Название | Tales of Beatnik Glory, Band I-IV (Deutsche Edition) |
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Автор произведения | Ed Sanders |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783862870998 |
Die beiden Provokateure des Unternehmens Kartoffelsalat hatten mit Müttern wenig am Hut. Al war ein notorischer Hitzkopf und Unruhestifter. Seine oberste Devise lautete: »Im Zweifelsfall hilft nur Krawall«. Zur Inspiration hatte er sich über seinem Schreibtisch eine Kopie von Degas’ berühmten Absinth-Trinkern aufgehängt. Degas faszinierte ihn und er tat sein Bestes, um seinen Lebensstil so gut es ging zu imitieren. Zur Zeit des Symposiums hatte er seine Frau und vier Kinder in einem mickrigen Rattenloch in der Bronx versteckt. Trotzdem war er von seiner späteren Rechtfertigung überzeugt: Auch ich nur ein miserables Arschloch bin, ein mieser Vater, ein Dreckskerl, ’ne bepisste Wanze, solange meine Dichtung existiert, kann die Geschichte mich nicht unter ihrem riesigen Schutthaufen begraben — selbst wenn sie mir wer weiß, was für Schandtaten anhängen. Nicht mal Poe haben sie geschafft, merkst du was, Mann?
Ron, der zweite Provokateur, war ein hervorragender Übersetzer persischer Poesie und galt außerdem selbst als exzellenter Dichter. Nur eine Sache stand seiner meteoritenhaften Karriere als Übersetzer und Poet im Wege: sein krankhafter Trieb, Kakerlaken zu verspeisen. Aber, aber ... wer wird sich denn da vor lauter Ekel gleich abwenden wollen? So schlimm ist das ja nun auch wieder nicht. Schließlich leckt Emil Cione mit Vorliebe die Vaseline von gebrauchten Besenstielen ab — was ja wohl mindestens genauso fragwürdig ist.
Der Ärger ging los mit traumatischen Erfahrungen, die er beim Überlebenstraining der US Air Force in einem Dschungelgebiet durchstehen musste. Nachdem auch sein Geheimvorrat an Milky Ways aufgebraucht war und er an Flüssen vergeblich nach irgendwelchen kleineren Viechern gesucht hatte, verfiel er auf die feuchten bröckeligen Cafeterias unter dicken Felsbrocken. Und, um die wunderbaren Worte von William S. Burroughs zu zitieren: »Hätten Sie’s nicht genauso gemacht?« Alle hartschaligen Käfer waren okay, besonders die proteinreichen Maikäfer, aber in New York hieß die Devise: »Cucaracha!«
Ab und zu kann er der peinlichen Entdeckung seiner geheimen Leidenschaft durch seine Frau oder den Chef nur um ein Haar entgehen. Aber bisher hat ihn seine Vorsicht noch immer gerettet. Und er weiß nur zu gut, dass er auf der Stelle erledigt wäre, wenn den vornehmen literarischen Kreisen auch nur die kleinste Andeutung vom Poeten als Kakerlakenfresser zu Ohren käme. Apollinaires Poet als Prophet war ja grade noch akzeptabel, aber un poete insectiphage — undenkbar! (Der Leser wird mit Erleichterung erfahren, dass man ihm diese Perversion 1967 bei einer Selbsterfahrungssitzung in Esalen ein für allemal ausgetrieben hat.)
X
Der Lärmpegel schwankte im Bereich eines gedämpften Brausens. Mittlerweile hatten sich alle Sprecher auf ihren Plätzen eingefunden. Vor jedem Sitz befand sich ein gefülltes Wasserglas und ein Notizblock. Zum letzten Mal brummelte der Hausmeister seine Zahlen in die Mikrophone, um sie zu überprüfen. Der ganze Saal schien erfüllt von dem Bewusstsein der steinernen Stufen, die zum Tempel der Wahrheit führen. Endlich ging es los: Warner Cleftine, Chefherausgeber vom Foment-Magazin schnaufte sein erstes »Hmmmpfpft« ins Mikrofon und klingelte zur Eröffnung mit seinem Uhrarmband gegen den Wasserkrug. Allmählich flaute der gedämpfte Lärm ab. Neunhundert schnatternde Zuschauer wandten sich erwartungsvoll der Bühne, dem Tisch und den gesetzten Herrschaften dahinter zu.
Cleftine war der erste Sprecher. »Wir haben uns hier versammelt, um eine der neueren Erscheinungsformen der Literatur zu analysieren, in der Hoffnung, unser Verständnis in diesem Bereich vertiefen zu können. Dieses Phänomen wird zwar in vielen Magazinen und Zeitungen ausführlichst besprochen, hat aber um so weniger Eingang in die kulturelle Auseinandersetzung gefunden.« Als er mit seinem Statement so weit gekommen war, sprang John Farraday plötzlich von seinem Stuhl und fing an, hinter dem Tisch in länglichen Ellipsen auf und ab zu marschieren. Glücklicherweise standen die Mikrofone zu weit weg, sonst hätte man im ganzen Saal sein unterdrücktes Gefluche gehört. Offenbar hatte Farraday vorgehabt, von der Bühne zu springen und so schnell wie möglich abzuhauen. Aber irgendetwas schien ihn festzuhalten — jedenfalls brachte es er es nicht fertig, einfach zu verschwinden. Während des gesamten Symposiums zog er auf der Bühne seine Kreise oder hockte sich an der Seite in die Kulissen und teilte sich eine Flasche Tequila mit dem Hausmeister. Der erzählte ihm später, der einzige Grund, warum er überhaupt noch da sei, wäre die entsprechende Vorschrift der Gewerkschaft.
»Balzac! Balzac! Balzac!« grunzte Farraday im Gehen vor sich hin. Zehn bis fünfzehn junge, professionelle Romanschreiber saßen im Publikum verteilt — professionell in dem Sinne, dass sie es mit ihrer Schreiberei nicht so hielten wie diese Poeten, die ihre Kreativität immer dann auf Prosa umschalten, wenn die Zeiten es erfordern: wegen der Kohle, aus Feigheit, mit totem Gewissen. Diese Typen hier, die sich cool und stetig nach oben arbeiteten und heimlich danach lechzten, endlich einen Hit in der schwarz eingerahmten Bestsellerliste in der Sonntagsbeilage der New York Times zu landen, die grinsten jetzt hämisch: Nun guckt euch doch bloß diesen Krüppel von Farraday an da oben! Schaut her! Ich bin nicht da oben! Ich! Ich! Ich! Ich!
Und dann gab es noch eine Gruppe im Publikum, der das Ganze ungeheuer peinlich war: Farradays Verleger und Förderer, die Maxwell Perkinses seiner Karriere, die einmal geglaubt hatten, man könnte so was wie eine schillernde Eintagslibelle der Literaturszene aus ihm machen. Sie lehnten es grundsätzlich ab, seine Manuskripte in der Reihenfolge ihres Entstehens zu publizieren: Dickens’ Ära ist vorbei, junger Mann! Statt dessen brachten sie ihn dazu, in aller Eile ein Buch über das Leben der dahinvegetierenden Künstler in New York zusammenzuschmieren. »Deine Erfahrungen, junger Mann, schreib sie auf, aber mit Logik, Syntax, normaler Zeichensetzung und glaubwürdigen Charakteren! Dann bist du im Handumdrehen ein gemachter Mann, glaub’s mir, mein Sohn! Und du kannst in jedem Teil der Welt abtreten, wo du willst ... brauchst bloß der Sonne zu folgen!«
Nach den ersten Bemerkungen von Warner Cleftine ging der Tanz erst richtig los. Die gelehrten Kommentare der Redner zeichneten sich durch bemerkenswerte Kompliziertheit aus und der rote Faden, um den sich alles drehte, war die Feststellung, dass der Trauerzug zu Ehren einer literarischen Strömung grundsätzlich ein herzzerreißender Anblick ist, egal ob es um die Relikte des Futurismus, Vortizismus, Imagismus oder der Beat-Generation geht, die man da jeweils zu Grabe trägt. Und für das Publikum wurden auch die Beats noch mal schnell als »Leitstier« einer Strömung gegen die »kulturelle Verkalkung« und »schleichende Paralyse und seichte Konformität« gefeiert.
Dann kam Cheevy Samuelson an die Reihe. Er rückte mit einer ungewöhnlichen Analyse der B.G. heraus. Er verglich sie nämlich mit den Dadaisten, die zwischen 1916 und 1920 in Zürich und Paris ihr Unwesen getrieben hatten. Als er anfing zu sprechen, konnte man beobachten, wie ein prominenter Zeitungsreporter in der ersten Reihe spöttische Notizen in sein gelbes Ringbuch kritzelte; beispielsweise ließ er sich in seinem Bericht am nächsten Tag über Cheevys »kubanischen Bart« aus, »der mittlerweile, so scheint’s, wirklich von jedem kopiert wird, der Dr. Castro bewundert.«
»Wie die Dadaisten«, erläuterte Cheevy langsam, »haben auch die Beats ein paar sehr beeindruckende Bücher geschrieben — und nebenbei ein paar andere beeinflusst —, haben ein gutes Dutzend akzeptabler Artikel inspiriert, Skandale und Tratsch herauf beschworen und ihren Spaß gehabt. Sie haben weiterhin das Publikum beschimpft und beleidigt, und möglicherweise brauchte unsere selbstzufriedene res publica das sogar. Aber mehr haben sie nicht vollbracht. Von den Dadaisten unterscheidet sich die Beat-Generation vor allem auf der metaphysischen Ebene ...« Bei dem Wort metaphysisch breitete sich auf den Gesichtern von zwei anderen Diskussionsteilnehmern ein mitleidiges Lächeln aus — der gute alte Cheevy und sein Mystizismus, ja, ja.
»... insofern sie nicht länger über eine Tradition verfügten, die ihnen vertraut war und Halt hätte geben können. Mit der hebräisch-christlichen Tradition hatten sie radikal und endgültig gebrochen. Die Beat-Generation war visionär, sie war das lebendige Versprechen einer neuen amerikanischen contemplatio. So Hier, so Jetzt, dass sie in Wirklichkeit kaum existierte. Auf der literarischen Ebene kann die Beat-Generation zweifellos als kulturelle Strömung interpretiert werden, die von ihren Anhängern ganz bewusst manipuliert wurde. In dem vor lauter Kunst trüben Strom von Kubisten, Futuristen, Imagisten, Expressionisten, Konstruktivisten, Dadaisten, Surrealisten und Action-Malern