Splitter im Sand. Birgit Biehl

Читать онлайн.
Название Splitter im Sand
Автор произведения Birgit Biehl
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783898968300



Скачать книгу

Wo wir anhalten, wird schnell ein Schaf geschlachtet, gehäutet, zerteilt, die Gedärme auf die Straße geworfen, wo durchfahrende Fahrzeuge sie zermatschen, Knochen und Felle liegen überall herum, alle stehen oder sitzen im blutigen Sand, es stinkt unerträglich. Das Fleisch ist nicht abgehangen, nicht gewürzt, wird auf Holzkohle sofort gegrillt, ich weigere mich standhaft zu essen, schiebe Krankheit vor. Die Dorfbewohner reden mich mit ›monsieur‹ an.

      Spät in der Nacht erreichen wir Kiffa, ganz schnell zerstreuen sich die Mitreisenden in ihre Häuser, auf der Suche nach einer Bleibe treffe ich auf ein winziges Restaurant mit einem Tisch und einem Stuhl, und so lande ich auf einer Matratze im Hinterhof bei den Schafen und Ziegen in einer Art offenem Abstellraum. Davor liegt auf dem Boden ein großer dicker nackter Schwarzer, der seine Habe auf einer Decke ausgebreitet hat. Im Raum gibt es zahllose Ungeziefer, so lege ich mein Zelt auf die Matratze, stelle alles Gepäck hinein, so dass sich ein kleiner Hohlraum über dem Kopf ergibt, liege nun schwitzend wach, auf jedes Geräusch von draußen lauschend, neben mir stöhnt ein Schaf, der patron hat mir einen Rest von seinem kalten couscous hingestellt.

      Im ersten Morgengrauen jagt er mich davon, da das Vermieten von Räumen verboten ist, noch im Dunkeln versuche ich meine Sachen zu packen, ziehe angewidert dieselben versauten Sachen an, wenigstens die Zähne aus der Hand putzen. In der Nähe gibt es Fahrzeuge für die Weiterfahrt durch eine englische Parklandschaft, gemächlich ziehen Kamele und kleine Rinderherden über saftige Weiden mit Baumgruppen und kleinen Seen. Der Fahrer überfährt einen wilden Hund, dann rennt im Moment, als wir vorbeifahren, ein erschrockenes Kalb in den Wagen, es knallt fürchterlich, der Fahrer ist entsetzt, den ganzen Tag muss er darüber reden, in jedem Dorf erklärt er den Männern, wie das passiert ist. Wieder müssen wir strömende oueds durchwaten, den Wagen ausräumen, schieben, als ich meine Hose über die Knie rolle, schauen alle Männer entsetzt weg, ich schiebe nach Kräften mit, was mir immerhin ihre Anerkennung verschafft. Der Wagen ist voller Wasser, im Kofferraum ächzen die vier Schafe. In jeder Ansiedlung hält der Fahrer an, die Männer halten ein Schwätzchen mit den Bewohnern, machen kleine Geschäfte.

      Aioûn al-Atroûs ist erstaunlich schön mit seinen verputzten Feldsteinhäusern mit Arkadenumläufen für kleine Märkte, mehrere Hilfsorganisationen haben ihre Schilder hinterlassen. Ich finde einen Schneider mit traditionellen Stoffen, als ich meinen Wunsch, die Form eines Männergewandes mit einem oben angesetzten Schleier für Frauen, in den Sand zeichne, brechen alle Männer in Gelächter aus, die Reaktion, die ich schon kenne, wenn ich irgendetwas äußere, was auch nur geringfügig von der maurischen Tradition abweicht. Nach einiger Diskussion ist der Schneider bereit, das Kleid bis zum Abend zu nähen, eigentlich findet er die Variante toll. Vor der Tür warten schon die Jungen und Mädchen auf mich, »monsieur ou madame?« Entgegen dem Augenschein nennen sie mich monsieur, weil es nicht wahr sein kann, dass eine Frau Hosen und einen shesh trägt. Ich erkläre ihnen genau, wie ich reise, wie notwendig für mich diese Kleidung ist, sie nicken, sagen wieder monsieur, undenkbar ist, dass eine Frau so etwas tut, noch dazu allein. Eine Gruppe großer Mädchen kommt dazu, sie zeigen voller Verachtung auf meine Stiefel und die Hose, das sei nichts, gar nichts, sie machen wegwerfende Handbewegungen und spucken vor mir aus. Ich führe ihnen vor, wie ich wandere, klettere, sie verstehen überhaupt nicht.

      An der Strecke nach Néma – hier ist die Straße besser, sicherlich haben die Hilfsorganisationen für Infrastruktur gesorgt – sitzt plötzlich am Straßenrand eine völlig nackte dunkelhäutige Familie, mehrere Mütter mit kleinen Kindern auf dem Arm, die offenbar schwerkrank sind. Wir halten an, können überhaupt nichts tun, fahren weiter. Woher sind sie gekommen, wie weit mögen sie gelaufen sein bis zur rettenden Straße, worauf warten sie, wenn nicht auf den Tod … Meine Mitreisenden sehen mir beim Schreiben zu, wollen es mir nachtun. Die mageren Hirten und Händler in ihrem blauen Gewand freuen sich wie kleine Kinder über die restlichen Filzstifte und malen mit verkrampfter Hand auf Papierfetzen Kringel und Striche. Ich bin froh, dass wir nur kurz in Timbedgha halten, der durchdringende Geruch von frisch geschlachteten Tieren verursacht Übelkeit, weiter, nur weiter Richtung Néma, auffallend viele Raubvögel kreisen in der Luft. An der überspülten Straße müssen wir durch den Fluss mit allem Gepäck, hüfthoch reißt das Wasser, wir müssen den Wagen zurücklassen, nach einiger Zeit kommt ein Buschtaxi aus Richtung Osten.

      In Néma, am Ende der ›Straße der Hoffnung‹, packt mich Entsetzen, alle Wege und Marktstände sind unter Wasser, verlassen, voll aufgeweichten Unrats, es stinkt nach Scheiße, nach Blut, nach verdorbenem Fleisch, dazu ein dunkelgrauer Wolkenhimmel und ein fast schwarzer Gerölluntergrund wie am düsteren Amogjar-Pass. Die wenigen Menschen haben sich in die Unterstände der Häuser verkrochen, die Arme um die Schultern geschlungen, die Augen bei meinem Anblick geweitet. Nirgends gibt es etwas zu essen, die wenigen Geschäfte sind leer, in den Auslagen nur dieses stinkende Hammelfleisch. Einige jüngere Männer rufen mir zu, ich muss ihnen in meiner verdreckten, aber doch hellen Kleidung wie eine Lichtgestalt erscheinen, die sie aus ihrem Elend reißt. Ich will sofort weiter nach Oualâta, höre, der Ort sei völlig abgeschnitten, es würde Tage dauern, dorthin zu kommen, gerade heute morgen habe sich schon ein Wagen aufgemacht, ich müsse erst einmal in Néma bleiben. Der Gedanke ist schrecklich, in dieser Nässe gibt es keine richtige Unterkunft. Ich gebe meinen Plan auf, in drei Stunden geht ein Wagen zurück nach Timbedgha, ich will die Oase erkunden und dann umkehren, für das Tuareg-Gebiet östlich von Néma bekäme ich zur Zeit sowieso keine Genehmigung wegen der dortigen Unruhen. Und so kommt es dann doch noch zu einem hinreißenden Kindernachmittag in Néma und Umgebung, eine ganze Bande Jungen begleitet mich überall hin, sie erzählen von ihrer Schule, bringen mich zu dem winzigen Krankenhaus aus Lehm, das eine österreichische Ärztin aufgebaut hat. Mit Ehrfurcht sprechen alle von ›Helga‹.

      Auf der Rückfahrt nach Timbedgha im Sonnenuntergang diskutieren die Männer im Wagen, nachdem sie mich gehört haben, über Frauen und Reisen. Sie verstehen, dass ich so reise, verstehen nicht, warum, vor allem nicht, wie mein Mann mich allein gehen lassen konnte, wieso er nicht die Verantwortung für mich übernommen hat. Wieder müssen wir durch das oued, einen Wagen, der die Durchfahrt riskiert hatte, hat es in der Mitte erwischt. Timbedgha erscheint als beunruhigend notwendiger Zwischenstopp, meine Mitreisenden beruhigen mich, am Markt sei ein mata‘am mit Palaverhütte, dort könne ich bleiben. Unter dem Strohdach baue ich mein Zelt in der hinteren Ecke, richte es mit einer Schnur an den Dachbalken auf. Im Dunkeln füllt mir Sahra eine Schüssel mit Nudeln in Hammelfett, wir verbringen die Nacht auf der Matte unter den Sternen im Gespräch mit Händlern, die es hier zur Übernachtung zwingt. Sahra zeigt mir ihre geschwollenen Knie, will Heilung, alle erwarten etwas von mir, mein Nachbar wegen Unterernährung, sein Freund wegen seiner Erschöpfungszustände, die Mütter zeigen mir ihre Kinder, »Weshalb bist du gekommen?« Zusammengerollt in meiner Zelthaut liege ich beim Feuer im Gemurmel und leisen Gelächter der Mauren, spüre Kröten und Ziegen an meinem Körper. Im Morgengrauen sehe ich mich in einer Runde klapperdürrer Männer, sie haben ihre Tücher eng um sich geschlungen und liegen auf der Seite wie die knochigen Kamele, bei denen ich in der Karawane geschlafen habe, die Linie ihrer Hüften und Oberschenkel deckt sich mit der ihrer Tiere. Wasser und Brot stehen bereit, ein jeder hat Anrecht auf einen Schlafplatz, auf Wasser und Brot, wenn er als Reisender in den Ort kommt. Ich schaffe es, mich aus meinem Trinkbecher zu waschen, hinter einem Autowrack zu pinkeln.

      Im Ort gibt es nichts außer Brot, das im Sand in Form gerollt wird, Hammel- und Kamelfleisch, in den Lagern stehen Zuckersäcke aus Polen, Tee aus China, Reis aus Thailand und Nudeln aus Italien. Beim Händler hinter meinem Zelt finde ich einen offenen Toyota, der nach Nara in Mali fahren soll, die einzige befahrbare Piste in der Regenzeit, leiste mir für die nächste Fahrt einen Platz neben dem Chauffeur. Schon morgens wird der erste Hammel neben meinem Zelt geschlachtet, nur hier ist ein trockener Flecken. Ich treffe den Händler wieder, mit dem ich von Néma gekommen bin, er erzählt mir die Geschichte des Ortes. In seinem Geschäft liegen Salzbrocken aus Tichît, noch immer gehen Karawanen durch die Wüste nach Norden.

      Ein über und über mit Matsch bedeckter, verbeulter Pick-up kommt an, schmutzige, apathische Männer fallen fast herunter, gehen gebeugt heim. Zwei Männer, die noch weiter müssen, berichten, sie seien von Nara gekommen, hätten für diese Strecke von etwa 160 km vier Tage und drei Nächte gebraucht. Sie sind zu Tode erschöpft, die Kleidung ist zerrissen. So kaufe ich Brot und Wasser als Vorrat, das Brot