Ich war ein Roboter. Wolfgang Flür

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Название Ich war ein Roboter
Автор произведения Wolfgang Flür
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870363



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im Schaufenster eines Radiohändlers die Perfektion der physikalischen Hausaufgabe meines Bruders - ein modernes japanisches Transistorradio. Es hatte sogar schon einen kleinen eingebauten Lautsprecher und eine verchromte Teleskopantenne. Auf dieses Kästchen hatte ich es abgesehen wie wild. Ich weiß noch ganz genau, dass es etwas mehr als zehn Mark gekostet hat - eine Unmenge Geld für mich - und es war aus weißem Plastik mit einem gerasterten Tuningrad hinter einer im Deckel eingelassenen Lupe, auf der man die vergrößerten Frequenzzahlen der Sender ablesen konnte. An einer hübsch geflochteten Schnur hielt man das kleine Gerät in der Hand und ich konnte so schön damit angeben, wenn ich draußen herumlief. Das war modern und es schmückte mich vor meinen Freunden. Zusätzlich besaß es noch einen Ohrhöhrer, mit dem ich abends unter meiner Bettdecke, verborgen vor meinen Brüdern, die Sender durchforsten konnte. Am liebsten hörte ich die Kurzwelle. Da kamen fremde Sprachen und neue Klänge aus aller Welt herein. Dabei entdeckte ich, dass ich viel Spaß hatte an Musik unterschiedlichster Art. Im abgelegensten Winkel des großen Gartens meiner Oma hatte ich mir hinter den Stachelbeersträuchern eine Geheimecke ausgesucht, in der ich mich sonntagnachmittags stundenlang aufhielt und am Pegelrad drehte, immer auf der Suche nach einem fremden Klang. Menschliche Stimmen hatten es mir besonders angetan. Die hatten was zu melden, selbst wenn ich es inhaltlich oft nicht verstand.

      Einmal war ich erkältet und musste mit hohem Fieber im Bett bleiben, während mein Zwillingsbruder ohne mich zur Schule ging. Im Kinderzimmer hörte ich in unserem großen Radio Marke Saba in der Fieberhitze Aram Khatchaturians ›Säbeltanz‹ aus dem Monolautsprecher. In meiner blühenden Fantasie sah ich die Derwische auf ihren Pferden durch die Puszta wirbeln und mit den Säbeln rasseln. Die Komposition hatte etwas gerührt in mir, das meiner Seele nah war. Was ich spürte, wollte ich immer wieder spüren. Eine Schallplatte musste auf mein heftiges Drängen hin besorgt werden, und von da an nervte ich meine Geschwister mit dem ständigen Abspielen des ungestüm dramatischen Epos auf unserem Phillips-Plattenkoffer, den mein älterer Bruder im Kinderzimmer zum Hören seiner Schlagerplatten benutzte.

      Khatchaturians Komposition gefiel mir viel besser als der nachgeäffte Rock‘n‘Roll des Schlagersängers Peter Kraus, den mein Bruder gerne hörte. Gregor hatte schon früh ein Telefunken-Tonbandgerät. Mit diesem TK 17 haben wir bald unsere eigenen Hörspiele inszeniert und mit Geräuschen ausgeschmückt. Alles was sich mit dem Mikrofon aufnehmen ließ, sammelten wir ein, und wir erzählten selbst erfundene Geschichten mit verstellter Stimme. Mein Interesse an Klängen wuchs ständig. Ich wollte bald ein Instrument spielen. Eine Trompete sollte es anfangs sein, weil die so laut war. Dann wollte ich ein Klavier haben, später wiederum eine Gitarre. Aber bei meinen konservativen Eltern fand ich zunächst kein Gehör für derlei Zeitvertreib. Außerdem verdiente mein Vater damals nicht so viel Geld, als dass er mir meine ständig wechselnden Instrumentenwünsche ohne Weiteres hätte erfüllen können.

      3

      VOM BEATNIK ZUM MOD

      Düsseldorf, April 1958 +++ Meine Familie zog vom Deutschen Eck in der grünen Rheinlandpfalz in die gläserne Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen, und als ich vier Jahre später getrennt vom Zwillingsbruder auf einer der Realschulen Düsseldorfs war, unterstützte unsere blonde Englischlehrerin die Musizierlust ihrer Jungs mit Begeisterung und Weitsicht. Wir mochten die attraktive Menzen, die uns pubertierenden Bengels so gern ihre scharfe Figur präsentierte. Dazu setzte sie sich beim Abfragen der Vokabeln vor der ganzen Klasse auf das Lehrerpult und schlug ihre wohlgeformten Beine übereinander. Ihr enger Kostümrock rutschte dabei oft gefährlich hoch und ich nahm das reibende Geräusch ihrer Nylonstrümpfe wahr, das mir eine wohltuende Gänsehaut bereitete. Durch den erotischen Einfluss unserer hübschen Lehrerin waren wir alle sehr gut in Englisch, denn wir liebten ihren ungezwungenen Unterricht. Die Menzen gewann uns dafür, eine Band zu gründen, um die Lieder zu begleiten, die wir in ihren Stunden manchmal zusammen sangen. Korrekte englische Aussprache sollte dabei geübt werden. Gospels wie, ›Swing Low, Sweet Chariot‹ oder ›My Bonny Is Over The Ocean‹ waren beliebte Übungen. Mein Banknachbar Rüdiger spielte dabei eine Klampfe, unser Klassensprecher Hans-Peter rasselte mit Vaters Rumbakugeln, der hübsche Jürgen spielte Banjo und ich meine Mundharmonika, der wir hinten ein Mikrofon angeklebt hatten und sie damit über den Plattenspielereingang unseres Radios verstärkten. Wir hatten unsere erste Combo gegründet - die Bellows. Im Radio spielte gleichzeitig der erste Beatlessong ›Love me Do‹.

      Und noch etwas Aufregendes geschah 1962: An einem milden Märzabend hörte ich zum ersten Mal den sensationellen neuen Stereoton. Es war die revolutionäre Erfindung genialer Toningenieure, welche das zukunftsweisende Medium in jenem Jahr auf der Berliner Funkmesse der Welt präsentierten. Gregor, mein älterer Bruder, war durch seine Messdienertätigkeit in unserer St. Rochus Pfarrei mit dem jugendnahen Pfarrer befreundet, und dieser hatte bald den ersten Stereo-Kofferplattenspieler von Dual gekauft, auf dem er uns Jungs im Versammlungszimmer des Pfarrhauses die ›Nussknackersuite‹ von Peter Iljitsch Tschaikowsky und Bedrich Smetanas ›Die Moldau‹ vorspielte. Mann, war das ein ergreifendes Erlebnis! Kann sich heute kaum noch einer vorstellen, wie wir früher immer Mono gehört haben. Und nun konnte man im Panorama zwischen zwei in reichlich Entfernung von einander aufgestellten Lautsprecherboxen richtig orten, wo die einzelnen Instrumente im Orchester platziert waren. Die musikalisch-technische Demonstration war ein Hochgenuss für uns Jugendliche und sie beeindruckte mich so nachhaltig, dass ich den Erfindern auf meinem Time Pie-Album sogar einen Song widmete - ›Stereomatic‹.

      Meine Eltern hatten in Düsseldorf-Lohhausen einen Schrebergarten. Einmal kam ich auf dem Weg von dem Gelände am Vereinshaus der Gartenanlage vorbei, da probte dort, gut sichtbar hinter einer großen Glasscheibe, eine elektrisierende Gitarrenband. Es waren schon erwachsene Musiker, die professionelle Klangverstärker und ein komplettes Schlagzeug hatten. Songs von den Spotniks wurden gespielt und von anderen damals aktuellen Gitarrenbands. Das klang so perfekt, so knackig elektrisch, und der Gitarrist spielte sein Instrument mit einem tollen Echoeffekt im Stereo-Panorama. Völlig fertig machte mich das, wie eingeübt und modern die klangen.

      Als ich im Keller unserer Schule den Proberaum einer Skiffle-Band mit einem Schlagzeug entdeckte, war es endgültig um mich geschehen. Die Trommeln hatten solch einen tollen Knall, dass ich augenblicklich Schlagzeuger werden wollte. Es dauerte aber noch eine Weile, bis mein strenger Vater meinem Zwillingsbruder und mir erlaubte, während der Schulferien in der gegenüberliegenden Altbierbrauerei Dietrich zu arbeiten, um ein wenig Geld zu verdienen. Als Sechzehnjähriger konnte ich so 1963 mein erstes kleines Schlagzeug kaufen und mit Freunden aus meiner Schule die Beathovens gründen – Rüdiger Kornblum/Rhythmusgitarre, Detlev Henschek/Sologitarre, Heinz Peitzker/Bass und ich selbst am Schlagzeug. So gut es ging, kopierten wir die Beatles und andere Gruppen aus England, die wir zu jener Zeit ständig im Radio hörten. Wir machten es zum samstäglichen Ritual, uns bei Rüdiger zu Hause zu treffen und nachmittags um vier Uhr die britische Top-Twenty-Hitparade bei 1604 Megaherz auf dem Mittelwellenband von Radio Luxemburg, unserem absoluten Lieblingssender, zu analysieren.

      Im November 1965 ging ich jedoch einmal fremd. An einem trostlosen Samstagnachmittag hörte ich gelangweilt mit mir selbst, bei uns zu Hause ausgerechnet im englischen Besatzersender BFBS im Wohnzimmer unserer selten freien Wohnung einen Song der topneuen Gruppe The Who, während ich mir voller achtzehnjähriger Leibeslust genüsslich einen runterrieb, um dem grauen Tag noch etwas fröhliches abzuringen. Da stotterte doch tatsächlich einer seinen Text im Radio und versuchte sich immer wieder an den Worten ›my ge-ge-ge-generation‹. Aufgewühlt von der Fremdartigkeit des Songs und stöhnend vor Lust, spritzte ich im wertvollsten Zimmer meiner Eltern mit befreiender Wohltat mein Sperma bogenweise über das edle Rokkokosofa, auf dem ich mit heruntergelassener Hose saß, nicht ahnend, dass der Song die bedeutendste Teenagerhymne aller Zeiten werden würde. Nicht zu fassen war für mich, dass man jetzt auch schon Stotterer in die Plattenstudios ließ und ihre Sprachübungen in den Äther sendete. Die revolutionäre Band war vollkommen neu für mich und warf alles über den Haufen, was ich bis dahin für gute Popmusik gehalten hatte. Wir waren doch sehr geprägt vom Schöngesang der Beatles mit ihren frühen Simpeltexten. Hier aber brüllte eine Gruppe ihren ganzen jugendlichen Zorn und ihre Frustration auf die Bürgerlichen heraus, die so gar kein Verständnis für spermaverklebte