Название | Erinnerungen |
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Автор произведения | Maximilien de Robespierre |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783940621948 |
Ich war die erste Frucht dieser glücklichen Ehe, ein zweiter Sohn und noch zwei Töchter befestigten sie noch mehr. Ach! Wir sollten früh mit dem Unglück vertraut werden; unsre vortreffliche Mutter starb; nur ich kann von diesem traurigen Ereignis sprechen, dessen Erinnerung tief in mein Herz gegraben bleibt. Neun Jahre war ich alt, aber mein kindischer Verstand hatte bereits die ganze Liebe begriffen, die sie uns gewidmet hatte, die ihr schwaches Leben verzehrte. Ich weinte heftig; ich erriet, was der Tod sei, und war über meinen jüngern Bruder empört, der, mit aller Sorglosigkeit eines Kindes, neben dem Gemache spielte, in dem die teure Leiche ruhte.
Diesem ersten Schlage folgten andre nach; der Schmerz meines Vaters hatte keine Grenzen, seine Vernunft wurde irre, man war genötigt, ihn aus seiner Heimat zu entfernen, um seine Geisteskräfte und seine Gesundheit wiederherzustellen. Er durchreiste nach und nach Deutschland, England und Amerika, blieb einige Zeit in Köln und versuchte, als die dringenden Bitten der Familie ihn nach Arras zurückriefen, seinen alten Beruf wieder zu ergreifen; aber die traurigen Erinnerungen, welche seine Geburtsstadt in ihm erweckte, die tiefe Melancholie, welche seit seinem Wittum ihn beherrschte, machten ihm den Aufenthalt in Arras immer unerträglicher; er verließ die Stadt, um nie wieder zurückzukehren. Später erfuhr ich, daß er nach einem in Schmerz auf Reisen verbrachten Leben in München gestorben sei. —
Seit meiner frühsten Kindheit verwaist, empfand ich das Gewicht des Lebens, die lastende Knechtschaft der Wohltaten. Das Unglück hatte mir eine zeitige Reife gegeben; es trieb mich, mir meine Unabhängigkeit zu sichern, mit Eifer gab ich mich dem Studium hin, welches allein mir eine Aussicht darauf eröffnete. Mein Großvater hatte uns bei sich aufgenommen und die rührendste Sorgfalt an uns verschwendet; aber bald verloren wir auch diese letzte Stütze. Der Bischof von Arras, Herr von Conzié, der Freund meiner Familie, wurde mein Beschützer; er wachte über die Jahre meiner Kindheit und stellte mich zunächst als Chorknabe in der Kathedrale an: so erhielt ich die erste Grundlage des Unterrichtes. — Da ich glückliche Anlagen verriet, wollte Herr von Conzié sein Werk vollenden. Er stand in enger Verbindung mit dem Titular-Prälaten der Abtei von St. Vast, der, als solcher, über eine Freistelle im Kollegium „Ludwig der Große“ zu verfügen hatte. Herr von Conzié erbat und erhielt sie für mich.
Es war das Jahr 1770. Ich verließ zum ersten Male Arras, das so reich an herben Erinnerungen für mich war. Ich kam in Paris an, ich trat in das Kollegium ein, nicht mit der Traurigkeit des verzärtelten Kindes, das die Abwesenheit seiner Mutter, die Märchen seiner Amme und das Spielzeug beweint, womit es sich bis jetzt gefreut hat, sondern mit der Entschlossenheit des Mannes, den weder die Trauer der Vergangenheit, noch die Furcht vor der Zukunft verstört. Was hatte ich denn auch zu betrauern: ich, der arme, vom Mitleid Fremder abhängige Waisenknabe, der mitten unter Kinder kam, die, hier wenigstens, trotz der Reichtümer, der Auszeichnungen, der Ämter, welche ihrer warteten, noch meinesgleichen waren? Was hatte ich zu fürchten, ich, der ich von der Zukunft nur die Erziehung erwartete, die ich erhalten sollte? Unter andern Umständen hätten die Gitter meines neuen Aufenthaltes mir vielleicht den Atem beengt, die strenge Zucht, der ich mich unterwarf, wäre mir wie Tyrannei erschienen. Aber es handelte sich hier um mein ganzes Leben; überdies waren diese Gitter für jedermann geschlossen, diese Zucht lastete rücksichtslos auf uns allen; auch das war schon Gleichheit.
In Paris fand ich einen alten Oheim, Kanonikus in Notre-Dame; es war der Abbé3) de la Roche. Dieser wackre Mann nahm mich freundschaftlich auf; er war entzückt über das Gute, das man mir nachsagte, munterte mich zu Beharrlichkeit auf, und verschaffte mir von Zeit zu Zeit einige Zerstreuungen. Aber ich war bestimmt, alle meine natürlichen Beschützer zu verlieren, und lernte diesen fast nur kennen, um ihn zu beweinen. Er starb zwei Jahre nach meinem Eintritt in das Kollegium.
Von den Mitschülern, welche der Zufall mir beigesellt hat, haben einige sich einen Namen in der Welt erworben; mehrere habe ich in meinem politischen Leben wieder angetroffen, zum Teil als standhafte Verteidiger der Volksrechte, teils als furchtsame Stützen einer gemäßigten Meinung, oder als wütende Kämpen des Despotismus. Ich will ihrer kurz erwähnen.
Camille Desmoulins4) ist einige Jahre jünger als ich; er stammt von dem gelehrten Sachwalter Karl Desmoulins; dieser Adel ist mehr wert als der der Männer vom 4. August.5) Ein glühender Durst nach Ruhm verzehrt ihn; wäre er zu einer andern Zeit gekommen, hätte er, seines Großvaters gedenkend, wahrscheinlich seinen Namen durch einige glänzende juristische Arbeiten verherrlicht, und wäre ein höchst gewichtiger Mann geworden. Die Ereignisse, die eingetroffen sind, haben ihm eine andere Laufbahn eröffnet, für die er vorherbestimmt zu sein schien. Er hat sich mit seiner Feuerseele, mit der Begeisterung seiner Feder hineingestürzt — er wird es weit bringen. Dem Kapitel von Laon sind wir eigentlich die Erziehung schuldig, welche Camille erhalten hat; seine Familie war ohne Vermögen, die Kanoniker hatten ihm eine Freistelle im Kollegium „Ludwig der Große“ verschafft. Vielleicht werden sie es jetzt nicht bereuen, sich seiner angenommen zu haben. Camille ist häßlich im vollen Sinne des Wortes; sein dunkles, intelligentes Gesicht hat einen unedlen Ausdruck; er spricht mit Mühe, er stottert; doch bringt er es dahin, daß man ihn anhört, er fesselt, er bewegt das Volk: denn in seiner Rede ist die hinreißende Kraft natürlicher Überzeugung, welche weder Berechnung noch Schonung kennt. In seinen Schriften schmückt er diese volkstümliche Freimütigkeit mit aller Anmut eines sorgfältigen Stiles. Er ist ein furchtbarer Gegner, ein unbesonnener, verwegener, aber mächtiger Freund; sein Leben im Kollegium war, wie jetzt das des Mannes: heftig, unüberlegt, willkürlich. Sobald der erste leichte Funke der Empörung in die Herzen seiner Mitschüler fiel, konnte man sich darauf verlassen, daß er das Feuer anfachen und sich an die Spitze der Rebellen setzen würde. Ohne die Schwäche, der sich der Abbé Proyart in Hinsicht seiner nicht erwehren konnte, und welche die Kenntnisse, die Fortschritte, das gute Herz Camilles rechtfertigten, wäre er tausendmal fortgeschickt worden. Ich hängte mich an ihn: mein Alter, mein ernster, kalter Charakter gab mir ein Übergewicht über sein Gemüt, das nicht geschwächt worden ist. Damals, wie jetzt, brauchte er den Rat eines einsichtsvollen Führers, der die Verwirrungen seiner wilden Einbildungskraft regelte, die Schätze seines Geistes zu einem nützlichen Ziel leitete; er fühlte es, er fühlt es noch. Der gute Camille! Er liebte mich mit der Wärme der Schulfreundschaft: müßte ich ihn jemals auf die Probe stellen, ich bin gewiß, er würde sich bewähren.
Unter meinen Mitschülern habe ich, nach Camille, die engste Verbindung mit Fréron6), dem Redner des Volkes, erhalten. Ich hatte ihn seit der Zeit der Nationalversammlung7) kaum gesehen und mich ihm erst durch sein Journal wieder genähert. Als ich ihn im Kollegium kennenlernte, führte sein Vater noch das Zepter des Zeitungswesens: er setzte Voltaires8) beißenden Witzen eine unbeirrbare Kaltblütigkeit und erneute Angriffe entgegen, welche die Eigenliebe des reizbaren Dichters aufs höchste verwundeten. Dieser Kampf blieb uns nicht ganz unbekannt; der Geist der Unabhängigkeit und des Unglaubens, der bereits in unsem jugendlichen Gemütern schlummerte, riß uns mehr zu dem Banner des zweifelsüchtigen, spottenden Weisen hin. Fréron mußte es manchmal empfinden, daß seine Kameraden so wenig Geschmack für die rückschreitenden Lehren seines Vaters besaßen. Das Ansteckende des Beispiels, einige schlechte Scherze, deren Ziel er war, genügten, ihn aus der Bahn zu schleudern, auf die seine Geburt ihn hinzuweisen schien, und vereitelten die Lehren seines Vaters und die Ermahnungen seines Oheims, des Abbé Proyart. Fréron war nach seinem Austritt aus dem Kollegium lange Zeit gebunden und verhindert, die Lehren, welche er daselbst geschöpft hatte, frei zu entwickeln. Er begnügte sich, dem Vergnügen zu leben, etwas, was in den Augen der Aristokraten leicht zu dulden ist: Royou, Proyart und andere besorgten ohne ihn sein „Literarisches Jahrbuch“. Als Patenkind Königs