Название | Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm! |
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Автор произведения | Tim Renner |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862871087 |
Das Konzert von Element of Crime in der Aula war ein Fiasko. Ein Lichtmast stürzte ins Publikum. Zum Glück war er so klein wie damals die Band und erschlug deshalb keinen Zuschauer. Die Stimmung stieg dadurch aber auch nicht gerade ins Unermessliche. Genauso wenig wie durch den Hörsturz des Schlagzeugers, dem das Publikum und ich beiwohnen konnten. Er war ausgerechnet der Einzige in der Band, der von Fehlfarben kam. Auch das Klingelbrett in dem Kreuzberger Haus, wo man mich am nächsten Tag erwartete, wirkte nicht gerade einladend. Es war über und über mit Hundekot beschmiert. Ich überwand den Ekel mithilfe von Tempotaschentüchern. In der Wohnung des Bassisten angekommen, musste ich feststellen, dass die ARD-Sportschau bedeutend interessanter war als ich und dass der prominente Schlagzeuger eh mit dem Gedanken spielte auszusteigen.
Auf dem gemeinsamen Weg zur U-Bahn erwähnte ich wenigstens John Cale, den ich ein paar Monate zuvor interviewt hatte. Die Aussicht, die Legende Cale zu treffen, und der Sänger der Band, Sven Regener, dem man von dem Treffen mit mir erst gar nichts erzählt hatte, gaben den Ausschlag und führten dazu, dass Elemente of Crime als erste Band bei mir unterschrieben.
Bald darauf begannen die Plattenaufnahmen von Element of Crime in London mit John Cale als Produzent – und es wurde plötzlich ernst. Natürlich war jeder Schritt mit der Band genauestens abgestimmt. Keine leichte Sache, denn die Jungs waren sich oft selbst nicht einig. Der Sänger preschte in der Regel nach vorn, der Bassist stand auf der Bremse. Das Cover sollte ein befreundeter Stempelkünstler namens »Der Prinz von Kreuzberg« machen. Das schwarze Stück Pappe mit den vielen weißen Abdrücken war weder künstlerisch hochwertig, noch hatte es viel mit Element of Crime zu tun. Meine Polydor-Kollegen erkannten in den Stempeln kopulierende Heuschrecken. Die Band war zwar zufrieden – ich aber die Diskussion leid.
Handschriftlich wand ich mich an den »Prinzen« und erklärte ihm, dass sein Cover ganz klasse sei, aber die Polydor eine dieser üblen Major-Firmen aus der Musikbranche, von denen er sicher schon mal gehört habe, bei der man solche Kunstwerke unmöglich durchsetzen könne. Danach war Ruhe. Ich hatte ein schlechtes Gewissen und die Musikindustrie einen noch schlechteren Ruf.
Auch der nächste Anlauf ging schief. Diesmal war es der Gitarrist, der in einem Kalender ein passendes Motiv gefunden zu haben meinte. Zwei resolute Putzfrauen einer sozialistischen Reinigungsbrigade hatten ein riesiges Kruzifix auf die Stufen vor einer Dresdner Kirche gezerrt, um es dort mit einem Wasserschlauch abzuspritzen.
Das gefiel auch mir, passte zu Bandnamen und Albumtitel. Die Präsentation vor dem Vertrieb war ein Desaster. Wie man das denn in Oberammergau oder anderen erzkatholischen Gegenden platzieren solle, zeterte es mir entgegen. Doch statt festzustellen, dass Element of Crime dann vielleicht erst nach Oberammergau oder in andere erzkatholische Gegenden kommen sollten, wenn sie sich mit klaren Aussagen wie diesem Cover durchgesetzt hatten, zog ich den Schwanz ein, verbannte das Bild ins Innere der Verpackung und holte ein Bandfoto nach vorn.
Wem gegenüber war ich verantwortlich? Der Band, die provozieren wollte, dem Vertreter, der verkaufen musste? Die Antwort lautet natürlich: beiden. Damit der Vertreter verkaufen kann, muss die Ware eine Relevanz haben. Die bekommt sie aber nur, wenn ich als Co-Produzent darauf achte, dass ich sie in dem, was sie ausmacht, stärke. In diesem Sinne hätte ich beiden Seiten mit dem Kruzifix einen Gefallen getan, auch wenn es der Vertrieb vielleicht erst später gemerkt hätte. So ging die Platte umhüllt von einem schnell gestrickten Cover raus, das aussah wie eine schlechte Kopie von Dexy’s Midnight Runners Searching for the Young Soul Rebels. Es hatte etwas Billiges, Improvisiertes, aber das passte zu Try To Be Mensch immer noch besser als die vermeintlichen Heuschrecken des Kreuzberger Prinzen.
Zu Beginn war ich mit meiner Historie und Haltung noch ein ziemlicher Exot in dieser Industrie. Man ließ mich gewähren, denn was man suchte, waren Leute, die für das einstanden, was sie taten. Was das nun genau war, schien dem System ziemlich egal zu sein. »Machen Sie, was sie wollen, Herr Renner«, sagte mir später der Polydor-Geschäftsführer, als er mich zum Chef meiner eigenen Abteilung ernannte, »solange ich es weiterhin furchtbar finde, ist alles in Ordnung.« Man schaute sich meine Aktivitäten in Ruhe an, weil die Wege und die Inhalte ungewöhnlich, aber die Ziele verständlich waren. Das galt selbst für die Controller. Der holländische Kollege unterstützte mich und meine Bands, ohne dass ich es merkte. Er legte die Accounting-Richtlinien des Konzerns so flexibel aus, dass alle meine Künstler als »proven« galten. Die Tatsache, dass ich sie unter Vertrag genommen hatte, schien für ihn Begründung genug, das Investment als gesichert zu sehen. Der Vorschuss eines »Proven Artist« musste nicht als Kosten in die Bilanz, umgekehrt gehört er sofort abgeschrieben. Ich bemerkte seine Form der Unterstützung erst dann, als sein Nachfolger kam ...
Ungewöhnliche Wege wurden damals akzeptiert, das hatte aber nichts mit unverantwortbaren Wegen zu tun. Es ist kein Glaubensbekenntnis und auch kein mutiger Akt, wenn man gleich bei der ersten Produktion eines Künstlers Hunderttausende von Euros in die Aufnahme, das Marketing und in Videos investiert oder die Künstler mit Vorauszahlungen beglückt, von denen man im Grunde weiß, dass sie diese noch viele, viele Jahre abbezahlen werden. Je länger der Künstler oder die Band für ihre Entwicklung brauchen, desto unverantwortlicher und feiger ist es, so zu agieren. Feige, weil die meisten Künstler wirtschaftliche Zusammenhänge nicht wirklich durchschauen, aber das Maximum an Aufmerksamkeit wollen. Sie fordern nicht nur Zeit, sondern auch Geld als Zeichen der Wertschätzung. Und je weniger Zeit sie bekommen, desto größer wird der Ruf nach teuren Videos oder Budgetgräbern. Unverantwortbar ist es, weil eine Schallplattenfirma natürlich ein Wirtschaftsunternehmen ist und ergebnisorientiert arbeitet. Wer seine Künstler überschuldet, raubt ihnen die Zukunft.
Über die Jahre kamen rein generationsbedingt mehr und mehr Menschen in die Musikindustrie, die mit den Ideen von Punk und Independent-Labels groß geworden waren. Sie hatten in der Regel auch den Anspruch, eine andere Beziehung zwischen Künstler und Label zu etablieren. Häufig hieß dies aber, dass einfach nur der Konflikt vermieden und dadurch beiden Seiten kein Gefallen getan wurde. In den schlimmsten Fällen bekamen die Bands jeden Wunsch von den Lippen abgelesen, und der A&R-Manager genoss es, ihr Held zu sein, der dem System riesige Summen abgerungen hatte. Aber es war gar nicht schwer, die Summen zu bekommen. Man musste nur den entsprechenden Erfolg prognostizieren. Trat dieser nicht sofort ein, kam die Rechnung. Die Konsequenz hatte erst mal der Künstler zu tragen, sein Vertrag wurde angesichts der tiefroten Zahlen nicht verlängert. Der A&R beschwerte sich dann, dass heutzutage die Plattenfirmen den Musikern keine Zeit mehr für ihre Entwicklung geben würden.
Umgekehrt ist es richtig. Wer seine Künstler überschuldet, nimmt ihnen Zeit und Zukunft. Die Aufgabe eines A&R ist auch die Moderation. Er darf weder die Befindlichkeiten der einen noch der anderen Seite komplett zu seiner eigenen machen. Seine Verantwortung gegenüber dem Künstler bedeutet gerade, häufig auch Nein zu sagen. Nur weil die Kosten von Element of Crime so eisern kontrolliert wurden, war es möglich, mit ihnen fünf Platten aufzunehmen, bis der Durchbruch kam. Alle Veröffentlichungen davor hatten bereits mit geringen Verkaufszahlen eine schwarze Null oder nur einen winzigen Verlust generiert. Natürlich macht man sich mit einer solchen Politik nicht immer beliebt bei seinen Klienten, aber das ist auch nicht der Job. Man darf niemals die Mutter sein, die versucht, die beste Freundin ihrer Tochter zu werden. Irgendwann wird sie dich dafür hassen, und das mit Recht.
Das Paradies – beschallt von Klaus Wellershaus und mit Karol Wojtyla
»Der Bericht zur Lage der Nation« hallte es über den Äther. Aber das war nicht die Stimme des Bundestagspräsidenten, sondern meine, und sogleich würde auch nicht der Kanzler hinters Mikrofon treten, denn da saß ja schon ich. Der NDR-Redakteur Klaus Wellershaus hatte sich Festival der