Splitter im Sand. Birgit Biehl

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Название Splitter im Sand
Автор произведения Birgit Biehl
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783898968300



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hier bereitet auf dem kleinen Markt mit der großen Moschee, der Missionsstation, der Palaverhütte voller neugieriger alter Männer und dem Heiligen Baum mit der blutigen Opferstätte darunter. Maguette beschreibt das Dorf als sehr groß, weil sich hier nicht mehr alle mit Namen kennen, hier möchte er nicht wohnen. Lachend und schreiend umringt uns eine große Kinderschar, als wir zum Fluss wandern und unter einem alten Baobab gegenüber dem Heiligen Wald rasten, in dem alle Religionen der Umgebung die großen Feste gemeinsam feiern. Jugendliche schwingen im Rhythmus ihres Gesangs die einfachen Hacken zur Vorbereitung der Reisfelder, für die Feldarbeit gibt es drei Monate Schulferien.

      Am nächsten Morgen nehmen wir die Fähre in Foundiougne und setzen über den Fluss, von beiden Ufern hört man die Trommeln aus den Fischerdörfern, wie ein Rausch ist es weiterzuziehen … An dem alten Militärponton sind rechts und links Flusspionierboote befestigt, in denen je zwei bewaffnete Soldaten sitzen, die nur mit Mühe gegen die Strömung ansteuern können. Am anderen Ufer heißt es warten auf eine Fahrgelegenheit, der Fahrer eines Kühllasters will uns hinten zwischen den tropfenden Fischen mitnehmen, wir warten. Hinter den Fischerhütten stehen zwei riesige Kanonen auf drehbaren Podesten, auf das gegenüberliegende Flussufer gerichtet, niemand weiß, gegen wen. Tatsächlich kommt nach einer Stunde ein taxi brousse ans Ufer gefahren, pfercht uns alle zusammen, wir schlingern durch die Sände, über die Strände und Sumpfpisten Richtung Fatick, von oben tropft Fischwasser durch das verrostete Dach, die Piste ist schwer, die Fahrt eine Qual überleben, das heißt auch den Schmerz leben über den Verlust, wie soll ich meine Mutter überleben, sie ist gestorben und ich habe sie allein gelassen, leben konnte sie nicht, aber dafür bin nicht ich verantwortlich. In Fatick wartet schon ein taxi brousse nach Süden, Sophie und Marion fahren nach Dakar zurück.

      Durch fruchtbare Feuchtsavanne, durch Erdnuss-, Hirse- und Maisfelder geht es über Kaolack nach Farafenni, die Grenzstation nach Gambia. Es heißt, ein campement gebe es nur in einiger Entfernung, ich müsse auf dem Pferdewagen mitfahren. Alles Gepäck wird auf eine Pritsche geworfen, die Bauern legen sich darüber, das Pferd holpert in großem Bogen um den Ort herum durch die Felder. Festkrallen muss man sich, um nicht herabzufallen, stumm in ihrem Leid heben einige magere Frauen nicht den Blick, der Anblick des dürren Pferdes mit den vielen offenen Wunden im Fell verursacht Übelkeit. Nach einer Stunde Fahrt liefert man mich, seitlich wieder in den Ort einfahrend, tatsächlich vor ›Eddy’s Hotel‹ ab, einem herrschaftlichen Kolonialbau mit palmenbestandenem Innenhof. Bei dem Rundgang durch Farafenni fällt die aufdringliche Wegelagerermentalität der Jugendlichen an den Kreuzungen auf, überall englische Aufschriften, plötzlich mitten im Ort die Grenzschranke, ich bin auf der falschen Seite in The Gambia mit seinem merkwürdigen Englisch, bin mit der charrette über die grüne Grenze geraten und ahne die morgigen Probleme. Das Immigration Office ist schon geschlossen, die Polizei empfiehlt mir, um 6 Uhr an der Grenze zu erscheinen, ich bin nicht beunruhigt.

      In Anbetracht der Mücken baue ich im Zimmer eine geniale Konstruktion mit meinem Zelt um einen Nagel herum über den Draht der nackten Glühbirne, trotz des Ventilators ist die nächtliche Schwüle mörderisch, an Schlafen kaum zu denken. Am Morgen gibt es wie üblich weder Wasser noch Strom, trotz der nun häufiger auftretenden Durchfälle muss es mir egal sein, wie ich den Ort verlasse.

      Im Dunkeln an der Grenzstation kommt nach einer guten Stunde ein Minibus mit einem einzigen Platz nach Ziguinchor in der Casamance. Ich werfe meinen Rucksack hinten unter eine Bank und will schnell zusteigen, als der Immigration Officer auf mich zukommt, den Pass sehen will und nun ein Riesenspektakel veranstaltet. Da fährt mit meinem Gepäck der Bus ab, zurück bleibt der Kassierjunge, der meint, wir würden den Bus schon wieder einholen. Immer wieder erkläre ich meinen ›illegalen Grenzübertritt‹, beschreibe den Weg mit der charrette, drei Offiziere sehen ihre Stunde gekommen. In meinem kleinen Rucksack habe ich Papiere und alles Geld bei mir, überschlage den Verlust des großen Rucksacks und beschließe, zumal der ranghöchste Offizier auf das Ergötzlichste mit den Augen rollt und mich der Lachreiz packt, mich zu wehren und stark zu bleiben. Nach langer Beratung im Ortsdialekt beschließt man, mich in den Senegal zurückzuschicken. Ich beschreie mein verlorenes Gepäck, erneute Diskussion endet mit dem Beschluss, mir 50.000 FCFA für den nachträglich zu erteilenden Einreisestempel abzunehmen. Entgegen der Wahrheit behaupte ich, mein Geld befände sich in dem großen Gepäck. Erregte Debatte, plötzlich greift der Officer den Stempel, knallt ihn in den Pass, von mir ist nichts zu holen, jetzt schnell hinter dem Gepäck her. Wir halten eines der vorbeifahrenden taxis brousse an, laufen nach 10 km auf die Schlange vor der Fähre über den Gambia-Fluss auf. Obwohl alle Buschtaxis gleich aussehen, finde ich meines wieder, natürlich ist mein Rucksack noch da.

      Im tief in rotem Matsch versunkenen Marktflecken am Flussufer herrschen schlimme Zustände, überall Ungeziefer in dieser feuchten Hitze, die Garküchen bieten oft schon verdorbenes Essen an, das Atmen fällt schwer in diesem elenden Gestank. Auf einem verrosteten Ponton geht es über den Fluss, es sind so viele Menschen an Bord, dass man sich nicht rühren kann, die Maschinen kreischen. Die einzige Straße durch Gambia führt in eine schwüle Regenwaldlandschaft, sie ist mit Schlaglöchern übersät, in eine Schlammpiste verwandelt. Schnell ist das Land durchquert.

      Beim erneuten Grenzübertritt in den Süden des Senegal, die Casamance, tauchen zahlreiche Soldaten auf, die intensive Kontrollen vornehmen. Die Straße ist kilometerlang mit Wellblechwänden gegen die Rebellen aus den dichten Wäldern gesichert, alle 10 km haben Posten Sperren aufgestellt, ständig überholen uns Armeetransporte. Brüsk treten Soldaten mit Automatikpistolen aus Gebüschen und kontrollieren, ob Rebellen im Wagen versteckt sind, Panzer sind hinter Baumgruppen versteckt. Zwei dicke mamans haben mich in ihre Obhut genommen, die Kinder klammern sich an ihre Mütter, eines hat offensichtlich die Pocken. Die Frauen erzählen mir, wie brutal die Dörfer nach aufständischen Diola durchsucht werden. Nach Stunden erreichen wir Ziguinchor, ich bin so fertig und hungrig, dass ich mit meinen von Schweiß und rotem Matsch durchtränkten Sachen ein richtiges Hotel brauche.

      Wunderbar ist die Stadt mit ihrem alten Kern in portugiesischem Kolonialstil, breit sind die Alleen durch die großen Palmenparks, im Verfall wird die vergangene Größe spürbar. In den Straßen am Hafen sieht man die helleren Nachfahren der Portugiesen. Gegen Abend ist die Stadt voller Störche, Pelikane, Reiher, Libellen, selbst Adler ziehen über dem angeschwollenen Fluss ihre Kreise. Gefühl völliger Verlassenheit. Noch nach fünf Jahren werde ich die Schuld nicht los, meine Mutter am Ende allein gelassen zu haben, sie in den letzten Jahren, als sie Bilanz gezogen hat, nicht genügend begleitet zu haben. Ich kämpfe mit den Tränen, kann sie einfach nicht gehen lassen. Mein Wecker ist auf den Steinboden gefallen, wie gut, dieses überflüssige Relikt beseitigen zu können.

      An der gare routière bin ich schon früh Nummer 5 in einem alten Peugeot mit 7 Plätzen, kurz danach rasen wir mit beängstigendem Tempo durch den Regenwald mit Kapokbäumen, Mangobäumen schwer von Früchten, durch Reisfelder, auf denen Kinder und Jugendliche arbeiten, Richtung Elinkine im Mündungsdelta des Casamance, aufgehalten nur durch die Soldaten auf ihren Panzerwagen.

      In Elinkine lädt mich der Diola Mamadou in sein selbst gebautes Impluviumhaus ein, ich bewundere die typische Bauweise. Durch den Versammlungsraum der großen runden Lehmhütte mit strohgedecktem Dach gelangt man in einen runden Innenhof. Das nach innen gewölbte Dach ist offen, das Regenwasser wird in ein Bassin gelenkt. Hier steht eine große Bananenstaude, die fast schon Dachhöhe erreicht hat, an ihrem Stamm spielen kleine Schildkröten. Um diese Öffnung herum führt ein durch Bambusträger abgestützter Rundgang, von dem die Räume abgehen. Beruhigend trommelt der Regen in das innere Becken, von dem aus ein Überlauf zum Brunnen draußen führt. So ist die erste Nacht in der Hängematte im Rundgang vor dem Regen sicher, und doch schlafe ich unter den Sternen, dicht über mir steht Orion.

      Wegen des immer wieder aufflammenden Krieges haben sich viele Diola hierher an die Mündung des Casamance geflüchtet, so ist Elinkine, ein Bauerndorf mit wenigen Fischerfamilien, nun voller Fischer. Sie bringen viel zu viel Fisch, den sie auf großen Holzgerüsten zum Trocknen auslegen müssen, Haie, Rochen, Capitaines, Hechte. Die Lehm- und Strohhütten sind gegen die Waldtiere mit Bambuszäunen geschützt, überall laufen kleine dunkle Schweine herum, Ziegen und Schafe, zahllose kleine Kinder spielen im Sand zwischen den Tieren. Die Schwestern von Mamadou klagen ihr Leid, »Merkst du, wie das Dorf nun stinkt?« Auf dem Dorfplatz