Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey. Stefan Ernsting

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Название Der phantastische Rebell - Alexander Moritz Frey
Автор произведения Stefan Ernsting
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783862871162



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1946 zum Ersten Präsidenten des »Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller« der Nachkriegszeit gewählt und engagierte sich auch aktiv im PEN-Club. Er verfasste mit »Abend« (1920) und »Schatten« (1923) zwei Drehbücher, die von Frey stark beeinflusst waren. Willy Seidel war dagegen einer jener Autoren, die später von der phantastischen Literatur zu den phantastischen, völkischen Mythen der Nazis wechselten. Er verfasste eine Reihe von Erzählungen sowie humoristische Grotesken und Satiren, widmete sich in den Zwanzigerjahren aber fast ausschließlich dem Studium okkulter Schriften. Seidel wandte sich schon früh den Nazis zu und hatte deswegen einen Streit mit Frey, den er in einer Rezension als »Zauberer« bezeichnet hatte. Frey war schwer enttäuscht von Seidels Rechtsruck und brach irgendwann mit ihm.

      Mystischer Mumpitz

      »Im Dritten Reich sollte das realisiert werden, woraus die Science Fiction noch immer ihr Kapital schlägt.« (Nagl, S. 164)

      Phantastische Ideen dienten in Deutschland nicht nur der Literatur als Vorlage. Anfang des 20. Jahrhunderts erschien eine Flut von Büchern, die als eine Mischung aus esoterischer »Geheimwissenschaft« und Science Fiction im pseudowissenschaftlichen Gewand daher kamen. Spekulative Wissenschaft hatte die profane Quacksalberei von kleinen Betrügern abgelöst, die auf Jahrmärkten Schlangengift als Medizin verkauften. Heilsbringer aus aller Welt verkündeten allerorts obskure Geheimlehren oder warfen mit Runensteinen um sich. Eine ganze Reihe von Autoren geriet in das esoterische Fahrwasser von Theosophen, Ariosophen und anderen Mystikern, die mit allerlei Hirngespinsten auf sich aufmerksam machten. Mit absurden Theorien wie Hanns Hörbigers »Welteislehre« und dessen Buch mit dem Titel »Glazial-Kosmogenie. Eine neue Entwicklungsgeschichte des Weltalls und des Sonnensystems aufgrund der Erkenntnis eines kosmischen Neptunismus und eines ebenso universellen Plutonismus« (1913) konnte die phantastische Literatur nicht mehr mithalten. Laut Hanns Hörbiger, Vater des Schauspieler Paul Hörbiger, bestand das Universum aus Eis. Aus dieser simplen Idee für einen phantastischen Roman entwickelte er eine ominöse Pseudowissenschaft, die sämtliche astronomischen Erscheinungen neu erklären sollte. Hörbiger hatte sich dabei eigentlich nur frech bei einem utopischen Roman mit dem Titel »Planetenfeuer«(1899) von Max Haushofer (1840-1907) bedient. Max Haushofer war wiederum der Vater des Geopolitikers Karl Haushofer (1869-1946), einem guten Freund von Rudolf Heß, dem ab 1939 von der ausländischen Presse eine Rolle als Chefdenker der Nazis zugesprochen wurde, die er nie gehabt hat. Zu den Ideen aus Max Haushofers Roman kam für die »Welteislehre« noch allerlei mystischer Unsinn vom ewigen Krieg zwischen Feuer und Eis dazu, der u. a. die Sintflut und den Untergang von Atlantis ausgelöst haben soll. Sowohl Adolf Hitler als auch Heinrich Himmler und der Raketenpionier Max Valier waren von den wirren Spinnereien Hörbigers restlos überzeugt. Vor allem Himmler versuchte mit seiner SS-Forschungsabteilung »Ahnenerbe« später einen Beweis für die Welteislehre zu erbringen.

      Die phantastische Literatur hatte sich vor allem im englischsprachigen Raum entwickelt. »Frankenstein« (1818) von Mary Shelley, Urahn der modernen Science Fiction, kam in Deutschland erst sehr spät auf den Markt. Während in England und Frankreich seit 1823 bereits ein Dutzend Theaterfassungen über die Bühne gingen und Thomas Edison schon 1910 die erste Verfilmung des populären Stoffes drehte, erschien »Frankenstein« erst 1912 in deutscher Sprache im Leipziger Verlag Max Altmann. Der Verlag hatte auch »Dracula« von Bram Stoker herausgebracht, spezialisierte sich aber vor allem auf Bücher über Geheimbünde, Tempelritter, Wünschelruten und Telepathie. Auch die Bestseller von Edward Bulwer-Lytton erschienen in diesem Verlag. Wissenschaft, Okkultismus und Trivialroman reichten sich die Hand.

      Den Nazis galt das Gros der Phantastik später als »entartete Kunst«. Wenn sich die phantastische Literatur auch nur selten explizit politisch gab, fürchteten die Nazis vor allem den geistigen Spielraum dahinter. Die Geschichtsschreibung der Nazis bediente sich aber dank ihrer völkischen Wurzeln selbst ausgesprochen gern phantastischer Geschichten. Der Glaube an die Propaganda der politischen Religion Nationalsozialismus und eine Überlegenheit der deutschen Technik speiste sich zu einem nicht gerade geringen Teil aus Ideen der Phantastik. Große Teile der Nazi-Mythologie stammten aus Edward Bulwer Lyttons (1803-1873) Fantasyroman »The Coming Race« (1870), dem auch der Name der mystischen Energiequelle «Vril« entnommen wurde, die in der rechtsradikalen Esoterik bis heute eine große Rolle spielt. Dazu gesellte sich die »Rassenlehre« aus rassistischen und antisemitischen Fantasy-Magazinen wie den »Ostara«-Heften eines gewissen Jörg Lanz von Liebenfels (1874-1954), der Hitler zu seinen treuesten Lesern zählen konnte.

      Von Liebenfels war ein Verrückter, der 1908 auf Burg Werfenstein den Orden der Neuen Templer (ONT) gegründet hatte. Seine »Ostara«-Hefte hatten zeitweise beeindruckende Auflagen. Der Einfluss des Schundautoren von Liebenfels auf Adolf Hitler ist von Nicholas Goodrick-Clarke in seinem sehr empfehlenswerten Standardwerk »Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus« bereits ausführlich beleuchtet worden. Wenn Autoren wie Wilfried Daim (»Der Mann, der Hitler die Ideen gab«) den Einfluss eines Schwindlers wie von Liebenfels auch überschätzen, so repräsentiert er vortrefflich eine ganze Reihe von Autoren, die Anfang des 20. Jahrhunderts ihr Unwesen trieben und den Zeitgeist prägten. Lanz von Liebenfels hatte für die »Ostara« beim Ariosophen Guido von List (1848-1919) abgeschrieben, der sich wiederum bei der New Yorker Theosophen-Queen Helena Petrowna Blavatsky (1831-1891) und dem französischen Autoren Arthur de Gobineau (»Der arische Mensch«) bedient hatte. Blavatsky (»Die Geheimlehre«, 1888) selbst hatte bei rund hundert anderen Autoren verschiedener Texte geklaut und auch sie wurde vor allem von den Bestsellern Edward Bulwer Lyttons inspiriert. Dessen Roman »Die letzten Tage von Pompeji« (1834) hatte ihr als Vorlage für aberwitzige Theorien über das »okkulte Geheimwissen« der alten Ägypter gedient.

      Die Geburt des Okkultismus

      Die gebürtige Russin Helena Blavatsky war eine der einflussreichsten Schwindlerinnen ihrer Zeit. 1876 bezog sie mit ihrem Gönner Henry Steel Olcott, einem ehemaligen Bügerkriegsoffizier, den man nur den »Colonel« nannte, eine Wohnung mit acht Zimmern an der Ecke West 47th Street/Eight Avenue in Manhattan. Hier schrieb Blavatzky ihre Texte und unterhielt die feine Gesellschaft von New York mit Taschenspielereien, Zauberkunststückchen und Berichten von ihren angeblichen Weltreisen. Blavatsky, die schon morgens von Haschischwolken umgeben war, entwickelte aus den phantastischen Ideen Bulwer Lyttons die Grundprinzipien der Theosophie bzw. des Okkultismus. Grundlage ihrer »Geheimlehre« war eine alternative Entwicklungsgeschichte der Menschheit, die sie dem »Buch Dyzan« entnommen hatte, dem angeblich ältesten Buch der Welt, was außer Frau Blavatsky und den »geheimen Meistern Morya, Koot Hoomi und Djwal Kul« leider niemand je zu Gesicht bekam. Die »geheimen Meister« hüteten das Buch Dzan in ihrem »okkulten Museum« in einem unterirdischen Kloster. Selbst Himmlers Expeditionen nach Tibet konnten das geheime Versteck im Himalaya nicht finden. Morya, Koot Hoomi und Djwal Kul waren dafür aber eifrige Briefeschreiber und führende Theosophen aus aller Welt bekamen regelmäßig Post von den geheimen Meistern. Blavatzky behauptete nebenbei auch, von einem »Geheimbund religiöser Meister«, den »Mahatmas« oder »Great White Brothers«, in die USA geschickt worden zu sein, wo sie die Amerikaner auf »größere Wahrheiten« vorbereiten sollte. Bei den »Great White Brothers« handelte es sich dabei übrigens um eine Art himmlische Gerechtigkeitsliga, die aus Jesus, Buddha, Moses, Krishna und anderen religiösen Figuren bestand. Die Idee wurde 2001 von der Zeichentrickserie »South Park« in der äußerst kontroversen Episode »Super Best Friends« wieder aufgegriffen.

      1884 wurde Madame Blavatsky des Betruges überführt und in den New Yorker Medien schwer gedemütigt. Blavatsky hatte sämtliche Briefe der geheimen Meister Morya, Koot Hoomi und Djwal Kul selbst verfasst und auch ihre angeblichen Abenteuer in fernen Ländern wurden nun in Frage gestellt. Die Begründerin des modernen Okkultismus zog aus Scham nach Europa, wo sie bis zu ihrem Tod 1891 um Einfluss innerhalb der theosophischen bzw. okkulten Szene kämpfte.

      Blavatkys Schwachsinn von einer »Geheimlehre« wurde in Deutschland von Leuten wie Rudolf Steiner oder Anhängern der »Lebensreform«-Bewegung trotzdem heftigst bejubelt. Vor allem ihre Wiederbelebung des »Aryanism«, dem Glauben an eine überlegene Rasse, fand hier viele Freunde.

      Die Arier

      Die