Erinnerungen. Maximilien de Robespierre

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Название Erinnerungen
Автор произведения Maximilien de Robespierre
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783940621948



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mir zur Seite und sprechen Sie von nichts als von den schönen Blumen, die wir treffe, ich werde Ihnen eine Stunde in der liebenswürdigsten aller Wissenschaften geben.“

      Ich folgte ihm und verbrachte zwei köstliche Stunden. — „Stanislaus hat mir heut nicht Wort gehalten; ich bin wie alle alten Leute, ich hänge an meinen Gewohnheiten; gewöhnlich habe ich ihn bei meinen botanischen Spaziergängen bei mir; seine Abwesenheit hat Ihnen, ohne Kompliment, einen bessern Empfang verschafft, als er sonst ausgefallen wäre.“ — Ich bat ihn um die Erlaubnis, ihn wiedersehen zu dürfen. „Nein“, sagte er, „ich würde mich an Sie anschließen, und ich fühle, daß ich an dem Punkte, den ich auf meiner Reise erreicht habe, daran denken muß, mich von allem loszumachen, was ich noch liebe, und mir jede neue Neigung zu untersagen.“ Ich drang stärker in ihn und erhielt endlich die Erlaubnis, den nächsten Monat nach der Einsiedlei zurückkehren zu dürfen, um, wie er sagte, noch eine botanische Stunde zu nehmen.

      Ich verließ ihn mit Tränen in den Augen und mit der Hoffnung auf die nächste Zusammenkunft; ach! Den Monat darauf war er nicht mehr; ich fand nur seine Asche wieder, die friedlich auf der Pappelinsel ruht. Der Besuch bei diesem Manne, dessen Genius mir vor allen der Bewunderung und der Ehrfurcht seiner Mitbürger würdig scheint, hat Erinnerungen in mir zurückgelassen, die noch nicht ermattet sind. Alle Einzelheiten sind meinem Geiste mit der Frische eines Eindruckes von gestern gegenwärtig, und der Klang seiner Stimme tönt noch in meinen Ohren wieder.

      Jahre verflossen, meine Studien neigten sich zum Ende. Als ich Advokat wurde, begann Camille, der das Kollegium verließ, seinen Kursus. Ich sah ihn freudig wieder und knüpfte von neuem ein Verhältnis mit ihm an, welches seither durch nichts zerrissen worden ist.

      Indessen war mein Rechtskursus beendet; ich hatte die Grade erlangt und konnte die Gönnerschaft eines ältern Juristen entbehren und mit eigenen Flügeln fliegen. Das einzige, worüber ich mich noch nicht entscheiden konnte, war der Ort, an dem ich das Amt ausüben sollte, dem sich schon mein Vater und Großvater gewidmet hatten. Ich schwankte zwischen Arras und Paris. Die Hauptstadt bot mir einen weitern Schauplatz, auf dem die handelnden Personen, unter den Augen eines unzähligen Publikums, auf einem sichern Wege zum Ruhme gelangen konnten; auf dem jedes beredte Wort in den Blättern, welche den gerichtlichen Verhandlungen geweiht waren, aufbewahrt wurde. Der Gedanke an Cochin, die Gegenwart Gerbiers spornten mich an. Aber wenn ich auf der andern Seite kälter überlegte, verschwanden die Täuschungen meiner Einbildungskraft. Was hatte ich, in Paris fast unbekannt, für Mittel, durch den Haufen junger Advokaten zu dringen, welche die Sitzungen von 10 Uhr versperrten und allesamt dem kleinsten Prozesse auflauerten? Durfte ich bei dieser Not an Beschäftigung meine ganze Zukunft dem Schicksale der ersten Sache preisgeben, die mir zuerkannt wurde? Doch war dies nicht der einzige Beweggrund, der auf meine Entscheidung einwirken mußte; ich war durchaus ohne Vermögen; meine Familie und die Personen, die Teil an mir nahmen, hatten bereits beträchtliche Opfer gebracht, um mir einen Beruf zu verschaffen; blieb ich in Paris, hatte ich noch lange keine Hoffnung, mir selbst genug zu sein; und der Gedanke widerstand mir, noch jemand, wer es auch sei, zur Last zu sein. Ich beschloß also, nach Arras zurückzukehren.

      Im Schoße meiner Familie, von Freunden unterstützt, die Trümmer aus meines Vaters Praxis sammelnd, war ich durch den Ruf, den mir die Fortschritte meiner Kindheit gemacht, durch das Wohlwollen, das sich an meinen Namen heftete, sicher zu steigen und konnte vernünftigerweise hoffen, wenn auch kein Vermögen (ich habe niemals danach getrachtet), doch Auskommen und Achtung, den Lohn einer ehrenvollen Arbeit, mir zu gewinnen. Der Kreis, in dem ich mich bekannt machen wollte, war beschränkt, aber ich war, jede Eitelkeit beiseite gelegt, gewiß, mein Ziel zu erreichen, und besser war es für mich, der Erste in Arras zu sein, als der Zweite in Paris, überdies lag mir daran, vor allem unter meinen Mitbürgern bekannt zu werden; es kam mir zu, unter ihnen meinen ersten Kampf für die erhabenen Grundsätze der gesellschaftlichen Ordnung anzutreten: von ihnen allein erwartete ich damals meinen Lohn.

      Meine Berechnung und meine Hoffnungen waren nicht irrig; von dem ersten Jahre meines Aufenthalts in Arras ab begann ich das Vertrauen meiner Mitbürger zu erhalten, die mir mehrere Prozesse übertrugen. Obgleich ich vom Parlamente zu Paris als Advokat aufgenommen worden war, mußte ich mich dennoch vom obern Gerichtshofe von Artois bestätigen lassen, was jedoch nur eine fiskalische Zeremonie und darum sehr nach dem Geschmacke der Herren Gerichtsschreiber war.

      Der oberste Gerichtshof war eine Appellationsbehörde, deren Bezirk ziemlich ausgedehnt war. Der erste Präsident war zugleich Königlicher Kommissär bei den Pro- vinzialständen und vereinigte auf diese Art zwei Ämter, die bei einer verständigen Einrichtung der gesellschaftlichen Verwaltung hätten getrennt sein müssen, denn die Gerechtigkeit verlangt Unparteilichkeit, Unabhängigkeit als erste Eigenschaften ihrer Vertreter, und die ausübende Macht, jäh und eigensinnig ihrer Natur nach, duldet dieselbe Eigenschaft nicht in ihren Beamten.

      Erster Präsident des Gerichtshofes war damals Herr Briois de Beaumetz18); er hat dieses Amt bis zu dem Augenblicke verwaltet, wo die Nationalversammlung die mannigfaltigen Rangordnungen der Gerichtsbarkeit unterdrückte, um diese letztere nach einem einfachern, gleichförmigen Plane umzuschaffen. Dieser Beamte bewies sich anfangs wohlwollend gegen mich; ohne Zweifel fand er einiges Verdienst in mir und hätte mich gern zu seinem Geschöpfe gemacht. Sein freundliches Benehmen dauerte jedoch nicht lange; mehr als einmal hatte ich Gelegenheit, mich über die Art des Verfahrens der Stände von Artois sowie über die seinige als Königlicher Kommissär auszusprechen. Ich tat es freimütig; ich beschwerte mich über die zahllosen Veruntreuungen dieser Provinzialveziere; ich klagte über ihre Gewalttätigkeiten, über die willkürlichen Bedrückungen, welche sie sich in der Verwaltung ihrer Ämter erlaubten. Es war von meiner Seite freilich nur Gerede. Aber es kam zu den Ohren des ersten Präsidenten, der mich von nun an kaltsinnig behandelte und sich keine Gelegenheit entgehen ließ, mir die Sitzungen peinlich zu machen. Ich frug nichts danach und tat mehr; ich machte, wie ich an seinem Orte berichten werde, im Jahre 1789 eine Denkschrift bekannt, die Herrn von Beaumetz aufs höchste entrüstete und ihn zu meinem erklärten Feinde machte. Ich habe seither mehr als einmal Gelegenheit gehabt, ihm auf meinem Wege zu begegnen, und ich weiß nicht, ob er sich innerlich über den kleinen Krieg freute, den er gegen mich zu führen suchte, als wir beide Mitglieder der konstituierenden Versammlung waren. Es ist eine wichtige Begebenheit in meinem Leben; ich werde darauf zurückkommen.

      Zur Zeit, von der ich jetzt spreche, genoß ich noch seines ganzen Wohlwollens; er schien einen lebhaften Anteil an meinen ersten Versuchen zu nehmen und sich über meinen Erfolg zu freuen. Ich plädierte zu wiederholten Malen und empfing die Glückwünsche meiner Richter und, was seltener ist, die meiner Amtsbrüder. Doch war es das nicht, was ich wollte; ungeduldig wartete ich auf die Gelegenheit, welche die Augen des Publikums auf mich richten sollte. Ein sonderbarer Rechtshandel, der mir im Jahre 1783 übergeben wurde, verschaffte mir diese: hier der Tatbestand, der übrigens einige Erörterung verdient.

      Franklin19) war nach Paris gekommen, um bei der französischen Nation um Hilfe für die empörten Amerikaner zu bitten. Die Sache, welche er verteidigte, war so schön, der Geist des Volkes für diesen edlen Schwung der Neuen Welt so günstig gestimmt, daß alle Augen teilnehmend auf den Freund Washingtons gerichtet waren. Die öffentliche Meinung sprach sich mit einer solchen Kraft aus, daß die Minister, zum ersten Male vielleicht, ihr weichen mußten. Die Unterhandlungen Franklins waren von Erfolg: Französische Schiffe und Regimenter wurden ausgerüstet, um die Rechte des Volkes zu verteidigen; ein hochsinniger Enthusiasmus bemächtigte sich der Gemüter; Freiwillige boten sich in großer Zahl für diese ruhmvolle Sache an, und die Freiheit Nordamerikas ward errungen.

      Unter der Hülle des Politikers wußten die Franzosen, trotz ihres sorglosen Leichtsinnes, den weisen, den uneigennützigen Freund der Menschheit herauszufinden. Franklin hatte uns für unsere großmütige Gastfreundschaft gelohnt, indem er die Erde unter unserm Freiheitsbaume auflockerte; indem er die Keime ausstreute, die später gereift sind; er lohnte uns noch, indem er Frankreich eine bewunderungswürdige Entdeckung, die Frucht seines beobachtenden Genius, vermachte. Durch die Erscheinungen der Elektrizität war er auf ein eben so einfaches als sinnreiches Verfahren geleitet worden, Gebäude und Schiffe vor dem Blitz zu bewahren. Die amerikanischen Freistaaten