Название | Ich war ein Roboter |
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Автор произведения | Wolfgang Flür |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870363 |
Eine schwarze ›Adler‹ entdeckte ich auch bei ihr, eine riesige Schreibmaschine. Es machte mir den größten Spaß, auf der Tastatur herumzuhacken und beim Zeilenumbruch auf den erlösenden Klingelton zu warten. Toll sahen die Wortbildungen hinterher auf dem Papier aus, einfach grotesk. Es war aber mehr der Klang und der Rhythmus der metallenen Typen, die mich beim Schreiben belebten. Takt geben und Zeichen setzen war meine Sache geworden, ohne dass ich damals auch nur ahnen konnte, wie ich später, viel später, jahrelang auf die Tasten hauen würde, um meine eigenen Geschichten aufzuschreiben oder diesen Bericht.
Uroma liebte ich am allermeisten. Sie hatte immer tolle Geschichten für uns parat, gruselige und schöne. Im Sommer durfte ich manchmal bei der gebildeten Frau Ferien machen. Sie hatte ein Häuschen in Filsen, einem katholischen Flecken direkt am Rhein, gegenüber von Boppard. Dort am Hang der rheinland-pfälzischen Weinberge lag der Ort, ärmlich gewachsen um die schlanke Dorfkirche herum, eingezwängt zwischen der alten Rheinuferstraße und den Gleisen der Bundesbahn, die damals noch mit fauchenden Dampfloks fuhr. Wie von einem Messer geschnitten, klaffte die Trasse mitten durch den schmalen Ort. Einen einzigen Bahnübergang gab es, und wenn der Stellwärter aus seinem Häuschen herauskam und seine Uniformmütze aufsetzte, um mit einem Klingeln die Barrieren per Handarbeit herunterzukurbeln, dann lief für einige Zeit erst einmal nichts mehr. Filsen war in zwei Teile zerschnitten.
Mit dem Küster der Kirche war die fromme Uroma lange befreundet, und sie schickte mich stets abends um sechs Uhr zu ihm in sein Gotteshaus, um die Glocke zu läuten. Das war vielleicht ein Spaß. Am dicken, geknoteten Seil zog ich mit meinen dünnen Ärmchen so lange und rhythmisch, bis ich mich an ihm festhalten und durch den Schwung der schweren, gusseisernen Form hinaufziehen lassen konnte. Ich wog ja nichts, und die Glocke hatte gar keine Last mit mir. Es ging bestimmt zwei Meter hoch. Schon damals wurde ich vom Küster für meinen ordentlichen Rhythmus gelobt: »Junge, du machst das ja besser als ich selbst.«
Nach meinem klangerzeugenden Kraftakt musste ich in einem Stall, der direkt an die Kirche angebaut war, die Ziege des Küsters melken. Stolz lief ich dann, die dampfend warme Milch in einer randvoll gefüllten Porzellantasse balancierend, die staubigen Gassen hinab zum Haus der Urgroßmutter. Oft kam ich aber nur mit der Hälfte des Tasseninhalts an. »Mein Elixier für‘s Altwerden«, klärte mich die Kluge verschmitzt auf.
Und wenn es Abend wurde, dann setzte sie sich oft noch mit mir auf das niedrige Mäuerchen der alten Bundesstraße, auf der damals kaum Autos fuhren, höchstens hundert Meter vom Haus entfernt, und wir schauten lange auf die behäbig vorbeituckernden Passagierschiffe der weißen ›Köln-Düsseldorfer Raddampfer‹ und tief im Wasser schnaufenden Schlepper, die an langen Stahltrossen mit Gütern beladene Lastkähne hinter sich herzogen. Je näher sie an uns vorbeifuhren, um so größer war unsere Freude über ihre Wellen, die bedrohlich klatschend unser Ufer überschwemmten. Wie konnte sie sich mit mir freuen, die großherzige Oma, und wie liebte ich diese innigen Tage in Filsen, wo ich die Gute einmal ganz für mich alleine hatte. Nie hätte ich sie hergeben wollen, doch Jahre später wurde die alte Dame noch mit 88 Jahren auf derselben Straße beim Überqueren von einem Auto angefahren und brach sich beide Beine. Wir dachten alle, sie käme nicht mehr aus dem Hospital, jedoch - es war nicht zu fassen - nach einigen Wochen humpelte die Tapfere wieder an einem Spazierstock aus dem Krankenhaus und fuhr geheilt nach Hause. Sie war einfach nicht klein zu kriegen und wurde wegen ihrer robusten Natur 96 Jahre alt. Solch ein geniales Alter, verbunden mit ihrem wachen Geist, würde ich mir selbst wünschen. Uroma Katharina war eben ein echtes Vorbild an Lebenslust und Stärke.
Koblenz, 1955 +++ Die Familie war inzwischen vom hessischen Frankfurt nach Koblenz gezogen, der Stadt am Deutsche Eck, spitz eingezwängt zwischen Mosel und Rhein, umrahmt vom Karthäuser Bergrücken und der gegenüber liegenden Festung Ehrenbreitstein. Das berühmte Denkmal auf dem nördlichsten Zipfel der Stadt, wo sich die beiden europäischen Flüsse treffen, hatte damals noch nicht wieder seine im zweiten Weltkrieg zerstörte Kaiser-Wilhelm-Reiterstatue in Bronce zurückerhalten. Das Bauwerk war noch bis 1993 nur ein steinerner Sockel, und der sah wie ein Zahnstumpf aus, dem oben was fehlte.
In Koblenz hatte mein Vater eine bessere berufliche Stellung als Augenoptiker angenommen. Hier hatte mir meine Patentante einmal eine Hohner Mundharmonika mitgebracht, die mein ständiger Begleiter wurde. Das Instrumentchen hatte mich regelrecht mit Musik infiziert. Es zu spielen war schnell gelernt, und da es klein war, konnte ich es immer in meiner Hosentasche bei mir tragen. Auf sonntäglichen Spaziergängen, die unsere Eltern oft mit uns durch die Rheinwiesen nach Braubach und Schloß Stolzenfels machten, habe ich gern kleine Melodien gespielt, die oft von einer leidenschaftlichen Melancholie geprägt waren. Meinem Zwillingsbruder gefielen sie anscheinend besonders gut, denn er prophezeite mir schon im Alter von acht Jahren: »Du wirst bestimmt einmal weltberühmt, Wolfgang.« Da konnte ich mir überhaupt nichts drunter vorstellen, was das ist - berühmt sein.
Größten Spaß hatten wir Jungs auch, wenn wir nach dem Zubettgehen noch im Radio spannenden Hörspielen lauschen durften. Das Licht war in unserem Zimmer bereits gelöscht; nur die magisch grüne Glasscheibe mit den Radiosendern und dem Pegelanzeiger des Empfängers beleuchtete schwach die Kommode, auf der er stand. Die Dunkelheit ließ unsere Vorstellungskraft aufblühen, während wir den Stimmen der Darsteller und den Geschichten lauschten. Heute weiß ich, dass das besser war als jedes Fernsehen, weil wir uns die Figuren, die Landschaften und Geschehnisse allesamt in unseren Köpfen selbst ausmalen mussten.
Dämmerlicht und zarteste Geräusche liebte ich besonders beim samstäglichen Beichtgang in unserer katholischen St.-Joseph-Kirche. Dem neugierigen Kaplan im intimen Beichtstuhl meine Sünden der Woche zu verraten, war hingegen für mich immer äußerst beschämend. Aus Wut log ich ihm deshalb oft schlüpfrigste Verfehlungen gegen den christlichen Katechismus vor, so dass ihm hinter dem aus Holz geschnitzten Gesichtsgitter die Schweißperlen auf die Stirn traten. Wir hatten die perfekte Symbiose. Er wollte ausführlichst ›diese Schmiersachen‹ gebeichtet bekommen, ich dagegen wollte eine lange Bestrafung erreichen. Zehn ›Vaterunser‹ und noch einmal zehn ›Gegrüßet seist Du, Maria‹ waren das Mindeste, was ich als Buße suchte. Dann flitzte ich zufrieden aus dem Beichtstuhl und suchte mir auf der Frauenseite eine Alte, die sich dort zum Gebet niedergelassen hatte. Ich kniete mich ganz nah neben sie in die Bank und faltete meine Händchen, kaum fähig über die Kirchenbank zu reichen. Ich schloß meine Augen und konzentrierte mich ganz auf das Geräusch ihrer flüsternden Lippen. Die Frauen beteten ganz leise ihren Rosenkranz, der aus Glasperlen aufgefädelt war. Das leise Klickern der Perlen und ihr Flüstern war es, was ich suchte. Im spätnachmittäglichen Halbdunkel der Kirchengewölbe und im Anblick des rubinroten ewigen Lichts auf dem Hochaltar und berauschender Farben der buntgläsernen Kirchenfenster hatte ich es einmal erlebt, wie eine Frau, nachdem sie ihren Mittelfinger zärtlich an der Zungenspitze beleckt hatte, so sanft das Seidenpapier ihres kleinen, goldumrandeten Gebetbuches umblätterte, dass mir das zarte Knistern der hauchdünnen Seiten eine genüßliche Gänsehaut und einen steifen Penis bereitete. Ich suchte mir immer wieder diese lustvolle Gelegenheit aus Klickern, Knistern und leisem Geflüster. Wohlige Schauer liefen mir jedesmal den jungen Rücken herunter, und ich konnte nicht genug davon bekommen. So war ich immer froh, wenn ich lange Buße tun durfte, konnte ich mich doch immer wieder dieser sündigen Lust aus zartem Hören hingeben und vor allem länger draußen bleiben.
Mit zehn entdeckte ich die weite Welt des Transistors. Mein großer Bruder hatte von der Schule ein paar Teile mitgebracht, einen Kristalldetektor, eine Diode, eine kleine Spule und ein Potenziometer, mit denen man ein funktionierendes Radio zusammenlöten konnte. Über eine simple Antenne war das Gedrähte tatsächlich fähig, Radiowellen aus dem Äther einzufangen, die man dann per Kopfhörer in die Lauscher schicken konnte. Ich glaube, wir bekamen nur Mittel- oder Langwelle herein, und die kratzte und rauschte ganz schön. Aber mit Geduld und Fingerspitzengefühl am Poti gedreht, konnte man durchaus etwas Hörbares erreichen. Das war höchst spannend. Mit solch wenigen Teilen ein eigenes kleines Radio zu bauen und richtig Töne zu hören, die von irgendwoher weit draußen kamen, das haute mich echt um, das brachte meine Fantasie zum blühen. Ich wollte