Название | Erinnerungen |
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Автор произведения | Maximilien de Robespierre |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783940621948 |
Im Jahre 1778 hatten meine Ideen noch nicht durch die Zeit, durch die Betrachtungen meines Studiums jene weisen Verbesserungen erfahren. Ich hatte, anfangs mit der Glut eines jungen, lernbegierigen Kopfs, später mit dem Widerwillen eines Gemütes, das des Glaubens bedarf, die Werke Voltaires gelesen. Seine entsetzliche Zweifelsucht, seine Wut, mit allem sein Spiel zu treiben, nichts mit seinem Witze zu verschonen, seine niedrige Anbetung der Fürsten, sein hochmütiger Ton, die Unsittlichkeit einiger seiner Produkte hatten mich empört und verblendeten mich für alles Erhabene und dem Volke Nützliche, das seine Schriften enthielten. Was ich ihm jedoch am wenigsten verzieh, und was mir heute noch der unauslöschlichste Flecken in seinem Andenken erscheint, war sein eifersüchtiger Haß gegen Rousseau, die niedrigen Angriffe, mit denen er diesen großen Mann verfolgt hat.
Der Verfasser des „Gesellschaftsvertrages“ war damals, wie jetzt, der Gegenstand meiner ganzen Bewunderung. Ich hatte beim Lesen jene Übereinstimmung der Gefühle und Gedanken empfunden, vermöge der man vertrauensvoll jede Handlung hinnimmt, die sich noch sehr zu einer Prüfung eignet. Ich bewunderte sein Genie und liebte seinen Charakter. Ihm danke ich die ersten festen Begriffe, die in mir Eingang fanden. Trotz der Mühe meiner Erzieher verließ ich das Kollegium als schlechter Katholik, und mit geringer Neigung, sogar nur an eine Offenbarung zu glauben. Rousseau bekehrte mich nicht; aber wenn die verwirrten Stimmen des Gewissens nicht laut genug sprachen, um für sich meiner Vernunft das Dasein eines höchsten Geistes zu beweisen, so kräftigte doch das mächtige, religiöse Wort dieses großen Schriftstellers diese früheren Spuren, und ich verdanke ihm meinen festen Glauben an eine belohnende Vorsicht, einen Glauben, der mich in einer mit Prüfungen erfüllten Laufbahn erhalten und getröstet hat, durch den ich dem Widerwillen wie den Gefahren getrotzt, den Verführungen widerstanden habe, die mich von dem Wege ablenken konnten, den mein Gewissen mir vorgezeichnet hatte.
Wenn ich die Vorliebe der Pariser für Voltaire nicht teilte, so überstieg dafür die Bewunderung, die ich für den Einsiedler von Ermenonville16) gefaßt hatte, die seiner eifrigsten Anhänger. Das Verlangen, den berühmten Mann zu sehen, hatte sich meiner bemächtigt und ging bald in eine förmliche Leidenschaft über. Durch meinen Enthusiasmus ermutigt, beschloß ich, mich nach seiner Einsiedelei zu begeben, auf den Fall hin, nur seine Stimme zu hören, nur seine geliebten Züge zu sehen. Ich teilte niemandem mein Vorhaben mit, man hätte es närrisch genannt, und reiste an einem schönen Junimorgen allein nach Ermenonville. Ich machte den Weg zu Fuß; die Betrachtungen, die mich beschäftigt hatten, ließen mich ihn nicht lang finden; überdies kommt man, wenn man, 19 Jahre alt, von einer Idee beherrscht ist, eine offene Straße vor sich, seine Zukunft im Kopfe hat, immer schnell an sein Ziel. Ein Jüngling meines Alters hätte, um in die Augen einer Frau zu sehen, denselben Weg gemacht, den ich einschlug, einen Philosophen zu sehen.
Das Herz schlug mir bei meiner Ankunft; je näher man dem gewünschten Gegenstande ist, je furchtsamer wird man. Aber jetzt konnte ich nicht mehr umkehren, und ich wäre vor Ärger gestorben, wenn ich aus einer unwürdigen Schwäche mich selbst des Glückes beraubt hätte, das ich aufgesucht hatte. Ich trat in den schönen Park von Ermenonville ein und irrte einige Zeit umher, ohne daß mir etwas aufstieß. Jemand vom Schlosse, dem ich begegnete, fragte mich, wen ich suche; ich stammelte den Namen J. J. Rousseau. Der Mann lächelte, indem er mich musterte: „Ich zweifle“, sagte er, „daß es Ihnen gelingen wird, Herrn Rousseau zu sehen, er liebt die Besuche nicht und würde Ihnen seine Tür verschließen, indessen, wenn es Ihnen nicht darauf ankommt, einige Stunden zu opfern, so wenden Sie sich dort nach dem kleinen Hügel, den Sie rechts von den Pappeln bemerken: dort ist die Einsiedlei; Herr Rousseau begibt sich täglich dahin, um zu botanisieren; vielleicht begegnen Sie ihm“
Ich wendete mich um so schneller nach jener Seite, da mir die Schamröte in das Gesicht stieg und ich das freche Gelächter der Bedienten zu vernehmen glaubte, die über den unbärtigen Schüler des Philosophen spotteten. Ich wartete lange in der Gegend der Einsiedlei, bald auf einem künstlichen Felsblock sitzend, bald mit kurzen Schritten auf- und abgehend und wieder stillstehend, um besser nachzudenken. Endlich sah ich am Füße des Hügels einen Mann erscheinen, der, das Auge zur Erde gerichtet, eine große Krauterkapsel unter dem Arme, jeden Augenblick stehenblieb, rasch eine Blume, eine Pflanze pflückte und sie sorgfältig aufbewahrte. Ich hätte ihm entgegen gehen sollen, aber eine heilige Ehrfurcht ergriff mich, ich blieb auf meiner Stelle. Indessen näherte er sich mir, von seinen Gegenständen so eingenommen, daß er bald nur wenige Schritte noch von mir entfernt war. Ich konnte ihn, da er mich durchaus nicht bemerkte, nunmehr ruhig betrachten: er war von mittlerer Größe, seine Augen lebhaft und melancholisch; seine Stirn bezeichnete zugleich Nachdenken und Leiden, sein Gang verkündete deutlich den von einem Übel und von dem Bewußtsein des Übels mitgenommenen Mann. Ein Blitz der Freude erhellte für Augenblicke sein Gesicht; es geschah, wenn er einen neuen Schatz für seine Kräutersammlung entdeckte.
Er war dicht neben mir; ich hatte mich nicht gerührt, er mich nicht bemerkt. Ich sah, wie er sich bückte, um eine Primel zu pflücken; schnell stürzte ich hin, griff nach der Blume und überreichte sie ihm; er nahm sie und sah mich an; „Das ist Stanislaus nicht“, sagte er. „Nein“, antwortete ich, „es ist ein junger Mensch, der jetzt, da er das Glück gehabt hat, Sie zu sehen, nichts mehr vom Schicksal zu wünschen hat.“ Er sah mich aufmerksamer an. „Sie verstehen schon zu schmeicheln, junger Mann; schlimm genug für Sie.“ „In meinem Alter schmeichelt man nicht, aber man empfindet in meinem Alter die volle Glut des Enthusiasmus, und gern geht man zehn Stunden zu Fuß.“ — „Wirklich? Zehn Stunden zu Fuß! Sie haben gute Füße, junger Mann; das muß man im Merkur17) von Frankreich angeben. Zehn Stunden! Sie wissen, ich verstehe mich auch darauf, und eine Fußreise schüchtert mich nicht ein.“ — Ich errötete und biß mich auf die Lippen. — „Nun, nun, lieber Freund, Sie müssen nicht bös sein; Sie wollten mich sehen, nicht wahr? Ich bin das Wundertier von ganz Paris: von den großen Herren bin ich auf die Stadt übergegangen, und man redet sich gar nicht mehr anders an als: Haben Sie schon den verrückten Jean Jacques gesehen? Sind Sie schon in Ermenonville gewesen? Besonders seit Voltaire tot ist, muß ich auch für diesen herhalten; es ist ein Zustand, der nicht auszuhalten ist. Doch gilt das Ihrem Besuche nicht; die Gesichtsbildung der Menschen hat mich oft getäuscht, aber ich glaube in der Ihrigen eine höhere Richtung, eine wahrhafte Offenheit zu entdecken.“ — Ich beteuerte ihm die Reinheit meiner Ergebenheit und wies jeden Gedanken einer kindischen, unrechten Neugierde weit von mir ab. „Ich glaube Ihnen“, sagte der große Mann, „und schätze Sie deshalb noch höher. Wissen Sie, was man mit dieser wilden Neugierde bewirken wird? Umbringen wird man mich.
Nachdem sie mich verfolgt, gejagt wie ein Wild, ersticken sie mich jetzt mit ihren Umarmungen! Wollen sie mich zwingen, auch diesen Zufluchtsort zu verlassen? Ich könnte hier so glücklich sein! Er ist so reizend, er gleicht allem, was ich mir geträumt habe, und da Sie meine Werke kennen, so wissen Sie, was das sagen will. O nein, solange ich lebe, verlasse ich ihn nicht; ich habe mir meine Ruhestätte schon erwählt.“ — „Wenn ich mich mit der ganzen Freimütigkeit meines Alters ausdrücken dürfte, würde ich Sie anflehen, diese düstern Gedanken zu verbannen. Ein Mann wie Sie darf ein Leben, das seinen Nebenmenschen nützlich ist, so nicht hingeben; nie vielleicht bedurfte unser Vaterland so sehr Ihrer beredten Lehren.“ — „Ja“, sagte er, „der Horizont Frankreichs umzieht sich, ich hoffe (denn ich liebe es wie mein eigenes Vaterland), ich hoffe, daß der nahende Sturm nicht von langer Dauer sein, daß die Sonne milder und heller wieder strahlen wird. Aber das ist meine Sache nicht, andere werden kommen, die Vollendung des großen Werks zu beschleunigen; ihre Aufgabe wird herrlich sein. Die meine ist geschlossen; ich habe das Feld bereitet, ich habe das Korn gesäet, das wachsen und gedeihen soll.“ — Ich wollte antworten, er unterbrach mich. — „Nichts mehr, junger Mann. Sehen Sie, wie schön, wie geschmückt die Erde ist! Lassen wir die Kämpfe der Menschen, freuen uns mit der Natur, sie ist eine Geliebte, die oft lächelt, die nie treulos