Für immer mein. Joe Schlosser

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Название Für immer mein
Автор произведения Joe Schlosser
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871049



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Hühnerfrikassee, gewünscht. Sie hielt den Jungen so lange im Arm, bis sie merkte, dass er dringend seine aufgestaute Energie in Bewegung umsetzen musste. Dann rannte er hinaus, und sie hörte, wie er die Tür zum Keller öffnete. Im dunklen Keller ließ sich die Lampe natürlich am besten ausprobieren. Berta räumte das Frühstücksgeschirr zusammen, wusste, dass der Junge die Salami nicht mehr aß, seit er sie nicht mehr Mettwurst nennen durfte, und brachte alles in die Küche. Dann ging sie zurück und lud sich die Geburtstagsgeschenke auf, um sie in sein Kinderzimmer zu bringen. Die gnädige Frau mochte es nicht, wenn das Esszimmer nicht einwandfrei aufgeräumt war, bis sie zurückkehrte. Sie legte die Autorennbahn und die Dampfmaschine auf das für den Jungen viel zu große Bett und hängte die neue Kleidung in seinen Schrank. Dann machte sie sich auf in die Küche, um ihm sein Lieblingsessen zu bereiten.

      Berta war Putzfrau, Köchin, Kindermädchen und Haushälterin in einem. Sie war fest im Hause der Industriellenfamilie angestellt und bewohnte am Ende der Galerie in der ersten Etage eine kleine Zweizimmerwohnung. Kurz nach der Geburt des Jungen kam sie ins Haus. Sie war jetzt Ende vierzig und hatte in ihrem Leben bisher nichts anderes getan, als für Herrschaften den Haushalt zu führen. Und es ging ihr gut dabei. Sie verfügte über ausgezeichnete Referenzen, und die ließ sie sich anständig bezahlen. Dafür war sie rund um die Uhr verfügbar, verzichtete auf Urlaub und nahm den Herrschaften auf Reisen den Filius ab. Sie hatte kaum Ausgaben, und so verfügte sie mittlerweile über ein kleines, aber ansehnliches Vermögen, das ihr eines Tages den Lebensabend versüßen sollte. Sie war nicht verheiratet. Der richtige Mann tauchte in ihrem Leben nie auf. Freundschaften hatte sie keine. Sie bewegte sich seit ihrer Ausbildung ausschließlich im Kreis von Dienerschaften. Das war ein sehr eingeschränktes soziales Gefüge. Aber sie vermisste nichts. Auch keine Kinder. In allen Haushalten, in denen sie diente, waren Kinder. Das wollte sie so, und das reichte ihr. Mittlerweile liebte sie den kleinen Benjamin, den sie fast von Geburt an kannte, und kümmerte sich sorgsam um ihn. Und sie bekam von ihm das an Zuneigung und Nähe zurück, was ihr sonst im Leben fehlte.

      Sie hatte früh festgestelltt, dass ihre Herrschaften als Mutter und Vater nicht viel hergaben. Ein alleinunternehmerischer Fabrikbesitzer, dessen Stahlhandel sein Leben war und der von seiner Frau nur erwartete, dass sie ihm erstens einen Sohn bescherte und zweitens ihren Verpflichtungen in der Gesellschaft zur Genüge nachkam. Hierfür war sie in seiner Welt, und sie entsprach seinen Ansprüchen nur zu gerne. Den Sohn hatte sie ihm geboren, ihn an Berta abgegeben und konnte sich nun um ihr Aussehen, die neueste Mode und den jüngsten Tratsch kümmern. Eine gelungene und angenehme Situation für Berta, die wie alle Hausangestellten am besten zurechtkam, wenn die Herrschaften nicht zu Hause waren.

      Sie hätte auf dem Markt noch ein paar Balkonpflanzen kaufen sollen. Mechthild Kayser hatte die hölzerne Terrasse hinter ihrer Küche im Hochparterre gefegt und geschrubbt und auch die losen Gummikanten an den Stufen der in den Garten hinunterführenden Treppe festgeklebt. Die Kunststoffmöbel, die sie vergessen hatte über Winter in den Keller zu bringen, waren nun auch wieder ansehnlich. Doch in den Kästen an der Umrandung fehlte eindeutig etwas, das Farbe in das Bild brachte. Nächste Woche kaufe ich neue Erde und bepflanze alles mit Fuchsien, beschloss sie. Nur einen Kasten wollte sie mit Kräutern versehen, die sie bei Gelegenheit frisch in die Küche holen könnte.

      Das Telephon klingelte. Mechthild Kayser erschrak. Obwohl sie sich angewöhnt hatte, eine furchtlose Frau zu sein, zuckte sie zu Hause beim Klingeln ihres Telephons jedes Mal zusammen. Zu oft hatte sie erlebt, dass das Klingeln nichts Gutes verhieß.

      Sie wartete zu lange, und der Anrufbeantworter schaltete sich ein. Sie hörte ihre eigene, fremd anmutende Stimme mit der Ansage und wartete den Pieps ab.

      „Hallo Mechthild, ich bin’s, Ayse.“

      Mechthild Kayser lief ein kalter Schauer über den Rücken. Ayse Günher war eine der Ermittlerinnen aus ihrem Team. Adrenalin schoss sofort in ihren Kreislauf, öffnete alle ihre Sinne und aktivierte die Schutzmechanismen.

      „Erschrick nicht. Es ist nichts passiert. Ich wollte nur fragen, ob wir heute etwas gemeinsam machen können.“

      Mechthild griff erleichtert zum Hörer und betätigte die Ruftaste. Der Anrufbeantworter schaltete sich aus, und sie meldete sich. Nach einem kurzen Gespräch vereinbarten die beiden Frauen, den Samstagabend gemeinsam zu verbringen. Vielleicht mit einem Kinobesuch. Ihre Mitarbeiterin würde sie zu Hause abholen.

      Im Café Sand tobte mittlerweile der Bär. Der Nachmittag bescherte dem Weserstrand so viele Besucher, dass der Fährbetrieb schon mit zwei Schiffen im Pendelverkehr auf der Weser agierte. Im Wechsel spuckten die Ostertor und die Punke Menschenmassen aus ihren aufgeklappten Mäulern, die nun alle für die wenigen angekündigten Sonnenstunden einen Platz im Café Sand suchten. Trotz zusätzlich vor dem Café aufgebauter Verkaufsstände gab es an jedem Tresen endlose Schlangen, und die Bedienungen standen wie so oft mit grimmigen Mienen an den Ausschankstellen. Manchmal hatte man geradezu den Eindruck, die Beschäftigten des Cafés wären zwangsweise aus einem Resozialisierungsprojekt für ehemalige Knackis rekrutiert worden. Aber wahrscheinlich war es eher so, dass sie viel lieber selber in der Sonne sitzen wollten, als durstige Väter mit quengelnden Kleinkindern auf den Armen zu bedienen, während die dazugehörigen Muttis von Zeit zu Zeit ihre genießerisch der Sonne entgegengestreckten Gesichter in ihre Richtung lenkten und mit vorwurfsvollen Blicken das Eintreffen der Getränke anmahnten. Was die Väter noch gereizter und die Kinder noch unruhiger machte.

      Doch nach wenigen Stunden war der Spuk vorüber. Je näher der Zeitpunkt der Dämmerung kam, desto mehr Strandgäste verließen ihre Plätze und machten sich auf den Heimweg. Abends war es den meisten doch noch zu kühl, um draußen zu sitzen. Der Cafébesitzer rannte schon umher und schickte seine Aushilfen nach Hause, um bloß nicht eine Stunde zuviel bezahlen zu müssen, und die Außenstände wurden schon wieder geschlossen. Aber der Saisonauftakt war gelungen.

      Mechthild Kayser sah gerade die Nachrichten im ZDF, als ihr erwarteter Besuch klingelte. Sie schaltete den Fernseher stumm und ging zur Tür. Sie freute sich auf einen Abend mit viel Gequatsche. Ayse Günher war die einzige Beziehung, die es aus ihrem beruflichen Umfeld bis in ihr Privatleben geschafft hatte. Mit Polizisten, egal welchen Geschlechts, konnte sie persönlich nichts anfangen. Es war nicht nur die Hierarchie, die zwischen ihnen bestand. Die meisten Kollegen wollten immer nur über den Dienst reden, sich über die Belastungen der Arbeit beklagen oder ihr gegenüber geistreiche Bemerkungen machen. Das ging ihr ziemlich auf den Senkel.

      Mit Ayse war das glücklicherweise anders. Die Kriminalkommissarin, deren Eltern aus der Türkei nach Deutschland eingewandert waren, wollte nach Abschluss der Polizeihochschule eigentlich im Bereich der Umweltkriminalität arbeiten, musste aber in einem ermittlungsaufwendigen Mordfall zum Nachteil eines vierjährigen Kindes in der Mordkommission aushelfen, da Mechthild Kayser einen ihrer Mitarbeiter zum Bundeskriminalamt hatte gehen lassen. Bei den mit der Ermittlung verbundenen unendlichen Hausbefragungen zeigte Ayse Günher neben einer unerschütterlichen Ausdauer ein enormes Talent, Hinweise aus den Menschen herauszukitzeln und trug maßgeblich zur Ermittlung des Täters bei, so dass Mechthild sie nach Rücksprache mit dem Polizeipräsidenten bat, in ihr Team zu kommen. Sie willigte ein. Sicher nicht nur, weil sie selbst spürte, dass ihr die Arbeit in der Mordkommission zusagte, sondern auch, weil sich dort durch den Weggang eines Hauptkommissars klare Entwicklungsperspektiven für sie ergaben.

      Die Freundschaft mit Ayse machte es Mechthild in ihrem Berufsleben nicht leicht, sie für eine Beförderung vorzuschlagen. Komischerweise dachten alle Männer ernsthaft, dass vor den Frauen erst mal sie befördert werden müssten. Anschließend sollten die Frauen sich mal um den Rest streiten. Vielen Polizisten fiel es immer noch sehr schwer, zu akzeptieren, dass manche Kolleginnen weitaus besser und qualifizierter als die Männer waren. Hundert Jahre Machogesellschaft in der Polizei ließen sich per Dekret nicht mal eben ausradieren. Alle, die sich übergangen und benachteiligt fühlten, würden eine Beförderung von Ayse auf die Freundschaft mit ihrer Chefin zurückführen. Ganz egal, welche Erfolge sie vorzuweisen hätte. Sie würde als Leiterin der Mordkommission damit angreifbar werden und Führungspotential einbüßen. Aber Ayse hatte eine Beförderung verdient.

      Mechthild Kayser entschied sich, dieses Problem in Kürze mit dem Polizeipräsidenten Ernst Logemann zu besprechen. Der PP war ein echter