ein Wort davon erfahren. Ich werde sie nicht erzählen, es ist Robespierres Geheimnis, es soll mit ihm sterben. Jemand öffnete die Türe, sie stieß einen Schrei aus, erwachte und fiel unter den heftigsten Zuckungen in Ohnmacht. Ich fragte sie aus, als sie sich erholt hatte; sie erinnerte sich keines einzigen Wortes, das sie im Schlafe gesprochen hatte. Der einzige Eindruck, der ihr geblieben, war ein unbeschreibliches Unbehagen, das sie empfunden hatte, als sie wieder zu sich kam. Alles übrige war ihr entflohen wie ein Traum, keine Spur davon hatte sich erhalten.

      Mehrere Tage lang ließ mir der Gedanke an diesen Abend keine Ruhe. Ich ging zu Susannen und fragte sie nur immer: „Wie, erinnern Sie sich denn nicht?“ „Nein“, antwortete sie, errötete und sah mich an. Ich hätte meine Versuche gern erneuert, aber sie schlug es beharrlich ab. Ich merkte, daß ihr Schamgefühl aufgeschreckt sei, und daß sie ein zu zärtliches Gefühl für ihren Magnetiseur zu fassen fürchtete. Ich drang nicht mehr in sie, suchte auch keine Gelegenheit mehr, meine Kunst auszuüben, und verschloß Susannens Worte in meine Brust. Hätte ich sie damals gering schätzen können, mein ganzes Leben hätte mich gezwungen, ihnen Glauben beizumessen.

      Meine literarischen Arbeiten füllten währenddessen die Muße, welche das Gericht mir ließ. Die Akademie von Amiens hatte für das Jahr 1785 als Thema zu einer Preisbewerbung eine Lobrede auf Gresset38) aufgegeben; der Gegenstand war unbedeutend, und doch erlaubte ich mir, ihn zu behandeln; es betraf einen Mann, der durch gefällige Gedichte, durch seine geschmackvollen Scherze mich in meiner Jugend bezaubert hatte. Ich trat daher in die Zahl der Mitbewerber; allein dieser zweite Versuch lief nicht so glücklich ab als der erste. Will man den Gründen nachforschen, welche die Akademiker bewogen haben, mein Werk mit dem Banne zu belegen: jeder der sich die Mühe nähme, es zu lesen, würde sie, glaube ich, leicht herausfinden.

      Zwei Männer mußte ich ins Auge fassen, als ich mich mit Gresset beschäftigte, denn Voltaire sagte von ihm:

      Dem Gresset ward das Doppelrecht, daß man

      In jeder Schul’ als Mann von Welt und Geist,

      Als Schulmann in der Welt ihn preist.

      Sonst macht’ er Spaß, stimmt jetzt Gebete an,

      Durch seinen Widerruf heilig gesprochen.

      Zerknirschten Herzens gesteht er ein,

      Daß er Theaterstücke hat verbrochen,

      Und fleht zur Jungfrau, ihm zu verzeih’n.

      Ich möchte beinahe fortfahren und eine große Unziemlichkeit gegen meinen Helden begehen und, was noch schlimmer ist, mich als Mitschuldigen einer mutwilligen Unwahrheit bloßstellen. Wie wunderbar ist doch oft die Verführung des Geistes, die uns, trotz der Vernunft, hinreißt. Ich weiß diese Verse Voltaires auswendig, ich führe sie an, als ob ich sie mir zur Studie gewählt hätte, als ob sie eine unwiderrufliche Erkenntnis aussprächen, und doch verhüllen sie unter ihrem dreifachen Spottbesatze nur ein durchaus unrichtiges, falsches Urteil. Voltaire, Voltaire, wie geschickt bringst du Verachtung und Verspottung zuwege, wie leicht wird man von dir getäuscht!

      Aber in Gressets Leben war wirklich etwas von dem Doppelgesichte, welches Voltaire in jenen Versen scherzhaft berührt hat; Gresset war bald Weltmann, bald Frömmler und hatte seinen Büchern und seiner Lebensart etwas von beiden entgegengesetzten Charakteren eingeprägt. In dieser Beziehung bot diese Lobrede wahrhafte Schwierigkeiten. Die Gelehrten der damaligen Zeit, welche sämtlich von der Ungläubigkeit angesteckt waren, betrachteten die Bekehrung Gressets nur als eine Schwäche, als eine Zaghaftigkeit der Seele; höchstens ließen sie zu, daß man in einer Lobrede den zweiten Abschnitt aus Gressets Leben mit Stillschweigen übergehen oder leichthin entschuldigen könne: aber niemals hätten sie gewagt, eben diesen zu erheben, ihn über sein literarisches Schaffen zu setzen, ihn in dieser Beziehung wie einen Mann hinzustellen, der dem Gewissen sein Talent und sein Glück opfert; ebensowenig konnten sie sehen, daß ein anderer sich dazu hergebe, ohne über Heuchelei zu schreien. Aber doch hatte ich dies getan.

      Es schien mir nicht allein in literarischer Hinsicht effektvoll, sondern auch wahrhaft moralisch, Achtung für jeden Glauben zu verkündigen, für den sowohl, der glaubt, als den, der leugnet; für den, der schwindet, wie für den, der sich wieder erkräftigt; also gerade der damaligen Philosophie entgegengesetzt, welche eine Unduldsamkeit, die kaum im Katholizismus ein Muster finden dürfte, in die Untersuchung der Religionslehren legte. Denn wenn es irgend etwas Ehrwürdiges, Heiliges gegeben hat, so ist es der Glaube des rechtlichen Mannes, der mit voller Gewissensfreiheit sich das Religionsbekenntnis auswählt, zu dem ihn seine Überzeugung hinführt. Die Bekehrung Gressets, die frei von jedem heuchlerischen Vorbehalt war, verdient also, mit Nachsicht betrachtet und als eine kräftige Betätigung der Überzeugung, die er trotz aller Schwierigkeiten von Seiten der Welt und seiner Eigenliebe ins Werk setzte, selbst gerühmt zu werden.

      Die Verwegenheit, die ich hatte, herrschende Ansichten so keck anzugreifen, hatte das Schicksal, auf das ich gefaßt sein mußte; mein Werk wurde von den Philosophen, denn es gab solcher Herren selbst in der Akademie von Amiens, ausgepfiffen und verhöhnt. Wenn sie sich wirklich an das Geheimnis der versiegelten Namenzettel gehalten haben, so müssen sie lange in ihren Vermutungen über den Verfasser der von mir überreichten Denkschrift geschwankt haben. Denn wenn einige Stellen deutlich eine religiöse Färbung, einen unverstellten Haß gegen die Lehren jener Männer verrieten und ihnen den Glauben einflößen konnten, daß sie es mit einem jungen Abbé zu tun hatten, in dem noch der theologische Unterricht des Seminars glühe, so offenbarte ihnen auf der anderen Seite die Kühnheit einiger wissenschaftlichen Theorien und einiger politischen Begriffe, die sich ganz natürlich an meinen Gegenstand angeschlossen hatten, einen Geist, der frei von jeder Kette und bereit war, seine Unabhängigkeit zu zeigen.

      So hatte ich mich bei Gelegenheit der Beurteilung des Dramas Sydney39) bewogen gefunden, mich über eine Gattung auszusprechen, die man, trotz der Meisterstücke des Lachaussée, eine mißgestaltete Abart nannte, und nicht angestanden, meine Ansicht aufzudecken, die man leicht für eine Lästerung unserer großen Dichter halten könnte, die aber dennoch um nichts weniger wahr ist. So nahm ich auch Veranlassung, als die lebenslängliche Präsidentschaft der Akademie von Amiens Gresset angetragen und von ihm abgelehnt wurde, über die Diktatur im Staate auf eine Art zu sprechen, die gewiß nicht das Seminar verriet.

      Wie dem auch sei, meine Frömmigkeit mag nun dem Philosophen oder meine Philosophie dem Frommen mißfallen haben, mein Werk erhielt den Preis nicht, und ich beschloß, von nun an nicht mehr in den Schranken der literarischen Preisbewerbungen zu erscheinen.

      In den bisher erzählten Ereignissen habe ich selbst so gut wie gar keine Rolle gespielt, oder sie haben höchstens die bedeutungslosen Einzelheiten meines literarischen Lebens berührt; wenn ich mich aber der Nachwelt mit nichts anderm vorzustellen hätte als mit dem leichten Gepäck des Advokaten oder akademischen Schriftstellers, so dürfte sie andere Sachen zu tun haben, als sich um mich zu kümmern, und ihre Zeit besser anwenden wollen, als meine Memoiren zu lesen. Aber der Augenblick naht,