Splitter im Sand. Birgit Biehl

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Название Splitter im Sand
Автор произведения Birgit Biehl
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783898968300



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auf dem unglaublich schmutzigen Boden, die Fensterscheiben sind zerbrochen, die am Draht aus der Decke hängende Glühbirne ist kaputt, das Bad besteht nur noch aus Keramikbruchstücken und einer stinkenden Kloschüssel, immerhin handele ich den Preis um die Hälfte herunter, in Rosso gibt es kaum Alternativen. Der Ort riecht nach Krankheit und Verwesung, überall liegen tote Tiere am Straßenrand, Schafe, Ziegen, auch Pferde. In einem Geschäft mit Tischen und Stühlen gibt es Früchte und Milch, abstrus in diesem Elend ein großes Marlboro-Plakat mit seinem lonesome cowboy. Wie immer scharen sich die jungen Leute um mich und mein kleines Notebook, ich erkläre es ihnen auf arabisch, sie dürfen ihren Namen eingeben, sind verwirrt, dass man ihn speichern kann, suchen den Speicher. Aus einem Radio klingt maurische Musik, alle singen mit.

      Bei der Abfahrt des Wagens Richtung Nouakchott betet der Fahrer laut, alle fallen ein, la allah illa allah. Die Männer sind neugierig, hier bin ich die Archäologin, die über die Geschichte der Mauren arbeitet, beifälliges, stolzerfülltes Gemurmel, alles gehört für sie dazu, der Rucksack, das Notebook, die Lesebrille, die Männerhosen. Die Fahrt ist die Hölle, 23 Menschen sitzen auf einer 15 cm tiefen Bank mit 8 Plätzen, ich weiß nicht wohin mit den Beinen. Penibel sind die vielen Militärkontrollen, nur ich werde immer aus dem Wagen herausgeholt. Vor Nouakchott liegt in der Lehmhütte am Straßenrand der Offizier neben der Straßensperre auf einer Matratze malerisch ausgestreckt, um ihn herum Essensreste, Teegeschirre, ein Feuerchen, er genießt die Gelegenheit, seine Willkür auszuleben, strahlt mich während des ausgiebigen Verhörs an. Der Sand wechselt seine Farbe von rot in ocker, vor Nouakchott ist er fast weiß, mir stockt der Atem angesichts der Kamelherden, der hellen maurischen Zelte mit den blauen Ornamenten.

      Im knöcheltiefen Sand der Hauptstadt schlage ich mich durch zur ›Auberge de Jeunesse‹ im Zentrum. Vor der kleinen Herberge verspricht ein freundlicher junger Mann einen hohen Geldumtauschkurs mit offizieller Devisenbestätigung. Wir gehen in den Grand Marché, er gibt sich sehr verschwörerisch, nimmt meine 1.500 FF und verschwindet. Nach einigen Minuten kommt er tatsächlich mit Bündeln von Ugiyya wieder, versucht, den Kurs zu drücken, das aber nicht mit mir, dann verlange ich das Wichtigste, die Devisenerklärung. Er schreibt meinen Namen auf, verschwindet wieder, sein Freund bleibt bei mir, beruhigt mich, tatsächlich kommt er auch diesmal wieder, das Papier sieht echt aus, stellt sich später als Fotokopie eines amtlichen Formulars heraus, der Stempel als Phantasieprodukt. Wohin jetzt mit dieser monströsen Geldrolle? Die Beiden verschwinden sofort in den Winkeln des Marktes, gottlob kenne ich den marché noch gut und finde wieder heraus, rette den Packen Geld in die Herberge und ziehe Bilanz.

      In Nouakchott will ich die erste Ladung meiner Fundstücke nach Hause schicken und gehe mit einer prall gefüllten Plastiktüte zur Post. An einem der Schalter zeige ich meine Tüte und frage die runde freundliche Angestellte, ob es Kartons gebe, sie verneint, winkt mich nach draußen, ich solle dort zwei Briefumschläge kaufen. Sie geht mit rollendem Hintern in ihrem herrlichen weißen Boubou in einen der hinteren Räume der Post und kehrt mit einer Kleberolle zurück, schneidet liebevoll die beiden Umschläge auf, knuddelt meine Stoffe mit den zwischen ihnen verstauten Steinen, Muscheln und neolithischen Fundstücken auf die Hälfte zusammen und beginnt ruhig und hingebungsvoll mit der Klebearbeit. Ganz beiläufig beginnt sie ein Gespräch, wie es bei mir zu Hause aussieht, wie ich lebe, was ich tue, es endet damit, dass sie sich bei mir für ihre nächsten Ferien einlädt. Inzwischen bildet sich eine Schlange am Schalter. Einem, der auch keinen Karton hat, fährt sie ins Gesicht, er solle das gefälligst zuhause vorbereiten. Bei soviel Kleberei ist die maurische Kleberolle schnell alle, majestätisch erhebt sie sich wieder und rollt erneut hinaus, fünf Minuten vergehen, sie erscheint mit einer neuen Kleberolle. Da es jetzt um die Befestigung der Seitenteile geht, hänge ich mich zur Hälfte über den Tresen und halte mit den Fingern die Ecken fest. Ein ungeduldiger Kunde bittet, sie könne doch mal eben sein Einschreiben, sie unterbricht ihn, er könne sich ja auf ihren Arbeitsplatz setzen, alles lacht, er auch. Nun wird der zweite Briefumschlag gefaltet und zugeschnitten, noch einmal alles halten und kleben, dazwischen zischelt sie, ich solle ihr meine Adresse aufschreiben. Als das rundherum verklebte Päckchen fertig ist, entschwebt sie wieder, am Schalter wartet friedlich die geduldige Schlange, ganz Amtswürde erscheint sie mit einem kleinen Postzettel, gibt mir ihre Adresse, ich ihr meine. Sie winkt mich an eine andere, jetzt leere Schalterstelle, beugt sich über den Tresen und fragt, wann ich wieder nach Hause führe, ich schildere ihr meinen Reiseweg, sie reißt die Augen hinter der dicken Brille auf und flüstert beschwörend: ›Du wirst mir eine Postkarte von jeder Etappe schreiben!‹ Wir küssen uns, Aissata Diop, meine Freundin.

      Ich frage mich durch zum weit entfernten Nationalmuseum, um die neolithischen Exponate zu sehen, bin schockiert. Es ist eine schöne und reichhaltige Sammlung, ein herrliches steinernes Mahlbecken, viele Stücke der gleichen Art, viele Scherben mit Ornamenten, aber keine vollständigen Gefäße, wie ich im letzten Jahr eines in der Wüste südlich von Chinguetti gefunden und ganz legal mit nach Hause genommen habe. Da packt mich das Gewissen, schnell ist der Entschluss gefasst, das große Gefäß zurückzugeben. Ich frage im Museum nach einem Verantwortlichen, ein Mann stellt sich als der Konservator des Museums von Ouâdane vor, fragt, ob ich das Gefäß nicht seinem Museum überlassen könne. Wir diskutieren, wie dies zu bewerkstelligen sei, da nimmt er mich an die Hand, wir gehen den langen heißen Weg zum Wirtschaftsministerium, dort ist sein Bruder Commissaire Général für die Expo in Hannover. Also beschließen wir die Übergabe mit einem kleinen Festakt am Nationentag Mauretaniens in Hannover, Ould Abidine Sidi ist glücklich, ich bin erleichtert.

      Nouakchotts Schönheit erschließt sich nur bei vollem körperlichen Einsatz in Hitze und Sand, sehr schöne Viertel mit interessanter Architektur, viel Leben auf dem Markt, die Menschen haben strahlende Augen. Auf dem Handwerkermarkt ist die Moschee nur durch ihre Richtung Osten in den Sand gezeichnete Form erkennbar, am Abend gehen die Männer durch den markierten Eingang, knien sich in den Sand und beten.

      Die ›Route de l’Espoir‹, die ›Straße der Hoffnung‹, diesmal will ich bis an ihr Ende fahren. Eine Großfamilie nimmt mich sofort auf, im großen Peugeot geht es durch die Lehmhüttenvorstädte von Nouakchott, bis Boutilimît bezaubern die vielfältigen Dünengestaltungen, die Farben, die Sicheldünen. Jeder Verkehr erstirbt, Kamele, einige Zelte, nichts mehr. Ab Aleg wird die Straße deutlich schlechter, dann vollends unpassierbar, etwa 300 km lang sucht der Fahrer neben der Straße eine brauchbare Piste, das Wasser in den sonst trockenen oueds strömt über die Fahrbahn, hat sie unterspült, die ursprüngliche Fahrbahndecke ist zerbröckelt oder in großen Stücken hochgedrückt. Über der Wüste liegt jetzt ein Hauch von Grün, Tiere grasen. Wir durchqueren die Flüsse barfuß, tragen alles Gepäck hinüber, Schafe, Reissäcke, kehren um, schieben den Wagen durch das knietiefe Wasser, nur langsam fließt es wieder aus dem Fahrzeug.

      Nur zehn Personen sind diesmal im Wagen, ich habe zum ersten Mal das Gefühl, richtig sitzen zu können. Neben mir eine Frau meines Alters, die ein winziges verdorrtes Wesen unter einem großen Tuch in das Auto gesetzt hat, das sichtlich dem Tode nahe ist. Alle hatten auf die Frau eingeredet, ihre Mutter doch in Nouakchott zu lassen, sie werde die lange und anstrengende Fahrt nicht überstehen können. Als wir losfahren, hat die Frau unter dem Tuch grauenvolle Bronchitis-Anfälle, würgend presst sie die Luft aus den Lungen, entlädt röchelnd Mengen von Schleim in einen Plastiktrinkbecher, den die Tochter ab und zu auf den Wagenboden neben meine Füße kippt. In schwerer Atemnot sackt sie bisweilen wie tot zusammen, wir sind entsetzt, schauen ständig nach ihr, mir wird speiübel, ich sehe betont zur anderen Seite auf die Sicheldünen, fühle mich ausgeliefert, hasse die Frauen, die diese widerliche Situation herbeigeführt haben. Vierzehn Stunden lang sehe ich, wie die Tochter in der Enge des Fahrzeugs es schafft, in ihren Sitz gekrümmt die Mutter umarmt zu halten, ihr ständig den Becher vor den Mund zu führen, ihr mit einer Hand die Stirn zu kühlen, ihr ständig ein wenig Flüssigkeit einzuflößen, sie auf die Gebete vorzubereiten, ihr beim Pinkeln zu helfen, sie zu waschen, ihr beim Sonnenuntergang vorzusingen, ihr die Hände zu entkrampfen und zu reiben, ihr immer wieder das im Fahrtwind verrutschende Kopftuch zu richten, das die Würde der Wüstenfrau wahrt. Ich schäme mich sehr.

      Wir erreichen ein wildes Bergmassiv, auf der Passhöhe im Sonnenuntergang ein Blick zurück in die zartgrüne Ebene voller Sträucher und Akazien, jetzt haben sie kleine Blätter, noch sind die Seen nicht versickert. Dreimal machen wir Pause, alle waschen sich vor