Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
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Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
In der First Christian Church seiner Kindheit war er jeden Sonntag aufgestanden und hatte die Melodie von Beautiful words, wonderful words, wonderful words of life mitgesungen, kurz bevor der Alte mit dem Klingelbeutel vorbeikam. Damals waren das alles böhmische Dörfer für Johnny. Aber wenn er jetzt die Worte des Lebens hörte, so wie sie in der anarchistischen Himmelskunst-Dharma-Kommi-Jazz-Kirche in den Straßen und Apartments von New York verkündet wurden, dann spürte er plötzlich die reine, priesterliche Weite in sich und fühlte sich als Sprosse auf der Himmelsleiter. Das Prinzip der Habgier war besiegt, stattdessen rollte das Auge, das auf der Rückseite des Dollarscheins über dem Gipfel der Pyramide schwebt, heraus aus dem Park, durch den Hollandtunnel und den ganzen Weg bis nach Minneapolis runter, wo es einen Blinden sehend machte. So ungefähr sahen die Zukunftsaussichten aus, wenn Johnny sie sich vorstellte. Sollten die Raumschiffe nur landen — er war bereit.
Er verzichtete auf Seife, vergaß die Jahreszeiten und lebte in den Betonklötzen von Lower New York, als wären sie die Requisiten einer Theatervorstellung. Dreck eroberte seinen Turm. Seine Socken verwandelten sich in zehenlose, ausgefranste, verrottende Fetzen. Sein T-Shirt durchlief auf dem Weg zu anthrazit die gesamte Palette verschiedener Grautöne. Manchmal wusch er sich die Körperteile, die mit der Luft in Berührung kamen, also Gesicht und Hände, aber nur dann, wenn es etwas Wichtiges zu erledigen gab. Beispielsweise, wenn er vorhatte, sich den blauen Bedürftigenausweis fürs Essen zu besorgen. Ansonsten lief er Sommer und Winter in den gleichen Klamotten herum: schwarzer Rollkragenpullover, schwarze, durchlöcherte Arbeitsstiefel oder Adidas-Tennisschuhe, grünes Kordsamtjackett und eine Briefmarke auf der Stirn — eine persönliche kleine Reminiszenz an die Vergangenheit.
Und erst die Füße! In der Zeit zwischen dem 4. April 1959 und dem 15. November 1961 wusch er sie kein einziges Mal. Die Füße hielt er für sein Meisterwerk. Er bildete sich allen Ernstes ein, dass sie Kunstwerke waren. Nach ein paar Monaten ohne Wasser und Seife fingen sie an zu mumifizieren. Eine trockene, kohlschwarze Kruste bildete sich auf der Oberfläche, ähnlich wie bei den Fausthandschuhen von Catchern, wenn sie nicht ordentlich eingefettet werden.
Entgegen der landläufigen Meinung strahlt der professionell gealterte, ungewaschene und mumifizierte Fuß keinen besonders unangenehmen Geruch aus. Johnnys Füße sahen aus und rochen ungefähr so wie verbrannter Toast. Die enorm verkrustete Haut erinnerte an ein Gemälde. Ab und zu wagte ein besonders Mutiger auch schon mal hinzulangen.
Im Sommer 1960 versuchte er, seine Füße in einer Kunstausstellung der Judson Church Gallery unterzubringen. Er bot den Direktoren an, die ganze Zeit friedlich in irgendeiner abgelegenen Ecke auf einer Milchkiste zu verbringen. Er schlug außerdem vor, einen leeren Goldrahmen gegen die Füße zu lehnen, um sie besser zur Schau zu stellen. Er versprach sogar, sie mit Fixativ zu besprühen, damit empfindliche Besucher auch ja nicht durch unschickliche Stinkschwaden beleidigt werden konnten. Die Galerieleitung lehnte höflich ab. Und Johnny rächte sich für seinen Ausschluss, indem er seine Füße mit Goldfarbe aus der Dose besprühte und so während der gesamten Ausstellung im Vorhof der Galerie stand. Zum Zeichen seines Protests hatte er sich einen Streikpostenausweis an den Jackenaufschlag geklemmt.
Die Eingeborenen vom Washington Square tauften ihn Johnny Filth Feet. Monatelang beobachtete Johnny die Touristenschwärme und kam einfach nicht dahinter, ob er sie nun lieben oder hassen sollte. Schließlich entschied er sich dafür, ihnen den Ekelerreger vorzuspielen. Alles verlief nach Plan, besonders in der sommerlichen Hochsaison, wenn die Touristen ihn mit einem ständigen Strom steuerfreier Einnahmen versorgten. Seine erste und wichtigste Handbewegung jeden Morgen: das nicht wegzudenkende Requisit, den Hut zum Einkassieren der Münzen gut sichtbar auf dem Brunnenrand zu platzieren. Dann stürzte er sich in einen schrillen Singsang, mit dem er garantiert jeden Marktschreier aus dem Feld geschlagen hätte: »Beatnikfüße! Beatnikfüße! Kommt und werft einen Blick auf diese sagenhaften Beatnikfüße! Garantiert noch nie gewaschen! Eine kleine Gabe in den Hut! Beatnikfüße! Beatnikfüße!« Aus irgendeinem mysteriösen Grund strömten daraufhin immer gewaltige Menschenmassen zusammen. Die Leute drängelten sich in einem dichten Kreis um ihn herum, die hintersten stellten sich sogar auf die Zehenspitzen und reckten die Köpfe hoch, um ihn besser sehen zu können. Das Ganze erinnerte an ein Golfpublikum, das versucht, das entscheidende Einlochen bei einem Meisterschaftsspiel mitzukriegen.
Es war einfach nicht zu glauben, aber mit seiner Fußhausiererei konnte Johnny nicht nur nach Herzenslust in Rienzis Kaffeehaus in Cappuccino und Baklava schwelgen — auch die Miete war plötzlich kein Problem mehr. Ständig fielen ihm neue Tricks ein, um die Touristen zu verschaukeln, die in der Beatnik-Ära das Village überschwemmten. Manchmal ließ er sich grunzend und sabbernd einer Gruppe von Passanten vor die Füße fallen, die sich vor lauter Angst an ihre Stadtpläne klammerten. An einem Wochenende im August 1960 sank er mit hin und her pendelndem Kopf in die Knie und fing an, einen Eiscremestiel, der auf der Erde lag, mitsamt der feuchten verkrumpelten Papierhülle abzulutschen. Schleimige Spuckespuren zeichneten sich auf dem Teer ringsum ab. Er stöhnte, er wand sich — und sofort bildete sich eine Menschentraube um ihn herum. Aber dann führte man ihn ab. Die Bullen zerstreuten alle Zuschauer, und die Spießer steckten ihre grünen Scheinchen wieder zurück in die Brieftasche.
Und was hängten sie ihm dann später an? Subversives Züngeln an einer Eiscremeverpackung? Auf der Polizeiwache im Park gegenüber der Judson Memorial Church musste er mit Handschellen herumstehen und warten. Aber als die Wache ihn für einen Moment allein ließ, streifte er schnellstens Schuhe und Socken ab und ließ seine dreckigen Quanten in der Luft herumbaumeln.
Nach einer Weile kamen die Bullen wieder und kippten beinah aus den Latschen, als sie die schmierigen verkrusteten Anhängsel entdeckten. Sie hätten beinah vor Ekel gekotzt. Endlich, nach stundenlangen Beratungen, schlossen sie seine Handschellen auf und gaben ihm den guten Rat, schnellstens aus dem Park zu verschwinden und sich ja nicht wieder hier blicken zu lassen.
Johnny fiel noch etwas anderes auf. Die Touristen waren besonders darauf aus, so nah wie möglich an die Beatniks heranzukommen — ein paar streckten sogar die Hand aus und langten mal kurz zu. Andere waren noch kecker. Nie würde er diese Frau mit der Rasierklingennase und der geflügelten Sonnenbrille vergessen, die eines Tages mit ihrem Mann — einem Prachtexemplar übrigens, in Bermudashorts und Baseballmütze — auf ihn zukam. Johnny saß auf dem Sockel der Statue von Alexander Holley. Als sie nur noch zwei Schritte von ihm weg war, stürzte die Frau nach vorn und wäre um ein Haar hingefallen. Johnny glaubte, sie wäre gestolpert und streckte die Arme aus, um zu verhindern, dass sie mit dem Kopf voran in Holleys Torso knallte. In diesem Moment hörte er den unmissverständlichen, schnüffelnden Laut. Ihr Gesicht war nur noch circa dreieinhalb Zentimeter von der Achselhöhle seines fleckigen Jacketts entfernt, als sie sich gierig die Lungen vollsog. Dann riss sie sich zusammen und folgte würdevoll und diszipliniert ihrem Mann. Zweifellos konnte sie’s kaum abwarten, sich beim Thanksgiving-Dinner vor ihren Verwandten damit zu brüsten, wie sie beinah in eine abscheulich stinkende Achselhöhle gestolpert war.
Nach ein paar Schritten drehten sich die beiden plötzlich noch mal um. Er riss die Kamera hoch und schoss hastig seinen Schnappschuss; dann machten sie kehrt und marschierten Richtung Parkausgang.
Johnny Filth Feet schätzte, dass er in der Goldenen Ära zwischen 1958 und 1961 mindestens zehntausendmal im Washington Square Park fotografiert worden war. Unzählige Urlaubsalben im Mittelwesten mussten Bilder von ihm enthalten, wo er sich in Positur geräkelt hatte, und zwar möglichst so (da war er immer ganz besonders scharf drauf), dass Henry James’ altes Haus am Nordrand des Parks mit aufs Bild kam.
Filth Feets größter Triumph im Park war die Folksong-Demonstration vom 9. April 1961, ein Ereignis, das ihn für die kommenden Jahre in einen disziplinierten, verrückten Rebellen mit einer Vorliebe für Flugblätter verwandelte. Bis zu diesem Tag hatte er nur ein einziges Mal in seinem Leben demonstriert, und das war bei der Sache mit den vergoldeten Füßen vor der Judson-Church-Galerie. Der 9. April war ein Sonntag. Den ganzen Vormittag über saß John mürrisch auf dem Brunnenrand, gefoltert von hämmernden Kopfschmerzen, die seine