Название | Erinnerungen |
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Автор произведения | Maximilien de Robespierre |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783940621948 |
Die glänzendste, aber auch die gefährlichste Rolle hat unter allen meinen Mitschülern Duport-Dutertre gespielt. Er ist einige Jahre älter als ich; als Kind habe ich nur in geringer Beziehung zu ihm gestanden. Erst als er gegen das Ende des Jahres 90 in das Justizministerium berufen wurde, erinnerte er sich, daß der für die Nationalversammlung gewählte Deputierte von Arras, dem seine Arbeiten einige Volkstümlichkeit verschafft hatten, wohl derselbe kleine Schüler sein könne, der mehr als einmal bei den Preisbewerbungen der Universität gekrönt worden war und mit ihm auf den Bänken des Kollegiums „Ludwig der Große“ gesessen hatte. Ich hatte, dank dieser Erinnerung, einigemal Gelegenheit, ihn in einigen schwierigen Verhältnissen zu sehen, die ich später berühren werde. Duport ist ein durchaus rechtlicher Mann, umgänglich, bescheiden und talentvoll. Sein Ruf als Advokat war groß, wohl verdient; er hatte unrecht, einen andern zu begehren. Nicht jedem ist es gegeben, ohne Vorbereitung ein geschickter Staatsmann zu werden; es gehört mehr dazu als Wissenschaft und Rechtlichkeit, und das war alles, was Duport hatte.
Noch ein Wort über zwei Männer, die heutigen Tages in verschiedener Hinsicht Aufsehen machen, deren Namen selbst ich ohne die widerhallenden Revolutionstribünen vergessen hätte. Den ersten, den ich zu meinem Erstaunen unter dem Namen Lebrun9) wiedertraf, kannten wir im Kollegium als Abbé Tondu. Obschon er damals das Bäffchen trug, war sein Leben doch durchaus abenteuerlich. Camille, den sein Alter mehr zu ihm führte, hat mich tausendmal mit der Beschreibung desselben zum Lachen gebracht; aber ich muß Verzicht darauf leisten, es mit allen Einzelheiten wiederzuerzählen, mit denen eine tolle Phantasie die Geschichte ausschmückte. Tondu wurde zuerst Geistlicher, warf dann die Kutte weg, wurde nacheinander Drucker, Soldat, Zeitungsschreiber und revolutionierte zuletzt das Lütticher Land. Als dessen Abgeordneten hörte ich ihn vor den Schranken der Nationalversammlung eine sehr patriotische Rede halten, die mir lieber gewesen wäre, wenn sie aus dem Munde eines guten Lüttichers gekommen wäre. Tondu-Lebrun ist gegenwärtig in den auswärtigen Angelegenheiten beschäftigt. Er ist ein durchaus hirnloses Subjekt, dem man, ich weiß nicht warum, diplomatische Kenntnisse zugeschrieben hat, und das höchstens zu einem Kabinettkurier fähig ist.
Der andere ist der politische Feind seiner ehemaligen Mitschüler geworden. Suleau nämlich, ein hitziger Kopf, der, weil er die Hoffnung aufgab, unter den Neuerern den ersten Platz einzunehmen, sich blindlings unter die Aristokraten geworfen hat. Sein Prozeß, die Giftigkeit seiner Blätter, seine Wut zu scherzen, haben ihn zur Genüge bekannt gemacht. Es würde mir übel stehen, ihm in einem Werke, das er nicht zu Gesicht bekommen wird, die Angriffe zurückzugeben, mit denen er mich beehrt hat. Handelte er aus Überzeugung, so verdient er noch den Haß der Patrioten, nicht ihre Verachtung. Aus den Reihen des Volkes hervorgegangen, verlassener Kämpfer der alten Herrschaft, arbeitet er umsonst für eine Partei, die nur wenige Tage noch mit dem Tode ringen und ihn in ihren Sturz hineinziehen wird. Sein gegenrevolutionäres Treiben, das niemandem mehr ein Geheimnis ist, hat ihn bereits dem Hasse des Volkes preisgegeben, welches nichts vergißt und früh oder spät Zeit findet, seine Feinde zu tüchtigen.
Ich habe mich bei diesen Namen aufgehalten, da sie sich an die Erinnerungen meiner Kindheit knüpfen, die durch die gewichtigen Ereignisse, mit denen sie sich seither vermischt haben, täglich erweckt und verdunkelt werden. Ich rufe sie mir gern ohne diese traurige Umgebung in das Gedächtnis zurück. Es gibt Pflichten, die mit Gewalt befehlen, die der tugendhafte Mann nicht vergessen kann, sollte er auch über dem Versuch umkommen. Aber die Seele bedarf auch der Ruhe, und in den noch frischen Eindrücken der Vergangenheit suche ich sie am liebsten. Nicht ohne lebhaften Genuß erinnere ich mich jener Zeit friedlichen Andenkens, wo ich keine Sorge hatte als die eines stets gespornten Wetteifers; keine Freude, als wenn mir ein Vers, der mir schwer geworden war, der wahre Sinn einer dunkeln Stelle, eine lateinische, des Tacitus würdige Wendung, eine heftige Rede im Stile Bossuets einfiel, mit der ich meine rhetorischen Ausarbeitungen schmückte; wo ich keinen andern Triumph kannte als einen Kranz, keine Belohnung als ein Buch. Nichts fehlte meinem Glücke, nichts als die Tränen, die Umarmungen einer Mutter, wenn ich als Sieger aus unsern gelehrten Kämpfen zurückkehrte.
Diese Vereinzelung hat mir frühzeitig eine Melancholie und Traurigkeit eingeflößt, die meine Kameraden falsch auslegten. So jung ich noch war, fühlte ich doch das Peinliche meiner Lage und floh ihrer Gesellschaft, die mich jeden Augenblick an das Glück mahnte, das ich auf immer verloren hatte. Sie warfen mir Menschenhaß, Eifersucht, und was weiß ich, vor: einer von ihnen, Fréron glaube ich, sagte es mir ins Gesicht. Ich gebe zu, daß sie mich nicht umgänglich finden konnten, aber ich war für die Gründe keine Rechenschaft schuldig, die mir den Wunsch einflößten, allein zu bleiben. Aber eifersüchtig? Gegen wen? Wen hatte ich denn seiner Fortschritte wegen zu beneiden? Wer fühlte eine größere Zukunft in sich?
Meine Lehrer würdigten mich richtiger; der eine besonders, Herr Hérivaux, hatte einen Geist, der mit dem meinen wunderbar übereinstimmte; dadurch, daß er seinen Schülern die schönen Taten der römischen Republik, Spartas strenge Sitten, die staunenswerten Werke der Künste und Beredsamkeit erklärte, welche die Freiheit unter den leichtlebigen, geistreichen Bewohnern Attikas geschaffen, lebte er zuletzt selbst nur in diesem Ideenkreise; als enthusiastischer Republikaner predigte er uns die Wohltätigkeit und die Wunder der Regierung, welche er sich gebildet hatte. Die Vorsteher des Kollegiums duldeten seine heftigen Lobeserhebungen, sie scherzten darüber wie über eine Verkehrtheit, die keine Folgen habe; aber wir, die wir eher als sie die scherzhafte Seite herausheben sollten, begingen die Verkehrtheit, die Sache sehr ernst zu nehmen. Bis jetzt hatte ich wenig Fähigkeit, mich zu regen, gezeigt : Ciceros fließende Reden waren für mich nicht ohne Reiz, aber der Teilnahme beraubt, die sich an die Wirklichkeit knüpft, ausgetrocknet durch pedantische Erläuterungen, ohne das Leben, das ihnen die Würdigung der Zeiten verleiht, erweckten sie nur eine unfruchtbare Bewunderung in mir. Die Worte des Herrn Hérivaux öffneten mir die Augen, er rief die alten Schatten der Gracchen herauf, stellte mitten im Forum die Rednerbühne oder den kurulischen Sessel wieder her, füllte den Senat, den Markt mit ehrwürdigen, im Dienste des Vaterlandes grau gewordenen Greisen oder mit einer unzähligen Menge, mit einem ganzen Volke an, welches über die Wahl seiner Abgeordneten ratschlagte, anklagte, richtete und strafte und dann, seine Obern an der Spitze, den Göttern seinen Dank abstattete und zum Pfluge zurückkehrte. Ich sah den Aventinischen Berg und beneidete das Los der mutigen Tribunen, welche die Eingriffe der Patrizier zügeln, die Rechte des Volkes schützen mußten.
Ich gestehe, diese neue Welt, in welche mein Lehrer mich einführte, bewirkte eine Umwälzung in allen meinen Ideen, aber bald brach das Licht hervor, kleine Unsicherheit schwand. Dieser ersten Unterweisung welche eigenes Studium hernach berichtigt hat, danke ich den Samen zu meinen unwandelbaren Ansichten. Herr Hérivaux bemerkte den tiefen Eindruck, den sein Enthusiasmus in meinem Geiste zurückgelassen hatte; er freute sich darüber und gab mir im Scherze den Beinamen des Römers.
Später mußte ich mich herabstimmen; mein Lehrer in der Philosophie verstand keinen Spaß bei diesen Gegenständen, ich mußte meine republikanischen Ideen in mich verschließen. Dieser Lehrer war der berüchtigte Abbé Royou, der kürzlich (im Juni 1792) in dem Verstecke gestorben ist, in welchem er sich vor dem Haftbefehl verborgen hielt, den die Versammlung gegen ihn erlassen hatte. Royou, der frömmelnde Abbé, der Schwiegersohn Frérons, Professor der Philosophie, war der Mann nicht, meine Ausfälle gegen den Despotismus, meine Verehrung der Freiheit zu dulden. Royou hatte sich, mit bedeutenden schriftstellerischen Talenten begabt, zum Kämpen einer Idee aufgeworfen, die gegenwärtig nur noch bei Narren oder unredlichen Leuten in Ansehen stehen kann. Zuerst mit Fréron für die Redaktion des literarischen Jahrbuches verbunden, gründete er später das Journal de Monsieur und durfte es ohne große Unannehmlichkeit versuchen, die Literatur zum Rückwärtsgehen zu zwingen; das Unnütze seines Versuches hätte ihm wenigstens über das Vorschreiten des menschlichen Geistes die Augen Öffnen sollen, aber die Erfahrung trägt denen, die nicht sehen wollen, keine Früchte! Royou hat sich auf die Politik geworfen, und sein „Freund des Königs“ wird ein unwiderleglicher Beweis für die Armseligkeit unserer Natur, für die Verirrungen sein, zu denen sie sich hinreißen