Название | Splitter im Sand |
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Автор произведения | Birgit Biehl |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783898968300 |
Ich muss wieder nach Gorée, ein Jahr lang hat mich zuhause das Bild von der großen Tafel im Salon des Sklavenhauses verfolgt, genau über den mit Menschen vollgepferchten Zellen im Untergeschoss, die Schreie müssen bis zu den Gelagen der Händler durchgedrungen sein, die Ein- und Verkäufe von Menschen bei einem guten Mahl zu feiern pflegten; die Öffnung im Boden eines abgesonderten Teils, die den jungen Mädchen als Toilette diente, sie sollten ihre Unschuld behalten, um so erheblich höhere Preise zu erzielen; die Maueröffnung auf der Meeresseite, durch die rebellische Gefangene den Fischen zum Fraß vorgeworfen wurden. Um 10 Uhr geht an der embarcadère das kleine Schiff nach Gorée, bringt Wasser und Lebensmittel zur Insel, ein kurzer Regen kühlt die schwüle Luft etwas ab. Ich nehme mir Zeit für jedes Haus, das ›Institut du Soudan zur Förderung der Demokratie in Afrika‹, die Malteser-Mission, die kleine Koranschule, aus der lauter Kindergesang über die Insel schallt. Auf dem Weg zum Fort finde ich Ahmadou Dieng wieder, immer noch arbeitet er seine wilden Collagen aus Erde und Stoffresten auf irgendwelche alten Matten oder Tücher, Farben und Leinwand kann er sich nicht kaufen. Diesmal erstehe ich eine kraftstrotzende Gestaltung auf einem alten Badevorleger, den kann ich vorsichtig rollen und schicken.
Noch habe ich Monsieur Omar nicht entdeckt, meinen afrikanischen Vater, über siebzig, er hat mir im letzten Jahr das Sklavenhaus gezeigt, konnte noch von seinem Großvater erzählen, dass mir die Tränen kamen. »Wir haben selbst Schuld daran, wir haben uns nicht gewehrt«. Ich war mein Leben lang auf der Suche nach Vätern, hatte einen heißgeliebten französischen Vater, der kleine krumme Alte aus der Medersa Ben Youssef in Fès ist mein arabischer, Monsieur Omar mein schwarzer Vater. Schon als Kind habe ich in Hamburg Männer angesprochen, ob sie nicht mein Vater werden wollten, einer, ein Kriegsversehrter mit Krücken, ist zum Entsetzen meiner Mutter in unsere Wohnung gekommen. Jetzt sehe ich ihn kommen, er hat früher in Hamburg als Matrose gearbeitet, freut sich sehr, Hamburg ist ein wunderbarer Stoff für uns beide. Die chaloupe aus Dakar ist zurückgekommen, um das Schiff herum tauchen die Jungen nach Münzen, die die wenigen Touristen ins Wasser werfen.
Viel Zeit gehört dem Musée IFAN mit seiner Sammlung von Masken, Statuen, Instrumenten, ganzen Ritualszenen. Besonders spannend ist das große Buschtelefon, ein hochsensibler ausgehöhlter Stamm von etwa einem Meter Durchmesser mit dem Code der hohen Töne für Hochzeiten und, auf der anderen Seite des Schlitzes, dem der tiefen Töne für Trauerfeiern. Etwa 25 km weit reichen die Nachrichten, intensiv darf ich das Instrument ausprobieren. Manchmal schwankt noch der Schiffsboden unter mir.
An der gare routière Pompier, dem chaotischen Sammelplatz für die taxis brousse, die Buschtaxis, ist es schwierig, unter all den gleichartigen Wagen den nach Ndangane im Mündungsgebiet des Sine-Saloum herauszufinden. Alle jungen Männer stürzen sich auf die einzige Fremde, mit viel Geschrei wird der richtige Wagen gefunden, das kostet eine Apfelsine und eine Banane. Erst drei Stunden später ist das taxi voll, 45° im Schatten, ich stinke wie alle, die mit mir Wartenden laden mich in ihr Dorf ein. Nach undurchschaubaren Prozeduren geht es so langsam los, dass wir nicht mehr vor Sonnenuntergang ankommen können. Fünf Stunden Fahrt mit sechs Menschen auf drei Plätzen, das Gepäck auf den Füßen, Haut klebt an Haut, Savannenlandschaft mit Baobabs und Fromagers zieht vorüber. Sehr plötzlich fällt die Nacht, Gewitter kommen auf, das Buschtaxi hält unvermittelt an, das Dachgepäck wird in das Wageninnere gestopft, dann fällt ein Regen, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Nichts ist mehr zu sehen, der Fahrer behält seine Geschwindigkeit bei, fällt in tiefe Schlaglöcher, die Autoscheinwerfer sind kaputt, von unserem Schweiß beschlägt die vielfach gerissene Frontscheibe. Da die Hälfte der Fenster kein Glas mehr hat, die Fahrertür nicht schließt, strömt das Wasser in den Wagen. Nach einer halben Stunde ist das Unwetter vorüber, die drückende Hitze gewichen. Zwischen Baobabs und Schweineherden werden die Reisenden abgesetzt, für mich hält der Fahrer mitten in der Nacht in Ndangane vor einem beleuchteten Hotel, das ich jetzt akzeptieren muss, eine langweilige Touristenanlage, aber ein Essen, eine Dusche und die Möglichkeit, die versaute Wäsche zu waschen.
Viel schöner als im pool des Hotels ist das Bad im Flussdelta, schon morgens hat das Wasser 28°. An der embarcadère von Ndangane warten die Piroguen, an der sandigen Hauptstraße treffe ich auf Mustafa und Ali in der Dorfbibliothek, sie bewachen 30 Bände, ich verspreche, später Bücher zu schicken. Die Entdeckung am Strand ist das afrikanische campement Fouta Toro mit einigen strohgedeckten Rundhütten ohne Wasser und Strom, Amye und ihre Familie nehmen mich sofort auf, beteiligen mich am Fischfang. Zum Schutz vor den Mücken am Wasser ist Erfindungsgabe gefordert, ich befestige mein Moskitozelt mit Seilen an den Deckenbalken der Hütte, ein Reißverschluss ist hin, also Wäscheklammern. Um die Hütte tummeln sich Hühner, Schafe, wilde Hunde, Esel. Als ein Gewitter heranzieht, kommen alle Kinder der Umgebung gelaufen, die Frauen waschen sie mit lautem Geschrei im Regen, selbst die großen Mädchen reinigen sich ungeniert vor den Männern. Die Großfamilie versammelt sich unter dem Strohdach der Palaverhütte, ein Säugling schläft auf dem Esstisch zwischen den Schüsseln. Diengaba erzählt, jahrelang sind die Mädchen zur Schule gegangen, doch können sie nicht lesen, nicht schreiben. In meiner Hütte herrscht mörderische Schwüle, stundenlang schreien die großen Frösche in den Sümpfen der Regenzeit. Am nächsten Morgen klemmt die verzogene Tür, die Klinke ist herausgebrochen, Dialo muss mich befreien. 6. August, heute ist der Geburtstag meiner Mutter, es gelingt mir, ihn beiseite zu schieben.
An der Anlegestelle wartet Mohammadou mit der Pirogue, wir fahren durch die bolongs des Saloum-Deltas zu den Vogelinseln, zum bois sacré, den Heiligen Bäumen, zu den Buschtelefonen, hier ist niemand, Pelikane, Kormorane, Reiher, ein Paradies. Als wir die kleine Insel Mar Lodj streifen, beschließe ich zu bleiben. Im Anfang schuf Gott Mar Lodj, diese wilde Insel voller kleiner bunter Vögel, die in den in allen Farben blühenden Bäumen singen, am mangrovenbestandenen Ufer säubert der Fischer die großen Barracudas und Capitaines. Nur in den winzigen Buchten, die die Mangroven freigelassen haben, kann man der reißenden Strömung in der Regenzeit standhalten. Sophie und Marion, zwei Französinnen, hat es einen Tag vor mir hierher verschlagen, wir durchstöbern die Insel, entdecken das kleine Dorf in der Mitte mit seiner winzigen katholischen Missionsstation, der kleinen Schule, der Kirche rund wie die Hütten auch, der Moschee daneben, dem alles überragenden alten Heiligen Baum der Animisten. Stolz zeigt mir Josephe die Hütten, packt mich plötzlich am Arm und reißt mich zurück, auf dem Holzstoß neben mir liegt eine lange Baumschlange mit aufregend gelbem Kopf.
Ahmadou hat mir in Dakar die Adresse von Kurt gegeben, der sich auf Mar Lodj niedergelassen hat, wir waten durch die Priele und Schwemmsände zu seinem campement am anderen Ende der Insel, vorsichtshalber notiere ich drei Kompasspunkte. Kurts Gefährtin Awwa bereitet uns einen Mussolini genannten Fisch zu, es ist mir ein besonderes Vergnügen, mit Messer und Gabel das brutale Profil des Fisches mit seiner bulligen Stirn und dem starken Kinn zu zerteilen. Schwierig ist der Rückweg unter sternklarem Himmel, wie Seidengewänder von Elfen schwebt die Milchstraße dicht über uns. Kurt schickt uns seinen Schäferhund mit, der begleitet uns bis zur Statue der Schwarzen Madonna, von dort aus finden wir allein zurück.
Heftig schwankt das flache Boot im Wind, als wir mit einer Pirogue den breiten Saloum aufwärts nach Foundiougne weiterfahren. Hier betreibt das Militär eine Fähre. Aus den kleinen Küchen in den Höfen der Fischerhäuser am Hafen dringen Wohlgerüche, köstlich ist der Reis mit Yassa-Sauce. Lange laufe ich flussabwärts, niemand ist hier, Vögel, zahlreiche Termitenbauten sind wie mahnende Hände gen Himmel gerichtet. Schon der frühe Morgen ist sehr heiß, wir brechen auf zu den Dörfern in den Erdnussfeldern voller Baobabs, lilienartiger Blumen und gewaltiger Kapok-Bäume. Überrascht, toubabs, Weiße, zu sehen, versammelt sich überall die Dorfbevölkerung. Maguette, ein feinsinniger Junge, der bald sein Abitur machen wird, begleitet uns den ganzen Tag, erzählt von den Problemen in der Schule, Sophie