Название | Erinnerungen |
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Автор произведения | Maximilien de Robespierre |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783940621948 |
Auch in meinem Professor der Rhetorik, Herrn von Fousseux, hatte ich einen Landsmann und Freund gefunden. Ich habe ihn später in einem andern Kreise wieder angetroffen und erst dann die Vaterlandsliebe erkannt, die in seinem Herzen lebte.
ZWEITES KAPITEL
Ich werde mich hier nicht über die Fortschritte auslassen, die ich während meiner Studien machte; das Gedächtnis meiner Mitschüler und Lehrer, die Akten der Preisbewerbungen bezeugen sie zur Genüge. Mit einer leichten Fassungsgabe, besonders mit einer Ausdauer bei der Arbeit ausgestattet, wie man sie nur sehen bei der Jugend antrifft, wußte ich mir den ersten Platz in meiner Klasse zu erringen und mich darauf zu behaupten. Welch süße Genugtuung war es für mich, vor einer riesigen Versammlung von Gelehrten, Schriftstellern und Hofleuten den Siegespreis zu erringen, nicht nur über meine Mitschüler, sondern über die besten Zöglinge aller Pariser Kollegien. Lange erfüllte die Erinnerung jenes Triumphs mich mit Stolz, und selbst jetzt noch denke ich freudig daran zurück, weil ich durch sie an Selbstvertrauen gewonnen, mich zu würdigen gelernt habe und in das Leben wie ein Mann eingegangen bin, der seines Weges gewiß ist, dem es nie fehlen würde. Im Grunde jedoch sind diese Bewerbungen eine regelrechte Irreführung, und auf einen Schüler, der wie ich die Hoffnungen rechtfertigt, die seine frühen Erfolge zeitigten, kommen wer weiß wie viele, die unproduktiv bleiben und zu deren Mittelmäßigkeit sich nur der ganze Hochmut und törichte Ehrgeiz gesellt, den die Lobpreisungen ihrer Lehrer in ihnen erweckt haben; wie viele, die vortreffliche Finanzmänner und ertragliche Sachwalter geworden wären, verlegen sich dadurch auf Schöngeisterei und halten sich für einen neuen Montesquieu10) oder Voltaire, weil sie die Anrede des Regulus an seine Krieger ziemlich artig übertragen haben.
Ich habe mich ausgenommen; es wäre Torheit, falsche Bescheidenheit gewesen, wenn ich es nicht getan hätte; gewiß, der von zwei Akademien Preisgekrönte, der Advokat, der sich die Achtung, den Beifall seiner Mitbürger erworben, der Abgeordnete des Volkes, dessen Stimme nicht immer machtlos war, der öffentliche Ankläger des Tribunals der Seine, der Redner, der Schriftsteller, der Journalist, der sich die allgemeine Gunst errungen hat, ist dem gekrönten Zögling des Kollegiums von 1775 nichts schuldig geblieben, und wenn dieser etwas versprach, sind die Versprechungen gehalten worden.
In den letzten Augenblicken meines Aufenthaltes im Kollegium wurde ich noch bei einem ziemlich bemerkenswerten Ereignis ausgezeichnet. Es war im Monat Juni 1775, als Ludwig XVI. in Reims gesalbt worden war und bei seiner Rückkehr seinen Einzug in Paris feiern sollte. Alle gesetzlichen Behörden hielten eine Anrede an ihn. Auch die Universität gehörte dazu. Es war der Gebrauch, daß außer der gewöhnlichen Rede des Rektors, welcher den Lehrkörper repräsentierte, auch die Studenten sich vorstellen ließen, und daß einer derselben, der von allen seinen Kameraden gewählt worden war, zum Könige sprach. Ich wurde dazu bestimmt und führte das Wort. Ich habe durchaus nichts von der Rede behalten, die ich gesprochen habe; ich erinnere mich nur, daß die, welche ich entworfen hatte, dem Abbé Proyart vorgelegt wurde, der bei jeder Zeile, die er las, ununterbrochen ausrief: Da seh einer! Der kleine Tollkopf! Es ist unglaublich! Darauf strich er, verbesserte, strich wieder; alles mußte über die Klinge springen, und dabei zankte der Abbé! Als er fertig war, gab er mir mein unglückliches, von einem Ende zum andern durchstrichenes Manuskript zurück und sagte: „Das ist recht schön, mein Herr Römer, recht schön für den Tribun Tiberius Gracchus11), der den zum Konsul ernannten Nascia anredet. Oh! Oh! Junger Mann, was für ein Republikaner würden Sie sein! Aber Sie hätten Ihre Zeit besser wählen sollen: warten Sie es ab. Diesmal werde ich die Rede selbst machen!“ Ich folgte dem Rate des Abbés, ich wartete.
Seine Rede wurde vom Könige beifällig aufgenommen; mit der Freundlichkeit, welche ihn charakterisiert, sagte er uns einiges Schmeichelhafte; der Pater Proyart brüstete sich damit und nahm den größten Teil der Lobeserhebung ohne Umstände für sich in Beschlag. Ich hätte sie ihm gern samt und sonders abgetreten. Damals begriff ich, wie es den Menschen demütigt und verächtlich macht, wenn er mit gekrümmtem Rücken herablassenden Worten lauscht, die ihm zugeworfen werden wie Almosen. Für den guten Abbé freilich war es höfisches Weihwasser.
Bald darauf verließ ich das Kollegium: mein Bruder Augustin kam von Arras an und nahm die Freistelle ein, die durch mich ledig wurde. Um ihm diese Begünstigung zu verschaffen, stellte ich mich dem Kardinal von Rohan12) vor, der als Abbé von St. Vast darüber verfügte. Der Prälat empfing mich freundlich. Der glückliche Erfolg, der meine Studien gekrönt hatte, schmeichelte seiner Eigenliebe; „er schätze sich glücklich“ sagte er, „Ludwig dem Großen ein neues Geschenk machen zu können.“ Er fragte nach meinen Plänen, ich teilte ihm den Wunsch meiner Familie mit, daß ich mich den Rechten widmen möge. Er versicherte mich seines Schutzes und lud mich ein, ihn wieder zu besuchen. Ich habe ihn in der Tat öfters gesehen und werde Gelegenheit haben, dies zu berühren. Er ist ein Mann von schönem Wüchse und angenehmen Zügen; großmütig aus Prahlerei; vergnügungssüchtig; Sklave der Gunst; stets bereit, alles zu opfern, um einen Blick vom Throne zu erhaschen. Man weiß, daß er in dieser Beziehung unglücklich gespielt hat; übrigens ist er ein Mann von Geist und Welt und mehr dazu geschaffen, ein Schwert umzugürten, als seinen jetzigen Rock zu tragen.
Endlich ward ich Mann; Herr meiner selbst, konnte ich mich in meiner bescheidenen Studierstube frei den Arbeiten hingeben, die mir einen Rang in der Welt verleihen und die Keime entwickeln sollten, die ich in dem Unterrichte des Kollegiums und in meinen eigenen Betrachtungen geschöpft hatte. Ich hatte einen entschiedenen Sinn für die Wissenschaften und besonders liebte ich ernste, gewichtige Gegenstände, welche die ersten Interessen des Menschen und ihre Beziehung auf die Gottheit und auf diejenigen berühren, welche herrschen. Die Aufmerksamkeit war wieder auf diese wichtigen Fragen gerichtet; dank dem philosophischen Geiste, es hatte sich in Frankreich eine öffentliche Meinung gebildet. Die armen Bürger, welche unter Ludwig XIV. kaum den Intendanten ihrer Provinz bei Namen kannten, und von der Macht nichts kannten als den Unterbeamten, der sie aussog, machten nach und nach die Beobachtung, daß sie für den Staat von Bedeutung wären; sie lasen Montesquieu und J. J. Rousseau13), besprachen sich über die öffentlichen Angelegenheiten, beunruhigten sich über die Wahl der Minister und bezeichneten die, welche ihnen die Würdigsten schienen. Der Hof stellte sich taub; überdies sprach man noch so leise, daß man nicht klagen konnte, er vernachlässige und übergehe die Warnungen; allein man sprach doch, und auch das war schon ein Fortschritt.
Bei meiner geistigen Eigenart war es mir unmöglich, dieser Bewegung nicht zu folgen, ja ihr nicht vorauszueilen. Gierig verschlang ich alle philosophischen und politischen Werke. Bald konnte ich mir von dem Eindrucke Rechenschaft ablegen, den diese Bücher auf mich machten; ich hielt dafür, daß, wenn die politischen Arbeiten unserer Enzyklopädisten, Verbesserer der Staatswirtschaft und anderer, mit Ausnahme Rousseaus, der für sich allein dasteht, sehr schwach, sehr matt, sehr weit vom Wahren entfernt sind, ihre philosophischen Schriften dagegen (auch hier mit Ausnahme jenes großen Mannes) über das Ziel hinausgegangen wären, das Wahre mit dem Falschen niedergerissen und dem Bewußtsein des Menschen nichts als eine traurige Absonderung und der Gesellschaft nichts gelassen hätten als den schlechtesten Führer: die Vernunft ohne Religion und Glauben.
Meine Zeit teilte sich in diese Studien und meine juristischen Arbeiten ein. Mit Eifer ergab ich mich dieser trocknen Wissenschaft; ich wollte mein Leben vor Not und fremder Unterstützung sichern. Dieser Grund hätte hingereicht, meinen Mut aufrechtzuerhalten, aber ich hatte einen noch wichtigeren: das Krachen unserer alten Regierungsmaschine kündigte eine nahe Auflösung an; schon sprach man unter gebildeteren Leuten das Wort: Generalstaaten aus. Ich hatte es zuerst von Gerbier gehört, als dieser sich eines Tages mit Ferrieré in dem Kabinett dieses letztern unterhielt; plötzlich flammte in meinem Geiste eine Idee auf. Der feste Wille, an diesen großen Volksversammlungen teilzunehmen, bemächtigte sich meiner; um dahin zu gelangen, mußte ich mich unter meinen Mitbürgern bemerklich machen: in einem Lande, das der Pressefreiheit beraubt ist, blieb aber nur ein Rednerstuhl — die Schranken des Gerichtshofes. Ich begriff sogleich, daß man von dem Augenblicke an, wo die Nation mit denen, die am Ruder saßen, Abrechnung halten werde, alles durch