Ich war ein Roboter. Wolfgang Flür

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Название Ich war ein Roboter
Автор произведения Wolfgang Flür
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870363



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verstehen, die diese Tortur mögen, ja, suchen. Ganz abgesehen von den heißen Abgasen, die Jets in die Atmosphäre pusten. Da lobe ich mir doch das Zugfahren. Man kann umherschlendern und im Restaurantwagen gediegen speisen; man sitzt gemütlich in behäbigen Sesseln, während sich draußen grüne Landschaften, moderne Städte, romantische Dörfer und glitzernde Industrieanlagen abwechseln. Da kann man doch was sehen und erleben! Die Reise dauert zwar länger, aber genau das hatte ich schon immer gemocht – wenn etwas länger dauert. Ich hatte es nie wirklich eilig in meinem Leben. Träumen und Trödeln waren ja schon als Kind meine Lieblingsbeschäftigungen.

      Wir landeten jedenfalls heil in Berlin-Tempelhof, und ich war froh, wieder mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen. Von der Größe der damals noch von Westdeutschland isolierten Stadt war ich vollkommen überwältigt. Das war doch etwas ganz anderes als unser Düsseldörfchen. Hier bekam ich einen ersten Vorgeschmack, was es heißt, mit Kraftwerk in den Metropolen der Welt unterwegs zu sein.

      Im Fernsehstudio des ZDF ging es sachlich und professionell zu. Unsere paar Sachen waren schnell aufgebaut. Wir waren ganz schöne aufgeregt, jetzt hier vom Sender die Chance zu bekommen, in ihrer Kultursendung aufzutreten. Es war schon eine Ehre, derart gehypt zu werden, weil uns die Redaktion vorausschauendunter Kultur eingereiht hatte anstatt unter Showbiz.

      Wir spielten das Stück ›Tanzmusik‹ live vor den Kameramännern, die total auf mein merkwürdiges Elektroschlagzeug mit all den hinten heraushängenden Kabeln abfuhren. Tatsächlich wirken wir bei diesem Auftritt ziemlich grotesk, wie ich nach all den Jahren auf dem Videomitschnitt der ZDF-Sendung noch einmal nacherleben konnte. Aus heutiger Sicht hat unsere Darbietung etwas Rührendes und Amateurhaftes. Die ganze Show hatte die Wirkung einer Schlaftablette, aber so naiv fing das Ganze halt damals an.

      Das wirklich Spektakuläre an unserem Auftritt aber war meine völlig neue Art zu trommeln. Hier war ich eindeutig der Star, auf dessen abenteuerliches Rhythmusbrett die Kameramänner ihre großen Objektive richteten. Ralfs Minimoog-Synthesizer sah ja noch wie eine herkömmliche Orgel aus und Florians Querflöte hatte auch nichts besonders Aufsehenserregendes. Dass ich damals aber tatsächlich den Nerv hatte, mit solch einer zusammengebastelten Amateurkonstruktion vor die Kameras zu treten, macht mir klar, dass ich schon immer eine ordentliche Portion Verrücktheit in mir hatte. Sie trug dazu bei, dass wir uns danach noch mehr für die elektronische Herstellung und Präsentation unserer Musik begeisterten. Ohne diese ersten kleinen Anfangsschritte hätten wir bestimmt nie die Führungsrolle in der elektronischen Popmusik eingenommen.

      Berlin bot hinterher jede Menge Möglichkeiten, die Nacht zum Tage zu machen. So fuhren wir nach der Sendung auch gar nicht erst in unser Hotel, sondern schlenderten gemütlich durch die Stadt, aßen und tranken im Café Kranzler am Ku'damm und streunten die ganze Nacht durch Kneipen und Discotheken. Wir waren extrem neugierig auf Erlebnisse in der Subkultur. Im Morgengrauen stellte sich dann massive Müdikgeit ein. Ich weiß noch, dass wir völlig ermattet im Morgengrauen mit einem Taxi zum Flughafen zurückfuhren. Es regnete, und es war kalt geworden. Keine aufbauende Kombination für übermüdete Künstler. Als wir wieder im Flugzeug saßen - es war einer der ersten Flüge an diesem Morgen - kam auch der Kapitän hinein. Er hatte noch seinen nassen Regenmantel an und wirkte leicht unwillig wegen der frühen Stunde. Dazu balancierte er neben seiner Aktentasche eine dampfende Tasse mit Kaffee durch den schmalen Gang, bis er im Cockpit verschwand. Sein Erscheinungsbild wirkte nicht gerade beruhigend auf uns. Nur wenige Fluggäste waren an Bord auf dem Rückflug in den Westen, außer ein paar Geschäftsleuten und uns drei völlig übernächtigten Kraftwerkern.

      Überhaupt war das kein guter Tag fürs Fliegen. Als wir nämlich schon einige Zeit Berlin hinter uns gelassen hatten, begann das Flugzeug plötzlich fürchterlich zu rütteln. Durch härteste Windböen machte die Maschine so schrecklich zackige Bewegungen, dass auf einmal mehrere der Deckenverkleidungen mit lautem Krachen in den Gang hinunterfielen und man nun die Hydraulikleitungen und Kabelkanäle bewundern konnte. Es war die vollkommene Härte und ich dachte, es sei jetzt aus mit uns. In den entsetzten Gesichtern anderer Passagiere sah ich ähnliche Empfindungen. Von einer der hinteren Sitzreihen hörte ich einen anderen schockierten Passagier rufen: »Immer diese Scheiße mit British Elend!« Diesen Spruch kannte ich schon, allerdings gemünzt auf eine englische Automarke, deren Modelle ebenfalls öfter einmal etwas verloren. Später flogen wir dann noch einmal mit dieser Linie, von Bombay nach Düsseldorf. Da war die Situation auch sehr speziell, aber dabei ging zum Glück alles gut. Doch davon später...

      Als wir am Vormittag wieder zu Hause angekommen waren, fiel ich todmüde in mein Bett. Ich war völlig fertig, aber glücklich und stolz. Etwas hatte ›klick‹ in mir gemacht und ich wußte instinktiv: Der Sache mit Kraftwerk gehört die Zukunft, der schweißtreibende Trommler der englischhörigen Beat-Epoche gehörte der Vergangenheit an. Die Kameramänner vom ZDF hatten mir meine Restzweifel an meiner neuen Art, Schlagzeug zu spielen, genommen. Ab da liebte ich das ›elektrische Bügelbrett‹, wie wir das Ding später oft ironisch nannten.

ZDF Aspekte

      8

      HERR RÖDER UND DER FALSCHE KOPF

      Düsseldorf, 22. März 1974 +++ Bei Gigs in der Umgebung und beim Fersehauftritt in Berlin war uns klar geworden, dass wir zu dritt ein bisschen zu wenig ›Personal‹ waren, um auf der Bühne ordentlich Sound machen zu können. Also sollte ein weiteres Mitglied die Besetzung bereichern. Und schon wenige Tage später stand ein neuer Mann im Studio. Weiß der Teufel, wo Florian immer solch interessante Leute herzauberte. Nun sollten wir uns kennenlernen und miteinander musizieren. Mir fiel das zunächst gar nicht so leicht, da ich schon Schwierigkeiten mit seinem Äußeren hatte. Sein Name war Klaus Röder, und er kam aus der Nähe von Düsseldorf. Klaus wirkte auf mich wie ein echter Hippie, ganz im Gegensatz zu mir, der ich mich ja einst nur mit der Mode der Blumenkinder geschmückt hatte. Er hatte diesen vergeistigten Blick, war immer etwas euphorisch, immer postiv denkend. Er trug die Haare bis auf den Hintern und lief bei jedem Wetter mit offenen Sandalen und nackten Füßen herum, spielte sehr gut Gitarre und eine Geige, die er sich selbst gebaut hatte. Das Instrument, das er mitbrachte, sah aus wie ein hellgrauer Knochen, und es wurde elektrisch verstärkt. Diese ›Geige‹ hatte es Florian angetan und war wohl auch der Grund, weshalb er den Musiker gleich eingeladen hatte. Jedenfalls war Klaus Röder ein ganz besonderer Mensch, der sich als absolut liebenswürdig erwies. Er spielte für einige Aufnahmen auf Autobahn, und er wurde auch mit auf unseren ersten Autogrammkarten mit abgelichtet.

      Die Abbildungen für die Rückseite dieses Autobahn-Covers hatten eine ganz besondere Geschichte: Ralf und Florian hatten geplant, dass die ganze Band auf dem Rücksitz des Mercedes sitzen sollte, der auf der Vorderseite der Plattenhülle über die Autobahn fährt. Dort sieht man auf einer frühen Auflage unsere Gesichter im Rückspiegel über dem Armaturenbrett. Da man sich noch nicht sicher sein konnte, ob ich nun wirklich bei der Gruppe blieb, gaben Ralf und Florian dem Emil zunächst die Chance, für alle sichtbar als Künstler bei Kraftwerk selbst mit im Wagen zu sitzen und somit gleichberechtigt auf der Platte abgebildet zu werden. Dies hatte Emil sicher gut gefallen. Als jedoch klar war, dass ich fest dabei bleiben würde, wurde er kurzerhand beauftragt, seinen eigenen Kopf aus dem fertigen Rücksitzfoto wieder herauszuschneiden und die Ablichtung meines Kopfes auf seinen Körper zu kleben. Es musste eine Montage sein, da für ein neues Foto keine Zeit blieb. Diese Änderung muss für unseren Maler äußerst schmerzlich gewesen sein, doch er hatte keinen Einfluss auf solche Entscheidungen.

      Wenn wir die Abende im Studio verbrachten und Ralf und Florian an den Stücken für das Album bastelten, war Emil auch manchmal dabei und hörte zu, um seine Meinung zu den Songs zu sagen. Außerdem hatte er ja auch nicht wenig daran mitgetextet. Bei ›Autobahn‹ wurde per Minimoog ewig an den Motorensounds und Windgeräuschen geschraubt, die nachher ziemlich echt klangen. Sie wurden mit dem ›Mobile Equipment‹ von Klangmeister Conny Plank eingespielt und mit Mehrspurtechnik im sogenannten Multitrackingverfahren aufgenommen. Später hat Plank dann alles in seinem gerade fertiggestellten Tonstudio in einem alten Bauernhof bei Neunkirchen/Westerwald zu fertigen Songs gemixt. Ich merkte aber auch, dass Ralf und Florian mit Klaus Röder gar nicht so gut zurechtkamen, wie sie sich erhofft hatten. Er kam auch oft gar nicht zu unseren Verabredungen und wurde kurzerhand wieder ausgeladen.