Название | Splitter im Sand |
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Автор произведения | Birgit Biehl |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783898968300 |
Am Abend findet bei Mamadou eine große Versammlung statt, die Männer beraten, wie sie die Lage des Dorfes verbessern können. Sie gehen fair miteinander um, alle haben gleiches Rederecht. Da der Dialekt mit viel Französisch durchsetzt ist, verstehe ich eine Menge von den Problemen der Flüchtlinge.
Die Mückenplage am Wasser ist schlimm, zudem habe ich, sicherlich vom Brunnenwasser, nun schwere Durchfälle. Mamadous Impluviumhaus hat einen Toilettenanbau aus Lehm, in der Mitte des Raumes ist ein kleines Loch im Boden, darunter ist die Erde ausgehoben, eine kleine Plastikkanne mit Wasser steht neben dem Loch, Licht gibt es nicht, so sieht es denn dort aus und stinkt, wie es aussehen und stinken muss, ich stehe mit den Schuhen in der Scheiße, die Exkremente von Jahren bewegen sich, da sie ein intensives Leben von Ungeziefer enthalten, in kleinen Wellen. Mitten in der Nacht versuche ich, mit einem Eimer aus dem Brunnen Wasser zu schöpfen und das Schlimmste in eine Ecke zu spülen.
Der Weg in das Dorf Mlomp führt durch die Felder in den Regenwald, alte Kapokbäume umgeben den Ort, ihre Wurzeln greifen um sich wie die Schwänze riesiger Saurier, die spielenden Kinder verschwinden in ihren Windungen, eine urzeitliche Landschaft von brodelnder Fruchtbarkeit. Das kleine Krankenhaus St. Josephe wird von den Nonnen geführt, sie haben am Rande des Waldes große Schilder aufgestellt. Die Darstellung, wie jemand sein Bedürfnis im Wald erledigt, ist rot durchgestrichen, daneben sitzt jemand strahlend auf einer Toilette in einem Holzhäuschen, in großen Lettern die Warnung vor der Choleragefahr. Daneben der Hinweis auf die Zahnklinik mit dem drastischen Bild eines Zahnausreißers. Tief im Wald erreiche ich die Versuchsanstalt für Frauen in der Landwirtschaft, in langen Zügen kreuzen große rote Ameisen den Pfad. Lange muss ich am Rande der Piste auf eine Rückfahrmöglichkeit warten wie ein Kind sitze ich da und denke an meine Mutter, kämpfe wieder mit den Tränen, wie konnte sie mich nur verlassen.
Die Jungen, die in den Feldern am Straßenrand arbeiten, spielen Rebellen, jetzt haben sie die Straße mit Ästen blockiert und verschwinden im Busch. Bei Mamadou treffe ich Bamba, einen Offizier der Marinebasis, wir diskutieren über die Rolle der senegalesischen Armee, die laut Bamba völlig in die Bevölkerung, in Erziehungs- und Gesundheitswesen etwa, integriert ist, er leugnet jegliches Feindbild, aber Freundin Emilie und ich sind uns einig, dass sein Revolver nicht aus Kaugummi ist und wir keine Männer sein wollen. Dennoch lädt mich Bamba ein, das Haus seiner Mutter zu besuchen.
Am folgenden Vormittag treffen sich etwa 25 Männer des Ortes zum großen Freitagsgebet in der kleinen Moschee gegenüber, 50 Pantoffeln liegen im Matsch vor dem Eingang durcheinander, bunte Plastikkannen mit Wasser dienen der Reinigung, in einem Fensterrahmen liegen einige Bücher mit von der Feuchtigkeit aufgerollten Seiten, im Vorhof suhlen sich die schwarzen Schweine. Auch Mamadou geht beten, vorsichtshalber trägt er ein gris-gris, ein Amulett in Scarabäus-Form, um den Hals. Seine Frau schickt er zur Missionsstation nach Mlomp, man könne schließlich nie wissen. Als die Kinder krank waren, ist er selbst zur Kirche gegangen, auch zum bois sacré, dem Heiligen Wald, einer von all diesen Göttern werde immer helfen.
Die Marktfrauen fahren heute mit einer Pirogue zur Insel Karabane und nehmen mich mit, sehr herzlich ist der Abschied von Elinkine. Aus dem bolong fährt das Boot auf den Casamance hinaus, dessen anderes Ufer in der Regenzeit kaum zu erkennen ist. Uns begegnen in Einbäumen einzelne Fischer, die sich mit Kraft und Eleganz in der Strömung halten. Auf Karabane kann ich bei Amath im ›Barracuda‹ unterkommen, habe eine Hütte für mich, die in den tropisch wuchernden Blumen fast verschwindet, Wasser, eine Dusche, eine Toilette mit Spülung. Die Insel zu erobern bedarf des Kampfes durch die Vegetation mit einem starken Messer. Ich stoße auf eine fast verfallene bretonische Kirche, auf den von der ständigen Feuchtigkeit halb verrotteten Kirchenbänken ruhen sich die Ziegen aus. Bisweilen hält hier der Priester von Mlomp Gottesdienste ab. Ein Trampelpfad führt zu einem französischen Sklavenhaus des frühen 19. Jahrhunderts, einer ›école spéciale‹, in der unbotmäßige Sklaven durch Folter gefügig gemacht wurden, und zu den Ruinen einer portugiesischen Faktorei, vorbei an den kleinen Gehöften der Reisbauern, deren Felder im Süden der Insel liegen.
Die Ausrüstung des dépositaire médical, der kleinen Krankenstation, ist erbärmlich, ich darf bleiben, als ein alter Fischer kommt, dessen Daumen vom ›Biss eines Katzenfisches‹ dick vereitert ist. Der Pfleger schneidet den Daumen ohne Betäubung mit einer Schere auf, dickflüssig rinnt der Eiter auf den Boden. Den ganzen folgenden Tag lang schreibt er mir eine Liste der dringend benötigten Medikamente auf.
Das Fischerdorf auf der Ostseite der Insel ist besonders gefährdet, die Hütten sind häufig unter Wasser, der Boden ständig matschig und voller Ungeziefer. Um das Feuer zu schützen und gleichzeitig die Mückenplage einzudämmen, sind die Feuerstellen in die Hütten verlegt, schwelen ständig, die Kinder, Ziegen, Schweine, die Fische, die ganze Umgebung ist voller Rauch. Die freundliche Einladung kann ich nicht annehmen, kann nicht atmen. Gegenüber ist in einem Steinhaus die Maternité, die Entbindungsstation, untergebracht, die Nonne zeigt mir den Kreißsaal, die Zimmer für Mütter mit Kind, die Kinder- und Müttersterblichkeit ist stark zurückgegangen. Um die Beine der bonne sœur spielt ein kleiner Junge, sie legt mir die Versorgung des Waisenkindes nahe, sie will ihn in einer der Inselfamilien unterbringen, aber jemand müsse sich um seine scolarité kümmern, die Schule sei teuer.
Am Westzipfel der Insel kämpfe ich mich durch Unterholz und entdecke den Friedhof der alten französischen Handelsstation. Das Grab eines Capitaine in Obeliskform von 1836 erinnert an Napoleon, rundherum verfallene Eisenkreuze, blühende Schlingpflanzen überwuchern die Gräber.
Das Leben der Insel spielt sich am Strand unter den Palmen ab, hier gibt es einige campements, große und kleine Kinder spielen den ganzen Tag, drei junge Männer haben sich eine Strohhütte gebaut, kochen Essen für die wenigen Gäste, versuchen ihr Leben zu verdienen mit ihrer erlesenen Trommelmusik. Als die Sonne über dem Casamance untergeht und die Bucht rot färbt, machen sich die Krabbenfischer auf, ziehen Grundnetze durch die flache Bucht, haben sich Körbe umgebunden, in die sie den Fang schütten. Die ganze Nacht durch hört man die Trommeln, es ist heiß und voller Mücken.
Vor der Hütte am Strand wird heute l’Assomption, Mariä Himmelfahrt, vorbereitet, alle Religionen feiern gemeinsam, ein Festessen ist angesagt. Überall liegen, an Stangen festgebunden, Schweine zum Abtransport nach Elinkine bereit, sie wehren sich schreiend. Eine große Zahl Piroguen ist zu dem kleinen Markt am Strand gekommen, ein Flussboot der Marine mit Maschinengewehr beobachtet das Geschehen. Am Vormittag kommt die ›Joola‹ mit starker Schlagseite den Casamance heraufgestampft, ankert in 500 m Entfernung vor der Insel. Dann bricht das Chaos aus, die Piroguen werden mit äußerster Kraft zum Schiff gefahren, jeder will als erster seine Ware abliefern. An der Seite wird eine Ladeplattform heruntergelassen, Händler und Fischer klettern, in den Wellenbewegungen übereinander stolpernd, die Schiffswand hoch, die Säcke werden hineingeworfen, nach einer Stunde bewegt sich die ›Joola‹ mit noch mehr Schlagseite gemächlich flussaufwärts Richtung Ziguinchor. Amath schickt einen Jungen mit meinem Pass zur Marinebasis, um meine Überfahrt genehmigen zu lassen. In der Nacht steigt bei ›Helena‹ am Strand das Fest, Trommeln, Gesang und Tanz bis zum Morgengrauen, Mariä Himmelfahrt auf Karabane, unterbrochen nur von einem Wolkenbruch.
Der Regen hat den Strand abgeschwemmt, an diesem sonnigen Morgen warte ich am Ufer mit einem frischen ›Gazelle‹-Bier auf das Schiff. Die Fischer kommen mit dem Fang zurück, Amath hat einen Capitaine von etwa 25 kg im Boot. An den Enden der Bucht fischen Männer in ihren Einbäumen, im Hintergrund Trommeln, die Leute von Karabane begrüßen mich mit meinem Namen. Am Mittag taucht am Horizont die ›Joola‹