Ich war ein Roboter. Wolfgang Flür

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Название Ich war ein Roboter
Автор произведения Wolfgang Flür
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870363



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wollte unbedingt in sein. Was sonst hätte damals mein Selbstbewusstsein aufbauen können? Sogar einen Schnurrbart à la Dartagnan von den Musketieren hatte ich mir wachsen lassen.

      Derart unterschiedlich im Äußeren wie auch in der inneren Einstellung und unserem familiären Background, trafen wir uns nun an diesem warmen musikhistorischen Sommerabend und wussten nicht genau, wie es weitergehen sollte mit uns. Ralf hatte ein Whisky-Cola bestellt, Florian trank Bitter Lemon, und ich nahm eine Coca-Cola mit ausgepreßter Zitrone, was auch heute noch mein Lieblingsgetränk an heißen Tagen ist. Alkoholische Getränke interessierten mich mit 25 überhaupt nicht. Aber ich rauchte gern Zigaretten, was die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen beobachteten, jedoch ohne Kommentar beließen. Wir plauderten ein bißchen über dies und das und was wir in den letzten Jahren alles schon so gemacht hatten. Unsere Unterhaltung war jedoch stockend und überdeckt von peinlichen Übersprungshandlungen. Das Meeting war echt verklemmt, derart fremd waren wir uns. Ralf rettete schließlich die Situation, indem er vorschlug, dass wir einfach mal rüber in ihren Übungsraum fahren sollten. »Mal sehen, was wir da so machen können, hm-hm-hm ...« Er hatte so eine ganz eigene Art, sich hinten im Gaumen zu räuspern, wenn er unsicher oder wenn ihm etwas peinlich war.

      Die beiden bezahlten unsere Drinks, und wir gingen durch die Passage zur Pendeltür an der Hunsrückenstraße. Durch die Fenster der Modeboutique ›Superstar for Men‹ grüßten Ralf und Florian einige in Leder gekleidete zart wirkende Verkäufer, die mit smarten Bewegungen zurückwinkten. Sie schienen sich gut zu kennen. Ralf besaß einen alten mattgrauen VW-Käfer, der aussah wie ein städtisches Verwaltungsfahrzeug. Die Sitze waren mit grau-geprägtem Sky-Kunstleder bezogen, das unangenehm säuerlich roch. Über die Kasernenstraße ging die Fahrt, dann links in die Graf-Adolf-Straße bis zum Stresemannplatz. Fast schon am Hauptbahnhof, dann rechts in die Mitropstraße ging es weiter. Das erste Mal ins Kraftwerk-Studio, seinerzeit noch ein Experimentalkeller. ›Experimental‹ - wie unangenehm fand ich dieses Wort damals.

      Ralf fuhr behutsam und souverän. Er brauchte sein Auto nicht, um sich damit zu schmücken oder zu protzen - was man mit einem grauen VW sowieso nicht konnte. Seine Sicherheit im Verkehr gefiel mir außerordentlich gut. Ich bewunderte das. Wir hielten vor einem gekachelten Haus mit großem Rolltor, ein hässliches Gebäude aus den 50er Jahren mit vielen gleich großen Fenstern, ein typisches Bürohaus, wie man sie nach dem Krieg überall in deutschen Städten hochgezogen hatte - funktionelle Architektur ohne irgendwelche Besonderheiten, bis auf die ekelig gelbe Kachelfassade. Florian, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, steckte einen BKS-Schlüssel in das Elektroschloß seitlich des Tores, das sich mit einem lauten metallischen Knacken in Bewegung setzte. Das Geräusch habe ich so oft gehört, dass es heute noch in meinem Kopf abgespeichert ist. Das Tor war aus horizontalen Aluminiumlamellen gefertigt, die mittels Elektromotor auf eine Rolle gewickelt wurden. Als es die halbe Öffnung freigegeben hatte, fuhr Ralf den Wagen in einen rechteckig schattigen Hof hinter dem Haus. Florian schloss sofort hinter uns ab, und das Lamellentor senkte sich wieder.

      Hässlich wie das gesamte Gebäude war auch der Innenhof. Alles war dunkelbraun mit Fassadenfarbe gestrichen. Ich hasste Dunkelbraun! In Kombination mit Orange und Olivgrün war es der unästhetischste Farbmix der 70er Jahre. Rechts gab es einen hölzernen Ladesteg für die LKWs einer Elektroinstallationsfirma, die im oberen Stockwerk ihre Räume hatte. Im Erdgeschoß und im Souterrain befanden sich außerdem noch Lager anderer Firmen. Wir gingen über die Rampe durch eine offenstehende Gebäudetür aus Stahl und standen vor einer einfachen Holztür billiger Qualität. Nachdem sie einer der beiden Jungs aufgeschlossen hatte, gingen wir durch einen kleinen Vorraum, der voller Gerümpel lag, und dann weiter durch eine ebenso amateurhaft wirkende Türe. Diese war nicht verschlossen, da wir uns schon im Studio selbst befanden, einem Saal mit ungefähr zehn mal sechs Meter Ausdehnung und ungefähr viereinhalb Meter hoch. Die Decke war ein querlaufendes Gewölbe aus Ziegelsteinen, die dünn verputzt waren, so dass die ursprüngliche Struktur noch durchschien. Auf Wänden aus nackten Ziegeln klebten teilweise Eierkartons, dort angebracht in der Hoffnung, etwas Studiocharakter und Schalldämpfung zu erreichen. Auch ein Fenster gab es direkt links hinter der Tür. Es war mit einer simplen Konstruktion in Form eines geschlossenen Holzkastens aus Spanplatten verschlossen, der ringsherum mit dickem braunem Filz beklebt war. Der Kasten hatte die Innenmaße der Fensterhöhlung und hing an Scharnieren, die an der Seitenwand angedübelt waren. Durch die Drehgelenke konnte man den Kasten in die Fensterhöhlung schwenken und fest hineinpressen. Das Filzband dichtete hervorragend ab. Es war eine einfache, aber wirkungsvolle Schalldämpfung nach außen und sie war auch dringend nötig, wie ich später erfuhr.

      Hier standen wir drei nun auf glattem Betonboden, der an einigen Stellen riesige Löcher aufwies. Das Licht einer nackte Deckenlampe, die Florian eingeschaltet hatte, wurde von ihm sogleich durch mehrfarbige Beleuchtung erweitert. Es gab zwei auf dem Boden stehende Neonkästen in hellblauer Leuchtschrift mit den Vornamen der beiden Musiker. Dazu schaltete Florian noch einige farbige Neonröhren ein, die in den Ecken auf dem Boden lagen und die Wände in kaltes buntes Licht tauchten. Auch eine Messing-Wohnzimmerstehlampe mit Schwanenhälsen und farbigen Papiertüten und einer Plastikananas gab es. Solche Lampen waren mir gut bekannt aus meiner elterlichen Wohnung. Sie waren die Staubfänger der 50er Jahre und gehörten einfach zur repräsentativen Couchgarnitur. Ich habe solche Leuchter jedoch nie gemocht, und hier erkannte ich ihre ironische Existenz als eine Verhöhnung des Bürgerlichen.

      Florian bemerkte meine befremdliche Stimmung und versuchte, mit netten Worten und charmanten Witzchen ein wenig Verbindlichkeit zu schaffen. Ich hatte das Gefühl, dass er mich mochte, während mir Ralf gefühlsmäßig distanziert vorkam. Es sah so aus, als ob es zwei Arbeitsplätze für die Musiker gab. Ich erkannte es am Aufbau der vorhandenen Tasteninstrumente, die mir fremd waren, da ich ja aus einer Gitarrenband kam. Ralf hatte seinen Platz links im Raum, und Florian gruppierte seine Geräte rechts. Und das sollte sich die folgenden Jahre nicht mehr ändern.

      Zögernd gingen die beiden an ihre Instrumente, knipsten diverse Schalter an und ließen viele Lämpchen aufleuchten. Das sah spannend aus, weil es so elektrisch wirkte. Die ersten Tasten, die sie drückten, ließen für meine Ohren nie gehörte Sounds erklingen. Ich wusste ja nicht, dass sie einen Synthesizer benutzten. Es war einfach umwerfend, mit wie wenig Tönen dieses für mich neuartigen Instruments man solch umwerfende Wirkung erzielen konnte. Der Synthie klang samtartig satt oder gnadenlos hart. Und ich war einigermaßen überrascht. Das gesamte Equipment wirkte eher wie das Labor eines Geheimrates Prof. Dr. Analysius, geradezu eingerichtet für Experimente am offenen Ohr, also doch Experimentalmusik? Ralf zeigte mir voller Stolz seinen Synthesizer. Ein pures Forschungsgerät. Es war ein Minimoog, so teuer wie ein neuer Volkswagen. Ein Vermögen war das damals für ihn. Dann spielte er noch eine Farfisa-Orgel, und in der Ecke hinter ihm stand eine alte Hammond B3, in der Mitte durchgesägt, damit sie bei Transporten zu Gigs transportabel war.

      Florians ›Hexenküche‹ war schwerer zu durchschauen. Er besaß eine kleine Anzahl von merkwürdigen Effektmaschinchen, ein kleines Mischpult, ein Bandecho mit dem berühmten magischen Auge. Er benutzte auch eine seiner Querflöten, die er über ein Shure-Mikrophon verstärkte und mit tollen Echos verfremdete. Auch ein Oszilloskop stand oben auf seinen Kästen, das unablässig das optische Frequenzbild der gespielten Töne auf einem grünen Bildschirm wiedergab. Das sah zwar modern und technisch aus, aber eben wie auf einer musikalischen Intensivstation - steril und antiseptisch.

      Was aber sollte ich hier? Es gab ja gar kein richtiges Schlagzeug, obwohl mir die beiden doch eines offeriert hatten. Nur ein kleines Miniaturset für Kinder oder ganz kleine Leute stand hinten links in der fensterlosen Ecke. Zusammengesetzt war es aus einer wackeligen Baßtrommel, einer Snare Drum mit schrecklich ausgeleiertem Fell und einem Tom, das jämmerlich an der Seite hing und fürchterlich klang. Die Hi-Hat und die anderen zwei Becken schepperten billig und fürchterlich blechern. Es war einfach unerträglich. Dennoch bemühte ich mich tapfer, hinter dem Ganzen eine Sitzposition auf dem immerhin professionellen Drummersitz einzunehmen. Dann trommelte ich drauflos und versuchte, auf meine Weise zu den Klängen der beiden einen stützenden Rhythmus zu finden, aber so minimal, wie möglich.

      Ralf und Florian zeigten keinerlei Reaktion. Es kam überhaupt kein Session-Gefühl an diesem ersten Abend auf. Bei meinen früheren Bands hatten wir immer ganz konkrete Songs einstudiert, aber hier mussten ja erst einmal