Ich war ein Roboter. Wolfgang Flür

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Название Ich war ein Roboter
Автор произведения Wolfgang Flür
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783862870363



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›Teenage-Fair‹, einer Jugendveranstaltung der Düsseldorfer Messe, neben englischen Stars wie Steve Marriot, Eric Burdon, den Small Faces und Humble Pie mit Peter Frampton. Der berühmte deutsche Filmregisseur Kurt Hoffmann entdeckte uns dort auf dem Gelände und verpflichtete uns zur Mitwirkung bei seinem wohl unnötigsten und erfolglosesten Film, Ein Tag ist schöner als der andere, mit der Schauspielerin Vivi Bach.

      Trommeln war mein ganzes Leben geworden, und ich verprügelte mein Schlagzeug nun ebenso schlimm wie Keith Moon von den Who. Je wütender ich war, desto besser spielte ich Schlagzeug, und bei Liebeskummer, den ich in jenem Alter nur all zu oft hatte, schlug ich meine ganze Traurigkeit in die teuren Felle. Oft ging ich nach nächtelangen Sessions in viel zu engen Clubs und nach viel zu vielen Zigaretten klatschnass durchschwitzt und mit blutenden Händen nach Hause. Ich war so dünn damals, hatte kaum Substanz und nahm regelmäßig in solchen Nächten noch Kilos ab. Es war eine extrem ungesunde, aber kameradschaftliche Zeit, die ich danach nicht mehr so haben sollte. Meine Musikerfreunde ersetzten mir die Familie, von der ich mich zunehmend unverstanden fühlte und immer mehr absonderte. Meinen Eigensinn konnte man dort nicht als etwas Wertvolles und Förderungswürdiges erkennen. Ich entwickelte mich zum Rebellen und setzte gnadenlos und oft jähzornig meine Ziele durch, sehr zum Leidwesen meiner Eltern, die mich Quergeist immer weniger erziehen konnten. Ich war anstrengend und unbequem geworden, lehnte einfach alles ab, was mit ihren Werten und ihren bürgerlichen Bindungen zu tun hatte. Ich wollte nicht ihre Zeiten einhalten, konnte schon gar nicht ihre übertriebene Ordnung nachvollziehen, musste unbedingt alles anders machen und ständig provozieren. Ein Beatnik war ich mit all meiner jugendlichen Kraft, und ich wollte das auch zeigen. Also lief ich mit schwarzem Rollkragenpullover, schwarzer Slop-Hose und dunkler Sonnenbrille herum, obendrein mit immer länger werdenden Haaren. So gefiel ich mir. So fühlte mich verbunden mit den Musikern der englischen Pop-Szene. So gefiel ich aber gar nicht mehr meiner Mutter, die in der Öffentlichkeit immer mehr Abstand zu mir hielt, weil ich ihr einfach zu peinlich geworden war.

      Mit 21 Jahren ging es nicht mehr weiter mit unserem Zusammenleben in der eng gewordenen Brüderbude. Noch immer hatten wir nur ein einziges Zimmer für uns und natürlich keinerlei Privatsphäre. Die einstmals geliebte Gemeinschaft erdrückte mich und ich beschloss, auszuziehen. An einem Sonntag im Frühjahr 1968 um sechs Uhr morgens hatte ich mich mit meinen Freunden verabredet. Sie warteten pünktlich unten auf der Straße mit unserem VW-Bully, während ich mich leise anzog und meine wenigen Habseligkeiten zusammenpackte. Meine beiden Brüder schliefen noch und ich versuchte, niemand zu wecken. In der Diele kam mir allerdings meine Mutter im Morgenmantel entgegen und erkundigte sich aufgeregt flüsternd, wo ich so früh am Sonntag hinwolle. Sie hatte ein mütterliches Gespür für die Situation und ahnte eine schmerzliche Veränderung für die Familie. Als ich ihr sagte, dass ich gehen würde, fing sie an zu weinen und wollte mich daran hindern, die Wohnungstür zu öffnen. Es wurde laut zwischen uns. Meine Brüder waren aufgewacht und verstanden nicht so recht, was los war. Mein Vater blieb bequem in seinem Bett. Und stumm. Er wollte von meinem Fortgang nichts wissen. Er nahm mich sowieso nicht wahr. Zuletzt hatte ich ihm nur noch Zettelchen hingelegt, wenn ich ihm etwas mitzuteilen hatte. Mit Tränen in den Augen schob ich meine geliebte Mutter hart beiseite und tat, was ich tun musste - meinen eigenen Weg gehen.

      In einem kleinen Appartement, das ich heimlich mit finanzieller Unterstützung einer Bankiersfrau, der Mutter eines meiner Bandfreunde der Spirits, an der Heinrichstraße angemietet und mir spärlich eingerichtet hatte, gingen das Leben und seine Schwierigkeiten erst einmal richtig los. Aber ich war endlich für mich. Ich war stolz darauf, obwohl oft unglücklich, weil ich mich von meiner Familie so unverstanden fühlte und weil ich mich gezwungen sah, meiner Mutter solches Leid anzutun. Doch ich hatte meine Band und Brigitte, meine erste große Liebe, sowie deren Familie, die mich liebevoll behandelten wie ihren eigenen Sohn.

      Danach begann ich alsbald ›Ersatzdienst‹ zu leisten, wie das damals hieß. Im medizinischen Labor einer mitten im Wald gelegenen Diabetesklinik lernte ich menschliche Blut- und Urinproben chemisch zu analysieren. Dieser Dienst gefiel mir gut, denn ich wurde gefördert, was das Zeug hielt. Leberwertfeststellung mittels Elektrophorese und Blutzuckerprüfungen am ›Eppendorf‹ wurden weitere Arbeitsfelder. Ich hätte mir damals durchaus vorstellen können, mich für die klinische Labordiagnostik ausbilden zu lassen und MTA zu werden, denn in die Laborchefin war ich vollkommen verknallt. Leider war sie verheiratet, obwohl ich mir sicher bin, dass auch sie mich wollte.

      Militärdienst, gleich welcher Art, wäre nie für mich in Frage gekommen, da ich mich als hundertprozentiger Humanist fühlte. Einfach war das damals nicht, den Kriegsdienst zu verweigern, obwohl die Möglichkeit dazu schon im Grundgesetz verankert war. Eine langwierige und entwürdigende Prozedur mit einem strengen richterlichen Prüfungsverfahren war Voraussetzung dazu. Als ich schließlich den Prozess gewonnen hatte, hatte ich auch meinen ersten Kampf für mein Gewissen und gegen Vater und die Allmacht eines ungeliebten Staates bestanden, der mich durch seine ungeheuerliche Geschichte selbst zu einer Art Kriegsgeschädigten gemacht hatte. Für meine Gesinnung wäre ich im Falle einer Ablehnung auch ins Gefängnis gegangen, das hatte ich mir vorher schon ausgemalt und fest eingeplant.

      Nach dem Ersatzdienst begann ich 1971 ein Studium der Innenarchitektur an der Werkkunstschule und machte außerdem ein Praktikum in Ladenbau bei einem Architekten, der in der Zeitung nach einem jungen Mann gesucht hatte, der das Fach von der Pike auf erlernen wollte. Es war genau das richtige für mich, da ich dabei auch etwas Geld verdienen konnte für die Miete meiner Bude.

      Ich muss allerdings gestehen, dass mir das Studium gar keinen richtigen Spaß machte. Es war ja doch mehr die Idee meiner Eltern gewesen, dass aus ihrem Wolfgang mal ein guter Architekt wird. Nach vier Semestern schmiss ich genervt das Studium hin und konzentrierte mich ganz auf das Praktikum und meine Band - die Spirits of Sound. Uwe Fritsch, Ralf Ermisch, Michael Rother und unser Menthor Rolf Kauffeld besuchten mich oft in meinem Appartement an der Heinrichstraße, im selben Haus, wo auch die Mutter von Monika Dannemann wohnte, der deutschen Freundin von Jimi Hendrix, den wir vollkommen verehrten. Wir hatten den Psychedelic-Rock für uns entdeckt, rauchten Kif und hörten bei Kerzenschein Platten von King Crimson, Santana, Jefferson Airplane, den Byrds oder Emerson, Lake & Palmer, die schon ansatzweise einen Synthesizer verwendeten, von dem ich damals noch gar nicht wusste, was das ist. Meine eigene Gruppe bekam jedoch bald einen vernichtenden Schock durch die harte Abwerbung unseres geliebten Gitarristen Michael Rother. Die Kraftwerker hatten sich angemeldet.

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      KLANGWERK AUF DEM MARS?

      KLINGKRAFT GESCHMOLZEN?

      Düsseldorf, 15. Februar 1999 +++ Ich sitze mit zwei visionären Kraftwerk-Freunden zusammen, und sie erzählen mir, dass sie einem etwaig neuen Kraftwerk-Album eher mit Skepsis entgegensähen. Martin und Markus aus Düsseldorf nehmen an, dass es eine große Enttäuschung werden könnte. Nachdem die Fans aus aller Welt nun seit über zwölf Jahren auf einen neuen Ton warteten, sei dies nicht mehr so lustig, und die allgemeine Erwartungshaltung wäre derart hochgeschaukelt, dass wohl kaum eine musikalische Befriedigung erreicht werden könne. Die Herren Ralf und Florian seien ja mittlerweile auch im betagten Alter, und da würde man bekanntlich behäbig und sei nicht mehr so neugierig. Neugierde sei aber fürs Forschen von substantieller Wichtigkeit. Die Kraftwerker waren für die beiden Helden, Wissenschaftler, Erfinder und Erforscher von präzisem Klang und romantischer Poesie. Die Kraftwerker waren für sie Raumfahrer, die sie durch den Dunst des Lebens in eine klang-klingende Galaxis flogen, um sie dort sich selbst zu überlassen. »Am besten wäre jetzt ein mythisches Verschwinden der Gruppe«, meinen die beiden. Martin stellt sich vor, wie die NASA Kraftwerk dazu einlädt, mit dem nächsten Shuttle auf den Mars zu fliegen und dort das erste intergalaktische Konzert zu geben. »Auf dem Weg ins All«, spinnt Markus den Faden fort, »gerät die Raumsonde in den Teilchenstrom einer Aurora Borealis, und die Verbindung zum Schiff reißt ab. Sind sie nun auf dem fernen Planeten gelandet, oder wurde Kraftwerk mit dem neuen, niemals gehörten Ton von der verschleierten Sphinx des eiskalten Nordlichts ins dunkle All gesogen?« So könnte der Mythos ihrer geliebten Gruppe am besten eingefroren