Splitter im Sand. Birgit Biehl

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Название Splitter im Sand
Автор произведения Birgit Biehl
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783898968300



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werden blutige Kamelteile zu den Geschäften gebracht. Ich muss warten, bis sich genügend Passagiere für Nara melden, bis jetzt sind wir fünf. Neben mir spielen die Männer schon seit dem Morgen Karten, es gibt für sie nichts zu tun, nichts zu arbeiten. Die Kinder einigen sich auf die Anrede ›monsieurmadame‹, ich bin einverstanden. Auf der Südseite des Ortes an einem See der Regenzeit ist Viehmarkt, rundherum auffallend schöne alte Lehmarchitektur, direkt über dem Boden die halbrunden Fensternischen, die Fassaden der kastenförmigen Häuser sind schmucklos glatt verputzt, über die obere Kante ragen Regenabläufe. Auf dem Viehmarkt legen mir viele Männer nahe, Muslima zu werden. Ein Vierzehnjähriger fragt: »Kennst du Gott?« Ich sage ja.

      Die zweite Nacht in Timbedgha ist vergangen, vor Hunger und Nährstoffmangel greife ich zur ersten mineralischen Notration in meinem Rucksack, setze mich an die Straße, warte, nichts. Die anderen Mitreisenden wollen bis Abidjan oder Brazzaville, sie treiben Kleinhandel, Transporte von Waren, verdienen gerade das Überleben mit der unsäglichen Mühe dieser Verkehrswege. Plötzlich tut sich etwas, ein anderes Auto soll fahren, jetzt wird verhandelt, Tee trinken, Geduld. Wieder nichts. Warten, es fehlen immer noch sechs Leute. Ich spiele mit den Kindern, der ganze Ort kennt mich jetzt, ausruhen in der Palaverhütte, dort werden gerade Hammelköpfe verzehrt, man saugt lautstark die Augenhöhlen aus, ich flüchte. Um kleine Feuer gibt es überall Männerrunden im Gespräch, man winkt mich hinzu, sie können überhaupt nicht verstehen, warum die Männer bei uns nicht mehrere Frauen heiraten dürfen. Überall Kartenspiel, so eine Art Maumau. Warten. Ich spüre, wie aus den fauligen Tümpeln um uns herum stinkend die Krankheit wächst, das Atmen fällt schwer.

      Der Peugeot aus Nouakchott kommt an, es erscheint Dinesh, Inder, etwa 35, als Händler mit allen Wassern gewaschen, Profi mit einer köstlichen Mischung aus indischem Englisch, Straßenköterfranzösisch und Marktweiberarabisch, völlig unverständlich, aber genialisch. Wir werden ein wunderbares Team, ich habe die Vorschläge und die nötige Gelassenheit, er den Sinn für Realitäten unter den unmöglichsten Bedingungen, und so bringen wir in dem unfassbaren Dreck auf dem Boden hinter dem Tresen unseres Händlerfreundes tatsächlich ein Essen zuwege aus Erbsen, Zwiebeln und Maggi-Sauce, mein erstes Essen seit drei Tagen, auf dem Boden hockend langen wir mit unseren schmutzigen Händen in die Pfanne. Ich habe zu lange nichts zu mir genommen und erbreche hinter alte Autoteile.

      Gemeinsam lernen wir die Verhältnisse in diesem kranken Ort kennen, beobachten, mit welcher Härte die Menschen miteinander umgehen oder ihre Tiere behandeln, fassen es nicht, welchem Elend sie ihre Kinder aussetzen. »Die Kinder sind unser Reichtum«, sagen sie und beuten die Arbeitskraft Heranwachsender bis in die Nacht aus. Die tragen die schwersten Lasten, singen und lachen noch dazu, essen und trinken fast nichts. Es ist empörend, den ganzen Tag sitzen die Väter da, trinken Tee und spielen Karten, schwätzen, sind faul und arrogant, Dinesh hat sein Urteil gefällt. Das faulende Wasser im Ort, all der Unrat könnten innerhalb von drei Tagen gemeinschaftlich bereinigt sein, stattdessen finden wir in den Gehöften abseits der Straße kranke Kinder und Frauen, die keine Milch für ihre Säuglinge haben, offensichtliche Malariafälle, die Familie hockt verzweifelt auf der von fauligem Wasser umgebenen Terrasse des Hauses, die Kranken sind völlig apathisch. Wir kaufen in der Ortsapotheke Tabletten, dazu Essen und sauberes Wasser, behandeln die Familie, es ist schwer, ihnen den notwendigen Rhythmus für die Einnahme des Medikaments einzuprägen, eine halbe Tablette morgen, eine ganze in genau einer Woche. Am nächsten Morgen geht es ihnen viel besser, sie haben gegessen, die Familie lacht, ist dankbar.

      Da wir einander nun gut kennen, laden mich die Männer zum Kartenspiel in die Palaverhütte ein, das ist schon eine hohe Anerkennung. Das Schreckliche geschieht, ich gewinne, schließlich macht mir bei Maumau keiner was vor, Schweigen in der Hütte. Dann natürlich wieder Tee, Brot, Hammel, Maccaroni mit Kamelfett, Tee, sonst nichts. Dann das Gebet, wieder Tee, schwätzen, beten, schwätzen, schlafen, alles am Rande der Straße, es gibt keine Möglichkeit sich zurückzuziehen. Sie wollen unbedingt den Brief sehen, den Ould Abidine Sidi mir für seinen Freund mitgegeben hat. Da mehrere Männer mich sofort heiraten wollen, sind sie seit der Ankunft von Dinesh eifersüchtig und fragen ständig, ob ich ihn nun heiraten wolle, da wir ja zusammen gegessen hätten. Sie wollen mich von meinem Mann loskaufen, schließlich habe er mich ja reisen lassen, was sie denn geben sollten? Einer bietet mehrere Schafe, ein anderer überbietet, ich werfe ein, dass ich gar nicht heiraten wolle und zudem mein Mann sicherlich eine unerfüllbar hohe Forderung stellen würde. Das löst lautes Durcheinander aus, was denn, ja was denn? Vierzig Ziegen bietet jemand, ich sage, keine Gegenstände, mein Mann liebt mich, auch wenn ich auf Reisen bin, ich liebe ihn, wir würden einander nicht verlassen. Schweigen, sie verstehen nicht, einer bietet noch einmal seine ganze Herde, großes Gelächter, sie akzeptieren.

      Da in der Nacht noch vier Leute für Nara angekommen sind, soll es nun heute früh losgehen. Um 10 Uhr beginnt man erst einmal die Reifen zu wechseln, den Motor zu warten. Irgendwann wird das Gepäck aufgeladen, auf der etwa 5 m² großen Ladefläche festgestampft, mit einem Netz gesichert. Die Waren der Händler, die zum Markt nach Nara wollen, werden rundherum angehängt. Ousmane, der Zerbrechliches über Bamako an die Elfenbeinküste transportiert, hält alles fest im Arm. Die Ladung geht schon über den Rand des Geländers, eine Plane wird darüber gelegt, die Fläche mit einem Netz verzurrt. Dann bricht der Sturm los, 23 Männer und eine schwarz verschleierte Frau kämpfen um die Plätze auf dieser winzigen Fläche. Dinesh und Ousmane haben sich das Dach des Führerhauses erobert, sind nun Wind und Wetter ausgesetzt. Ich sitze neben dem Fahrer mit einem dicken marokkanischen Juden, der unentwegt frisst, daher immer Durst hat und im Laufe der Fahrt dem Fahrer und mir Wasser klaut, ständig rülpst, niemals hilft.

      Gegen Mittag biegen wir hinter Timbedgha auf die Piste, der Fahrer fährt derartig ruppig, dass Leute herunterfallen und sich erheblich verletzen. Gerade gewöhnen wir uns an das Schaukeln und Stoßen, da geht im ersten Tiefsand die Schaltung kaputt, wir schleichen zum letzten Gehöft zurück, bleiben dort in der Palaverhütte. Sofort wird Tee gekocht, Fahrer Mohammed und Gehilfe Natu fahren zurück, um ein anderes Auto zu holen und das Gepäck umzuladen. Die maurische Frau sitzt abseits unter einem Baum, sie darf nicht in die Hütte zu den Männern. Wieder entwickelt sich ein Gespräch über den Glauben, wieder fordern die Männer, ich solle Muslima werden. Ich bemühe mich, ihnen zu erklären, dass ihr Glaube nicht der einzig mögliche ist. Da sie nichts wissen, schlage ich vor, es ihnen zu zeigen. Alle rücken um mich herum, starren mich an, alle haben meinen Namen behalten, viele stellen Zwischenfragen, das ist härteste Anforderung an mein Arabisch, und so hocke ich, die vor 20 Jahren aus der Kirche Ausgetretene, denn also in der Mitte, gehe im Wüstensand auf die Knie, schlage das Kreuz, falte die Hände und singe, da mir im Moment nichts Anderes einfällt, »Ein feste Burg ist unser Gott«, übersetze diesen Vers, alles nickt beifällig, fasziniertes Schweigen, dann Gemurmel, du machst das so, wir machen das anders, Gott schütze uns alle.

      An den folgenden Tagen werde ich mit äußerster Hochachtung behandelt, mit einer für Mauren ungewöhnlichen Zartheit, bekomme als erste Hammel und Tee angeboten, sie akzeptieren, dass ich das Fleisch nicht esse, machen für mich den Tee extra etwas schwächer. Sie unterstützen meine Reisemission, wo sie nur können, zeigen mir ihre Bräuche, weisen mich in den wenigen Dörfern unterwegs auf die Moscheen hin, erlauben nach schneller Diskussion auf Hassaniyya, dass ich fotografiere. Schluss ist da, wo ich wissen will, was in den kleinen Flaschen war, die sie alle vor der Abfahrt in Timbedgha ausgetrunken haben. Als auch ich eine kaufe und so tue, als wolle ich sie austrinken, schreien sie auf, das dürfe ich nicht, das sei ›afrikanisches Geheimnis für Männer‹, sicherlich eine Droge, um die kommenden Strapazen überstehen zu können.

      Ein neuer Pritschenwagen kommt gefahren, hörbar stärker als der alte, zunächst geht es über trockenen Sand, bis wir in einem Wasserloch, das zwischen hohen Gräsern nicht zu sehen war, auf einen vollkommen überladenen Pkw stoßen, der bis über die Achsen eingesunken ist. Ein Franzose will mit seiner kleinen schwarzen Tochter bis nach Togo fahren, hat einen Führer angeheuert, der ihn durch dieses gefährliche Gelände lotsen sollte. Seit gestern haben sie auf Hilfe gewartet, das Kind hockt verängstigt unter einem Strauch.

      Nach zwei Tagen Fahrt will ich aufgeben, mich nur noch fallen lassen. Alle 50 m muss der Wagen freigegraben, mit untergelegtem Schaufelblatt und Wagenheber angehoben werden, damit ein Blech untergeschoben werden kann. Immer wieder vorauslaufen,